Medizinische Begutachtung


Argumentationsstruktur


  • Am 29.02.08 Nachweis einer schwersten Peritonitis mit Vereiterung des gesamten Bauchraumes sowie klaffendes Loch von 2 cm Durchmesser im Bereich der Magenhinterwand. Septischer Schock.
  • Das am 29.02.08 erstmalig diagnostizierte Krankheitsbild (Peritonitis, septischer Schock) spiegelt sich in seiner hochgradigen Krankheitsausprägung im nachfolgenden lang dauernden schweren Krankheitsverlauf wider.
  • Das schwere Krankheitsbild entstand nicht etwa erst am 29.02.08, sondern in den Tagen zuvor, d.h. wahrscheinlich bereits am 27.02.08, spätestens am 28.02.08.
  • Eine Zeitspanne von wahrscheinlich 2 Tagen ist bei der Entwicklung der Peritonitis und des septischen Schocks aus folgenden Gründen anzunehmen:
    • Abdomineller Befund (hochgradige, eitrige Peritonitis im gesamten Bauchraum, großes Ulcus an der Magenhinterwand) am 29.02.08. Ein derart schwerer Krankheitszustand kann sich nicht in wenigen Stunden entwickeln.
    • Zahlreiche Indizien (Befunde, Symptome), die für die Entwicklung einer Peritonitis und eines septischen Schocks sprechen (s. Gutachten Dr. Berghoff 18.05.09, gutachterliche Stellungnahme Dr. Berghoff 04.08.11, Abschnitt „Epikrise der zugesandten Dokumente“, medizinische Stellungnahme Dr. Berghoff 29.10.12, Abschnitt „Vorbemerkungen“ (diese Passage ist besonders informativ, Anm. Dr. Berghoff).
  • Die Argumentation, dass in der ärztlichen Dokumentation kein dramatischer Krankheitsverlauf zwischen dem 26.02.08 und 29.02.08 dargestellt wird, resultiert nicht etwa aus einem bis dahin irrelevanten Krankheitsprozess, sondern allein aus der Tatsache, dass das Krankheitsbild von den orthopädischen Ärzten des UKM nicht realisiert und folglich nicht ärztlich dokumentiert wurde.
  • Die ärztliche Dokumentation ist völlig unzureichend und ist als solche zu beanstanden. Bei der vorliegenden, praktisch fehlenden ärztlichen Dokumentation wäre juristisch zu prüfen, ob Beweiserleichterung begründet ist.
  • In Anbetracht der völlig unzureichenden ärztlichen Dokumentation kann ein wesentlicher Krankheitsprozess zwischen dem 27.02.08 und 29.02.08 nicht verneint werden mit der Begründung, dass keine entsprechende dramatische Krankheitsentwicklung den Akten zu entnehmen sei.
  • Die Annahme, dass ein ernsthafter Krankheitsprozess erst am Morgen des 29.02.08 begann, lässt sich anhand der Daten nicht belegen. Vielmehr ergeben sich aus den vorliegenden Befunden und Symptomen trotz völlig unzureichender ärztlicher Dokumentation ausreichende Hinweise auf die Entwicklung des lebensbedrohlichen Krankheitsprozesses (Peritonitis) im Zeitraum vom 27.-29.02.08.
  • Die Argumentation, dass den betreuenden orthopädischen Ärzten das Krankheitsbild eines akuten Abdomens unvertraut oder unbekannt war, da es nicht zum orthopädischen Fachgebiet gehört und dass die orthopädischen Ärzte aus diesen Gründen die korrekte Diagnose (akutes Abdomen, Peritonitis) nicht stellen konnten, ist kein Grund, einen Behandlungsfehler zu verneinen. Die Ärzte hätten den schweren Krankheitszustand der Patientin erkennen müssen und ggfs. Ärzte von anderen Fachgebieten konsiliarisch rechtzeitig hinzuziehen müssen.
  • Die Argumentation, dass die betreuenden orthopädischen Klinikärzte das Krankheitsbild des akuten Abdomens nicht erkennen konnten, da es sich nicht um eine Symptomatik auf ihrem Fachgebiet handelte, dass die Verkennung des akuten Abdomens gewissermaßen aus der mangelnden Vertrautheit mit diesem Krankheitsbild resultierte, ändert nichts daran, dass objektiv ein Behandlungsfehler vorlag. Ein Behandlungsfehler kann jedoch nicht mit dem Argument verneint werden, dass Ärzte mit einem bestimmten Krankheitszustand nicht vertraut seien. Bei einer solchen Argumentation wäre denkbar, dass z.B. ein Herzhinterwandinfarkt, der sich ausschließlich in Rückenschmerzen äußern kann, verkannt wird, dass jedoch ein Behandlungsfehler verneint wird, da die betreuenden Ärzte das Krankheitsbild wegen fehlender medizinischer Kenntnis nicht erkennen konnten. Eine solche Argumentation würde implizieren, dass ein Patient, der sich in einer deutschen Universitätsklinik operieren lässt, damit rechnen muss, dass eine schwerwiegende Komplikation verkannt wird, da die Klinikärzte eine fachfremde Krankheit grundsätzlich nicht erkennen können.
  • Zu fordern ist, dass bei Vorliegen eines ernsthaften Krankheitszustandes, bei einer Verschlechterung der Symptomatik oder bei erheblichen Beschwerden die konsiliarische Abklärung auf verschiedenen Fachgebieten veranlasst wird.

 

 

Krankheitsverlauf nach dem 29.02.08, d.h. nach operativer Behandlung des perforierten Magenhinterwandulcus und der resultierenden Peritonitis

 

  • 02/08 septischer Schock mit Kreislaufinsuffizienz, Katecholamin-Pflichtigkeit
  • Disseminierte intravasale Gerinnung (infolge septischen Schocks, Anm. Dr. Berghoff)
  • Etappenlavagen (wiederholte Bauchspülungen zur Säuberung, Anm. Dr. Berghoff), vom 02.-12.03.08, insgesamt sechsmal
  • Anlage eines Ileostoma bei paralytischem Ileus (07.03.08, künstlicher Darmausgang)
  • Tracheostoma (Luftröhrenschnitt, Anm. Dr. Berghoff) 18.03.08 zur Langzeitbeatmung
  • Langzeitsedierung und –analgesie
  • Opioid-Entzugssyndrom
  • Pleuraerguss beidseits
  • Pleuradrainage links
  • Systemische Infektion mit Candida dubliensis
  • Kathetersepsis
  • Reaktive Thrombozytose
  • Anämie
  • Posttraumatische Belastungsstörung
  • Künstliche Beatmung und künstliches Koma vom 29.02.-20.04.08, also fast 2 Monate
  • Antibiotische Behandlung bis zum 10.04.08, also ca. 6 Wochen
  • 03/08 mykotische Sepsis und sekundärer Bauchdeckenverschluss erst am 07.04.08 (d.h. 5 Wochen nach Operation am 29.02.08 wegen perforiertem Magenulcus und Peritonitis)
  • Künstliche Ernährung bis 20.04.08 (also für fast 2 Monate)
  • Passagere renale Hypertonie
  • Encephalitis (Hirnentzündung)
  • Status epilepticus (über Stunden oder Tage anhaltende Epilepsie, also nicht nur epileptische Anfälle)
  • Beginnende Hirnatrophie
  • Hüftbeugerschw.che links, KG 3/5 (durch Schädigung des Gehirns oder des Rückenmarks)
  • Generalisierte idiopathische Epilepsie (Bezeichnung "idiopathisch", d.h. ohne erkennbaren Grund unzutreffend, Epilepsie tatsächlich bedingt durch die im Zusammenhang mit dem Krankheitsprozess aufgetretene Encephalitis, Anm. Dr. Berghoff)
  • 04/08 erstmalig epileptischer Anfall
  • Rehabilitation 05.08.-26.09.08 (also fast 2 Monate, Beginn der Reha gut 2 Monate nach Auftreten der Peritonitis)
  • Symptomatische Epilepsie fokal-generalisierter Genese (siehe Brief Krankenhaus Ludmillenstift Meppen 27.10.09)