Priv. Doz. Dr. med. W. Berghoff
Facharzt für Innere Medizin
Telemannstraße 1
53359 Rheinbach, den 18.05.2009
Telefon 02226 - 2041
Telefax 02226 - 2044
Priv. Doz. Dr. med. Berghoff – Telemannstraße 1 – 53359 Rheinbach
Herrn Rechtsanwalt
Dr. H. Haack
Hasenmauer 9/10
49074 Osnabrück
XXX/Uni-Klinik MS
XXX, geb. XXX, wohnhaft XXX
Sehr geehrter Herr Dr. Haack,
entsprechend Auftrag vom 21.08.08 wird im Folgenden ein
MEDIZINISCHES GUTACHTEN
erstellt.
Das Gutachten stützt sich auf die zugesandten Akten.
Problematik und Fragestellung
Am 26.02.08 wurde bei XXX wegen einer Verkrümmung der Wirbelsäule (Skoliose) eine operative Korrektur (Korrekturspondylodese) durchgeführt. Die Operation erfolgt in der Klinik und Poliklinik für
Allgemeine Orthopädie, Universitätsklinikum Münster.
Am Abend des Operationstages trat Übelkeit auf. Am zweiten Operationstag war der Bauch gebläht und die Urinausfuhr war im Vergleich zur Zufuhr gering. Am 29.02.08, also drei Tage nach der
Operation war in der Röntgenaufnahme freie Luft im Bauchraum sichtbar (Anm. Dr. Berghoff: freie Luft im Bauchraum gilt als Indiz für einen Durchbruch im Bereich des Magen-Darm-Traktes). Daraufhin
erfolgte notfallmäßige Laparoskopie (Bauchspiegelung), bei der ein perforiertes Magengeschwür und eine ausgedehnte Bauchfellentzündung festgestellt wurden. XXX wurde sofort in die Abteilung für
Kinderchirurgie, Universitätsklinikum Münster verlegt und operativ behandelt.
Infolge der Bauchfellentzündung entwickelte sich ein septischer Schock mit einem schweren postoperativen Krankheitszustand, der sich über viele Wochen erstreckte. Ca. zwei Monate nach der
Bauchoperation konnte XXX aus der Abteilung für Kinderchirurgie in die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Münster verlegt werden.
Das vorliegende Gutachten soll klären, ob das aufgetretene Magengeschwür und dessen Perforation zu spät diagnostiziert wurden.
Sachverhalt
Das vorliegende Gutachten befasst sich im Wesentlichen mit der medizinischen Behandlung in der Klinik und Poliklinik für Allgemeine Orthopädie, Universitätsklinikum Münster in der Zeit vom
26.-29.02.08.
Im Arztbrief der Klinik und Poliklinik für Allgemeine Orthopädie, UKM vom 30.05.08 wird im Abschnitt „Epikrise“, Absatz 2 der postoperative Verlauf wie folgt geschildert:
„Zur Analgesie wurde ein Perfusor mit Dipidolor angesetzt. Im weiteren Verlauf klagte XXX über Schmerzen, die im Rücken lokalisiert angegeben wurden. Die abends nach der OP aufgetretene Übelkeit
konnte mit Antiemetika in den Griff bekommen werden, so dass XXX später trinken konnte. Ab dem zweiten postoperativen Tag fiel eine zunehmende Positivbilanz auf, bei gleichzeitig aufgeschwemmt
wirkender Patientin, so dass mit Lasix versucht wurde, den Flüssigkeitshaushalt zu balancieren. Das Abdomen wirkte am Abend gebläht, ohne Abwehrspannung, Resistenzen oder Druckschmerzen.
Darmgeräusche waren in allen vier Quadranten spärlich auskultierbar. Schmerzen im Abdomen wurden nicht geklärt. Erneut Auftreten von Übelkeit und Erbrechen. Am nächsten Morgen (gemeint ist der
erste postoperative Tag, Anm. Dr. Berghoff) zeigte sich weiterhin ein geblähtes Abdomen und im Vergleich zum Vortag eine leichte Abwehrspannung. Gleichzeitig wurde zur weiteren Diagnostik eine
Röntgenaufnahme des Bauches (nativ radiologische Bildgebung des Abdomens) durchgeführt. Diese ergab massiv freie Luft im Abdomen“.
(Anm. Dr. Berghoff: Der zeitliche Ablauf ist dem Arztbrief nicht eindeutig zu entnehmen. Sinngemäß heißt es im Arztbrief, dass bereits am Abend des Operationstages der Bauch gebläht war, am
ersten postoperativen Tag war dieser geblähte Bauch weiterhin vorhanden und es war zudem erstmalig eine leichte Abwehrspannung nachweisbar. Die Röntgenaufnahme des Bauches erfolgte jedoch erst am
29.02.08, also am dritten postoperativen Tag und erst die Röntgenaufnahme führte zum Nachweis freier Luft im Bauchraum, als Zeichen für eine Perforation des Magen-Darm-Traktes. Insofern ist die
Formulierung „gleichzeitig wurde zur weiteren
Diagnostik eine nativ radiologische Bildgebung des Abdomens durchgeführt“ irreführend. Das „gleichzeitig“ bezieht sich nicht auf die am ersten postoperativen Tag festgestellte Blähung des Bauches
und die Abwehrspannung, sondern auf die durchgeführten „abführenden Maßnahmen“).
Eine ärztliche Dokumentation des Krankheitsverlaufes vom 26.02.-29.02.08 ist den Akten nicht zu entnehmen; jedenfalls ist ein gesondertes Dokument mit ärztlichen Verlaufsnotizen über den
Krankheitsverlauf nicht vorhanden. Allerdings befinden sich
auf anderen Dokumenten Informationen, die für den Krankheitsverlauf in dem genannten Zeitraum von Bedeutung sind.
Das Verordnungsblatt (erstellt 28.02.08, 23:16 Uhr) enthält u.a. folgende Einträge:
(Anm. Dr. Berghoff: Am Abend des 28.02.08 wurde also die Röntgenaufnahme des Abdomen veranlasst, sowie ein kinderchirurgisches Konsil. Die Maßnahmen wurden jedoch erst am folgenden Tag, d.h. am
29.02.08 durchgeführt).
Zudem enthalten die Rückseiten der Tageskurven Einträge, bei denen es sich offensichtlich um ärztliche Notizen handelt. Diese Notizen lauten wie folgt:
Laborbefunde über den in Rede stehenden Zeitraum sind in einem Kumulativbefund zusammengestellt:
Besondere Bedeutung hat das C-reaktive Protein (CRP), das einen entzündlichen Prozess, im vorliegenden Fall insbesondere auch eine bakterielle Infektion (infolge der Magengeschwürsperforation und
der resultierenden Bauchfellentzündung, (Anm. Dr.
Berghoff)) anzeigt.
Am 25.02.08 Normwert, d.h. unter 0,5 mg/dl. Danach pathologische Werte:
27.02.08: 9,2
28.02.08: 30,1
29.02.08: 45,2
Zudem zeigt der Kumulativbefund auch einen Anstieg der weißen Blutkörperchen, ebenfalls als Ausdruck einer zunehmenden Infektion:
25.02.08: 5.600 (Normwert)
27.02.08: 9.200 (noch im Normbereich, Anm. Dr. Berghoff)
28.02.08: 12.340 (über dem Normbereich von 10.000)
29.02.08: 7.150 (Abfall der Leukozythen als Ausdruck eines beginnenden septischen Schocks, Anm. Dr. Berghoff)
Zusammenfassung und Beurteilung
XXX wurde am 26.02.08 zur Korrektur einer Skoliose der Wirbelsäule in der Orthopädischen Universitätsklinik Münster operiert. Postoperativ entwickelte sich ein Magengeschwür, das nach Perforation
zu einer ausgedehnten Bauchfellentzündung (Peritonitis) mit septischem Schock führte. Durch diese Komplikation ergab sich postoperativ eine schwere und über zwei Monate anhaltende
Krankheitsbelastung.
In einer Email vom 21.08.08 teilt der betreuende Rechtsanwalt Dr. Haack mit, dass bereits unmittelbar nach der Operation Magenschmerzen auftraten. Entsprechend heißt es in den ärztlichen
Verlaufsnotizen vom 27.02.08: Schmerzen, Übelkeit,
Erbrechen. Zudem enthält das Verordnungsblatt vom 27.02.08 folgende Einträge: Empfehlung (akut Schmerzdienst) Arcoxia 90 mg, 1 für 5 Tage.
(Anm. Dr. Berghoff: Bei Arcoxia sind Magengeschwüre als Nebenwirkung bekannt und im Beipackzettel angegeben. Das Risiko einer Geschwürsbildung wurde durch die gleichzeitig vorliegende
Stresssituation (Operation, postoperativer Zustand) erhöht.
Auch war bereits am 27.02.08 das CRP auf 9,2 mg/dl angestiegen, als Zeichen einer beginnenden Infektion (s.u.)).
Am zweiten postoperativen Tag, d.h. am 28.02.08 zeigte sich zudem bei der Flüssigkeitsbilanzierung eine sogenannte Positivbilanz, d.h. die Urinausscheidung stand in einem Missverhältnis zur
Flüssigkeitszufuhr. Im Arztbrief vom 30.05.08 wird mitgeteilt, dass das Abdomen am Abend des 28.02.08 gebläht war.
Die ärztliche Dokumentation des 28.02.08 enthält die Information, dass gegen 12:45 Uhr Fieber bis 38 Grad Celsius auftrat und eine Tachykardie von 120 / min. bestand. Die ärztlichen
Verlaufsnotizen vom 28.02.08 enthalten keine Angaben über einen geblähten Bauch, so dass ein gewisser Widerspruch zu den Ausführungen im Arztbrief vom 30.05.08 vorliegt.
Die Laborbefunde zeigten erstmalig am 27.02.08 einen Hinweis auf eine beginnende Entzündung bzw. bakterielle Infektion: Das CRP war auf 9,2 mg/dl angestiegen (Norm unter 0,5 mg/dl). Am 28.02.08
lag bereits eine dramatische Erhöhung auf 30,1 mg/dl vor. Am 28.02.08 lagen auch die Leukozyten mit 12.340 erstmalig deutlich oberhalb der oberen Normgrenze von 10.000.
Auf dem Verordnungsblatt (erstellt am 28.02.08) ist folgender Text vermerkt: Untersuchung: Abdomenaufnahme, kinderchirurgisches Konsil. Diese Maßnahmen wurden jedoch erst am nächsten Tag, d.h. am
29.02.08 durchgeführt.
Da die vorliegenden Akten keine eindeutige Dokumentation des postoperativ aufgetretenen Ulcus und dessen Perforation mit der Folge einer Peritonitis enthält, kann sich eine Beurteilung des
Geschehens nur auf den Arztbrief vom 30.05.08 stützen.
Bei Betrachtung aller aufgeführten Daten ist davon auszugehen, dass bereits am 28.02.08 tagsüber die Problematik einer akuten Baucherkrankung erkennbar war. In diesem Zusammenhang ist
insbesondere wichtig, dass die Patientin spätestens seit dem 27.02.08 Arcoxia erhielt, wie dies aus dem Verordnungsblatt vom 27.02.08, erstellt am 26.02.08 hervorgeht. Wie gesagt, ist Arcoxia ein
Medikament, bei dem als Nebenwirkung Magengeschwüre bekannt sind.
Aufgrund der Gesamtschau ist davon auszugehen, dass bereits am 28.02.08 eine Perforation des Magengeschwürs vorlag. Hierfür spricht insbesondere der plötzliche und drastische Anstieg des CRP auf
30 mg/dl und der Anstieg der Leukozyten auf 12.300. Diese pathologischen Laborbefunde wurden am 28.02.08 um 08:36 Uhr erhoben. Bei der begründeten Annahme, dass bereits am 28.02.08 ein Blähbauch
und Bauchschmerzen bestanden, wäre bei einer sorgfältigen ärztlichen Analyse durch körperliche Untersuchung und Röntgenaufnahme des Abdomens der Krankheitsprozess bereits am Morgen des 28.02.08
diagnostizierbar gewesen.
Die verzögerte diagnostische Erkennung der abdominellen Problematik (Magengeschwür, Perforation, Bauchfellentzündung) um mehr als einen Tag, stellt in Anbetracht des schweren und
lebensbedrohlichen Krankheitsprozesses einen schweren ärztlichen Behandlungsfehler dar. Eine rechtzeitige Diagnose hätte wahrscheinlich den schweren Krankheitsverlauf infolge der abdominellen
Komplikation verhindert oder wesentlich verringert.
Zu beanstanden ist zudem, dass in Anbetracht zwei wesentlicher Risikofaktoren (Operationsstress, Arcoxia) die Problematik eines möglichen Magengeschwürs nicht bedacht wurde und auch daher zu spät
diagnostiziert wurde.
Aus dem oben beschriebenen ärztlichen Behandlungsfehler resultieren Spätfolgen mit einer ausgeprägten Schwerbehinderung. Laut Feststellungsbescheid vom 26.02.09 beträgt der Grad der Behinderung
(GdB) 100.
Gutachten genießen den Schutz des Urheberrechts (§§ 1, 2, 11, 15 des UrhG vom 09.09.1965, BGB 1.1, S. 1273). Sie dürfen daher nur für den Zweck, für den sie erstellt worden sind, verwendet
werden. Dies ist auch bei Weitergabe einer Kopie an den Untersuchten, seinen Hausarzt oder Rechtsanwalt zu beachten. Dieses Schriftstück darf ohne Einwilligung des Gutachters nicht zur Verfügung
sonstiger Ansprüche verwertet werden.
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PD Dr. med. W. Berghoff