Medizinische Begutachtung


Gutachten Lyme-Borreliose Sozialgericht


Priv. Doz. Dr. med. W. Berghoff
Facharzt für Innere Medizin

Telemannstraße 1
53359 Rheinbach, den 23.08.2017
Telefon 02226 - 2041
Telefax 02226 - 2044


Priv. Doz. Dr. med. Berghoff – Telemannstraße 1 – 53359 Rheinbach

 

Sozialgericht Trier

Dietrichstr. 13

54290 Trier


S 4 U 27/16
Rechtsstreit XXX / Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege

 


Entsprechend Beweisbeschluss vom 04.05.16 wird im Folgenden ein

 

MEDIZINISCHES GUTACHTEN

erstellt.


Das Gutachten stützt sich auf die zugesandten Akten und eine in der hiesigen Praxis durchgeführte Untersuchung des Klägers am 28.07.17.

 


Problematik und Fragestellung


Im vorliegenden Gutachten geht es insbesondere um die Frage, ob der Kläger an einer Lyme-Borreliose leidet und eine Berufskrankheit nach Nr. 3102 der Anlage zur BKV vorliegt.


Das Gutachten enthält folgende Informationen:

  • Vorliegende Gesundheitsstörungen
  • Zusammenhang mit Gesundheitsstörungen mit der beruflichen Tätigkeit
  • Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 3102
  • Minderung der Erwerbstätigkeit infolge Berufskrankheit
  • Beginn des Versicherungsfalles (Eintritt eines Rentenanspruches aufgrund MdE)


Aktenübersicht


Im Folgenden werden die Inhalte relevanter medizinischer Dokumente aus den Akten epikritisch zusammengestellt. Die entsprechenden Seitenzahlen der Akten werden bei der Überschrift der Dokumente in Klammern angegeben.


Der Inhalt der medizinischen Dokumente wird wörtlich zitiert oder bei komplizierten Zusammenhängen sinngemäß wiedergegeben.


Bei Inhalten, die vom Gutachter (Dr. Berghoff) nicht geteilt werden, erfolgt unmittelbar hinter dem Textzitat eine Kommentierung. Diese Kommentierung steht im jeweils anschließenden Absatz in Klammern und ist gekennzeichnet durch „Stellungnahme Dr. Berghoff“.


Die Anlagen des Gutachtens enthalten die für die verschiedenen Problematiken maßgebenden Literaturhinweise. Die Anlagen sind den betreffenden Textpassagen des Gutachtens zugeordnet (vgl. Inhaltsverzeichnis der Anlagen). Die Anlagen sind wesentlicher Bestandteil des Gutachtens, ohne ihre Einbeziehung ist das Gutachten unvollständig.


Die Akten liegen in drei Bänden vor:


Gerichtsakte S 4 U 27/16
2 Verwaltungsakten


Gerichtsakte S 4 U 27/16


(Anm. Dr. Berghoff: Die Gerichtsakte enthält keine medizinischen Dokumente).

Verwaltungsakten


Ärztliche Unfallmeldung 07.12.12 (3)
2011 Zeckenbissverletzung
Diagnose: Borreliose (Lyme-Krankheit)


Anamnese BK 3102 (Zecken) 02.01.13 (12-14)
05/11 rötliche Stelle im Nacken. Zuvor 8 bis 10 Stunden draußen gearbeitet. Zeckenstich bemerkt abends nach dem Duschen. Vier bis fünf Monate später Auftreten von Beschwerden: Nackenschmerzen, Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen, Müdigkeit, Lustlosigkeit.


Vorläufiger handschriftlicher Arztbrief Krankenhaus Barmherzige Brüder Trier 28.07.11

 

Diagnose:
Passagere Parese der linken Hand
DD TIA, DD peripher


Anamnese:
Heute Mittag für 2 ½ Stunden anhaltende Parese linke Hand. Er habe das Lenkrad nicht mehr richtig benutzen können. Keine Auslöser, keine SZ. Keine weiteren fokalneurologischen Defizite.


Befund:
Keine Parese. Koordination intakt.


cCT unauffällig.


Therapie:
Patient lehnte die stationäre Aufnahme ab und verließ das Krankenhaus gegen ärztlichen Rat. (Ausführliche Information über Risiko bezüglich Schlaganfall und bleibenden Defiziten, Tod).

Behandlung:
ASS 100 1


Empfehlung:
Bei Wiederauftreten von Beschwerden jederzeit Wiedervorstellung möglich.
(Stellungnahme Dr. Berghoff: Ein Teil des handschriftlichen Textes ist nicht zu entziffern).


Arztbrief Klinikum Merzig, Neurologie 25.01.12 (35-48)


Diagnosen:
Borreliose, Lyme-Arthritis, Verdacht auf Karditis
Intermittierend AV-Block Mobitz + Wenckebach
Verdacht auf stattgehabte TIA


Neurologischer Aufnahmebefund:
Unauffällig


Langzeit-EKG:
o.g. AV-Block Mobitz und Wenckebach


Borrelienserologie positiv


Epikrise:
Aufnahme wegen Schmerzen im Nacken, Gelenken und Rücken; Leistungsknick.


Beschwerden seit drei bis vier Wochen. 07/11 taubes Gefühl des Armes für zwei bis drei Stunden. – Hausarzt machte Borreliosetest. Ergebnis positiv. Daraufhin antibiotische Behandlung mit Doxycyclin, allerdings ohne Erfolg.


Borrelienserologie in Blut und Liquor positiv, jedoch Antikörperindex negativ. Verdacht auf Lyme-Arthritis. Antibiotische Behandlung mit Ceftriaxon. Im Langzeit-EKG o.g. Störungen der Erregungsleitung im Herzen. Behandlung mit Ceftriaxon für drei Wochen empfohlen. Danach erneut L-EKG. Weiterbehandlung durch den Hausarzt.


Borrelienserologie 03.01.12 – 25.01.13 (45)
IgG AK 20 – 23 (Norm nicht angegeben, Anm. Dr. Berghoff)
IgM AK negativ
WB IgG VlsE


Laborbericht MVZ Labor Prof. Seelig 31.01.12 (111-115)
Borrelienserologie (Serum)
IgG AK 592 (Norm < 25)
IgM AK 33 (Norm < 25)
WB IgG VlsE, OspA, 18
WB IgM 41, (18)


Serum-Liquor-Index 1,27 (Norm < 2)


Neuroradiologisches Fachgutachten Frau Prof. Müller-Forell 08.09.14 (163-166)
Angio-MRT des Gehirns unauffällig


Internistisches Fachgutachten Universitätsklinik Mainz 31.10.14 (176-203)
Zu dem Gutachten wird detailliert kritisch Stellung genommen im Abschnitt „Stellungnahme zu den Vorgutachten“.

 


Stellungnahme zum Vorgutachten Universitätsklinik Mainz 31.10.14


Das Gutachten enthält zahlreiche unzutreffende Textpassagen, die einer Klarstellung bedürften.


Zwecks besserer Zuordnung werden die entsprechenden Textpassagen des Vorgutachtens mit Randziffern versehen (Zitat) und im Folgenden kritisch kommentiert (Stellungnahme). Der mit Randziffern versehene Text aus dem Vorgutachten wird als Anlage 1 beigefügt.

Die Stellungnahme zum Vorgutachten kann sich auf Seite 20 – 28 des Gutachtens, Verwaltungsakte (195 – 203) beschränken.

 

 

1.


Zitat
(Sinngemäß) Für das Post-Lyme-Syndrom (PLD-Syndrom) existieren keine (diagnostischen) Kriterien und die „Ursache dieser Symptome“ ist unklar. Aufgrund der zeitlichen Assoziation dieser Symptome wurde der Begriff der chronischen Lyme-Borreliose oder des Post-Lyme-Syndroms geprägt. Derzeit besteht eine unzureichende wissenschaftliche Evidenz, um die „chronische Lyme-Erkrankung“ als eine Entität (gemeint ist definierte Krankheit, Anm. Dr. Berghoff) anzusehen (Konsensus der IDSA, Wormser et al, Leitlinien der IDSA zur Lyme-Borreliose, 2000).


Stellungnahme
Das PLS (Post-Lyme-Syndrom) stellt eine Hypothese dar. Es handelt sich in der Tat nicht um eine definierte Erkrankung. Insofern erübrigt sich eine Diskussion zu diesem Begriff. – Zu beachten ist jedoch, dass sich begrifflich und auch aufgrund der Literatur ein Zusammenhang zwischen einer Lyme-Borreliose und einem danach folgenden so genannten PLS ergibt, d.h. die Lyme-Borreliose ist für die Entstehung (des hypothetisch angenommenen) Post-Lyme-Syndroms unerlässliche Voraussetzung.


Die Gleichsetzung des Post-Lyme-Syndroms mit einer chronischen Lyme-Borreliose ist wissenschaftlich nicht haltbar. Die Lyme-Borreliose wird seit ihrer Entdeckung in Stadien eingeteilt und zwar Stadium I für das Frühstadium, Stadium II für ein sehr akutes Krankheitsbild im Frühstadium und Stadium III für die Spätphase. In der modernen Literatur wird nurmehr zwischen Frühstadium und Spätstadium unterschieden, wobei das Stadium II dem Frühstadium zugeordnet wird.


Die Begriffe „chronische Lyme-Borreliose“ und „Lyme-Borreliose im Spätstadium“ sind Synonyma. Unter der Beachtung der Literatur ist zweifelsfrei festzustellen, dass bei einer Lyme-Borreliose im Spätstadium die Infektion fortbesteht, es besteht also eine chronisch persistierende Infektion mit Borrelien, die das Krankheitsbild der Lyme-Borreliose im Spätstadium verursacht (chronische Lyme-Borreliose).


Die im Vorgutachten zitierte Literatur gibt die Ansichten der IDSA (Infectious Diseases Society of America) wider, die sich mit der Begrifflichkeit „Lyme-Borreliose im Spätstadium / chronische Lyme-Borreliose“ überhaupt nicht auseinandersetzt. Bis 2000 wurde in der Literatur (u.a. auch vom Entdecker Steere) der Begriff „chronische Lyme-Borreliose“ für das Spätstadium der Lyme-Borreliose benutzt. In 2007 veröffentlichte die Autorengruppe der IDSA eine Publikation (Feder et al, 2007), bei der es sich um eine reine Meinungspublikation handelt und nicht etwa um eine wissenschaftliche Studie. In dieser Meinungspublikation wurde die Sorge geäußert, dass bei Krankheitszuständen ungeklärter Ursache von praktischen Ärzten leichtfertig der Begriff „chronische Borreliose“ benutzt würde, obwohl tatsächlich eine andere Krankheit vorläge. Es wurde also befürchtet, dass der Begriff „chronische Lyme-Borreliose“ als Etikett für eine Fehldiagnose missbraucht würde. Die Publikation verneint jedoch keinesfalls die Existenz einer Lyme-Borreliose im Spätstadium (gleichbedeutend mit chronischer Lyme-Borreliose) und auch nicht deren Behandlungsbedürftigkeit.


Im Übrigen sei angemerkt, dass bei etwa 10 % der Patienten mit einer Lyme-Borreliose im Spätstadium eine Acrodermatitis chronica atrophicans auftritt. Diese Hautveränderung ist für das Spätstadium der Lyme-Borreliose krankheitsbeweisend. Schon aufgrund dieses Zusammenhanges ist also die Negierung einer chronischen Lyme-Borreliose oder einer Lyme-Borreliose im Spätstadium unsinnig. Überdies ist die Lyme-Borreliose im Spätstadium in der Literatur vielfach beschrieben.


Die chronische Lyme-Borreliose (Lyme-Borreliose im Spätstadium) ist also zweifelsfrei als diagnostische Entität in der Literatur belegt.


Darüber hinaus wurde bei der chronischen Lyme-Borreliose (Lyme-Borreliose im Spätstadium) in zahlreichen Publikationen der Erregernachweis beschrieben. Bezüglich weiterer Einzelheiten sei auf die Anlage 2 verwiesen.

 


2.


Zitat
Die geschilderten Beschwerden (Kopfschmerzen, Gedächtnisprobleme, Fatigue, Nackenschmerzen, Schwierigkeiten im Alltag, Schlafprobleme) kommen bei Patienten mit chronischer Lyme-Borreliose ebenso häufig vor wie in einer Altersgematchten gesunden Kontrollgruppe.


Stellungnahme
Zitiert wird die Publikation von Seltzer et al, 2000. Es handelt sich um eine retrospektive Studie aus den Jahren 1984 bis 1991. Bei dem Kontrollkollektiv handelte es sich um Personen, die zunächst an einer Lyme-Borreliose erkrankt waren und entsprechend antibiotisch behandelt wurden. Die Autoren schlossen dann jedoch bei einem Teil dieser Patienten retrospektiv eine Lyme-Borreliose aus und
bezeichneten diese nachträglich ausgeschlossenen Patienten als Kontrollgruppe. Entscheidend ist jedoch, dass das Kollektiv der Kontrollpersonen, also Patienten ohne Lyme-Krankheit in der Publikation nicht wie üblich in einem entsprechenden Kapitel dargestellt werden. Bezüglich sonstiger Einzelheiten sei auf die Anlage 3 verwiesen.


Entscheidend ist jedoch die Tatsache, dass in der Arbeit von Seltzer et al, 2000 die Existenz einer chronischen Lyme-Borreliose (oder einer Lyme-Borreliose im Spätstadium) nicht in Frage gestellt wird. Es wird lediglich festgestellt, dass bei Patienten, bei denen eine chronische Lyme-Borreliose diagnostiziert wurde und bei den Kontrollpersonen (deren Krankheit nicht genauer definiert ist, bei denen jedoch eine vorausgehende Lyme-Borreliose erwähnt wurde) hinsichtlich der Symptomatik angeblich keine Unterschiede aufwiesen.

 

 

3.


Zitat
Ein negativer IgG-Befund spricht gegen das Vorliegen einer Spätmanifestation.


Stellungnahme
Im vorliegenden Fall waren IgG Antikörper nachweisbar, so dass es keiner weiteren Kommentierung bedarf. Grundsätzlich sei jedoch festgestellt, dass bei einer Lyme-Borreliose im Spätstadium in bis zu 50% der Fälle Antikörper nicht nachweisbar sind. Dies ist durch umfangreiche Literatur belegt. Die Sache hat für den vorliegenden Fall jedoch keine Bedeutung.

 


4.


Zitat
Der Lymphozytenproliferationstest ist zur Diagnostik einer Borreliose nicht geeignet wegen häufiger falsch positiver Ergebnisse.


Stellungnahme
Die Diskussion über den Lymphozytenproliferationstest oder Lymphozytentransformationstest (LTT) ist müßig, da eine solche Untersuchung beim Kläger nie durchgeführt wurde.


Tatsächlich weist der LTT die gleiche Sensivität und Spezifität auf wie so genannte serologische Tests (Nachweis von Antikörpern).


Tatsächlich ist der Lymphozytenproliferationstest (in Deutschland als Lymphozytentransformationstest bezeichnet, Anm. Dr. Berghoff) ebenso spezifisch wie die modernen Methoden zur serologischen Untersuchung.


Grundsätzlich ist jedoch festzustellen, dass ein pathologischer LTT ebenso wie eine pathologische Serologie nur für die stattgehabte Infektion beweisend ist, jedoch keine Aussage zu Existenz und Ausmaß der Krankheit (Lyme-Borreliose) zulässt. Im Gegensatz zur Serologie ist der pathologische LTT jedoch ein Hinweis (Indiz, kein Beweis) für eine aktuelle Auseinandersetzung zwischen Immunsystem und Borrelien. Bezüglich der diagnostischen Basis der Lyme-Borreliose im Spätstadium sei auf das Kapitel „Anmerkungen zur Diagnostik der Lyme-Borreliose im Spätstadium“ verwiesen.

 


5.

Zitat
Laborchemisch und klinisch kein Anhalt für das Vorliegen einer Erkrankung aus dem rheumatologischen Formenkreis.


Stellungnahme
Diese Feststellung des Vorgutachters ist korrekt. Es bleibt jedoch unklar, was hiermit im Hinblick auf die vorliegende Problematik (Lyme-Borreliose, Berufskrankheit) zum Ausdruck gebracht werden soll.

 


6.


Zitat
Die Beschwerden des Klägers werden in der Literatur und der Presse unter dem Begriff „Post-Lyme-Disease-Syndrom“ zusammengefasst.


Stellungnahme
Der Vorgutachter stellt selbst fest, dass das Post-Lyme-Disease-Syndrom (Synonym Post-Lyme-Syndrom, Post-Treatment-Lyme-Disease-Syndrom) keine nosologische Entität ist. Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass die Beschwerden des Klägers einer nicht existierenden Krankheit zugeordnet werden.

 


7.


Zitat
Es besteht eine unzureichende wissenschaftliche Evidenz, dass die chronische Lyme-Erkrankung eine diagnostische Entität darstellt.


Stellungnahme
Wie oben ausgeführt ist die chronische Lyme-Erkrankung ein Synonym für die Lyme-Borreliose im Spätstadium. Beide Begriffe, d.h. chronische Lyme-Borreliose und Lyme-Borreliose im Spätstadium sind literaturüblich und als Krankheitszustand in der Literatur vielfach definiert. Bezüglich der Einzelheiten sei auf die Anlage 4 verwiesen.

 


8.


Zitat
Es ergibt sich kein Anhalt für eine chronische Lyme-Karditis, Lyme-Arthritis oder Neuroborreliose. Ein Post-Lyme-Disease-Syndrom kann nicht ausgeschlossen werden.


Stellungnahme
Die genannten Krankheitsmanifestationen sind für eine Lyme-Borreliose im Spätstadium nicht obligat, da diese Krankheitsmanifestationen nur in einem Teil der Fälle vorkommen, eine Karditis in 20%, eine Arthritis in 40% und eine
Neuroborreliose in 20% der Fälle (Anlage 5).


Das Post-Lyme-Syndrom (Synonym: Post-Lyme-Disease-Syndrom) stellt eine Hypothese dar. Der Begriff wird verwendet bei Patienten, die nachweislich an einer Lyme-Borreliose erkrankten, bei denen aber eine so genannte adäquate antibiotische Behandlung nach Standard (Empfehlung in Leitlinien) nicht zur Beschwerdefreiheit führte. Diese Symptome, die zunächst bei der Lyme-Borreliose bestanden und nach der antibiotischen Behandlung (zum Teil) fortbestanden, werden also zunächst auf eine Lyme-Borreliose bezogen, nach antibiotischer Behandlung dann willkürlich auf ein PLS. Die Existenz eines PLS ist bis heute wissenschaftlich nicht belegt. Von besonderer Wichtigkeit ist die Tatsache, dass eine Abgrenzung gegenüber einer Lyme-Borreliose im Spätstadium nicht möglich ist.

 


9.


Zitat
Nach stattgehabter adäquater antibiotischer Therapie ist von einer Ausheilung einer chronischen Borreliose auszugehen.


Stellungnahme
Die Versagerquote bei Behandlung der Lyme-Borreliose im Spätstadium mit einem einzelnen Antibiotikum (Monotherapie) erreicht die Größenordnung von 50%. Bezüglich der umfangreichen Literatur zur Versagerquote sei auf die Anlage 6 verwiesen.


Borrelia burgdorferi entwickelt im Krankheitsverlauf zahlreiche Abwehrmechanismen, die einer Effizienz der antibiotischen Behandlung entgegenwirken. Bezüglich Einzelheiten sei auf das Lehrbuch „Lyme-Borreliose“, W. Berghoff, Verlag Berghoff,
2016 verwiesen.


Stellungnahme Universität Mainz 15.09.15 (247-250)


Ein Morbus Crohn liegt nicht vor. Ein Kardio-MRT ist nicht indiziert.

 


Sachverhalt


Im Folgenden wird zur besseren Übersicht unterschieden zwischen dem bei Herrn XXX vorliegenden Krankheitsbild der Lyme-Borreliose und sonstigen Krankheiten. Im Einzelnen wird der Text folgendermaßen gegliedert:

  • Anamnese der Lyme-Borreliose
  • Medizinisch-technische Vorbefunde
  • Bisher durchgeführte antibiotische Behandlung der Lyme-Borreliose
  • Aktuelle Hauptbeschwerden der Lyme-Borreliose
  • Anamnese sonstiger Erkrankungen
  • Derzeitige Behandlung


Anamnese der Lyme-Borreliose


Am 28.07.11 vormittags während der Arbeit Schweißausbruch, Herzklopfen, rascher Pulsschlag und allgemeine Schwäche.

Die Beschwerden traten plötzlich auf. Der Kläger musste seine berufliche Arbeit (Landschaftsgärtner, Vorarbeiter) unterbrechen und setzte sich auf eine niedrige Mauer. Nach Beschwerdebeginn nahm die Beschwerdesymptomatik kontinuierlich zu. Eine halbe Stunde nach Auftreten der Beschwerden entschloss sich der Kläger nach Hause zu fahren. Er forderte seinen Mitarbeiter auf, ihn auf der Fahrt zu begleiten. Während der Autofahrt bemerkte der Kläger eine Schwäche und Einschränkung der Beweglichkeit in der linken Hand und im linken Arm. Die Strecke von der Baustelle bis nach Hause betrug 40 km. Auf halber Distanz, d.h. nach etwa
20 km musste die Fahrt unterbrochen werden, der Kläger parkte in einer kleinen Parkbucht am Rande einer Landstraße. Er setzte die Warnblinker in Betrieb, stieg aus und legte sich auf eine in der Nähe befindliche Wiese.


Der begleitende Mitarbeiter nahm sofort per Mobilphone Kontakt mit dem Betrieb des Klägers auf. Er teilte mit, dass es dem Kläger sehr schlecht ginge und man möge sofort einen Krankenwagen schicken. Nach etwa 15 Minuten traf der Krankenwagen ein und brachte den Kläger zum Krankenhaus der Barmherzigen Brüder, Trier. Der benutzte PKW (Firmenwagen) wurde später vom Betrieb abgeholt.


Etwa 20 Minuten nach Eintreffen im Krankenhaus erfolgte erstmalig ärztliche Untersuchung und zwar in der Ambulanz. Bei der Untersuchung wies der Kläger auf die Schwäche und die Gefühlsstörung im linken Arm und in der linken Hand hin. Bei der orientierenden Untersuchung durch den Ambulanzarzt war jedoch kein krankhafter Befund zu erheben. Da der Arzt jedoch den Eindruck hatte (nach Auskunft des Klägers), dass der Allgemeinzustand des Patienten deutlich eingeschränkt war, veranlasste er vorsorglich die stationäre Aufnahme. In den kommenden Stunden kam es zu einer raschen Besserung des Beschwerdezustandes. Am Nachmittag war der Patient praktisch beschwerdefrei. Er entschloss sich daher, gegen ärztlichen Rat das Krankenhaus wieder zu verlassen.


Zu Hause angekommen, nahm der Kläger eine Dusche und legte sich danach (entgegen üblichen Verhaltens) ins Bett, da er sich ungewöhnlich müde fühlte. Während der Nacht war der Schlaf sehr unruhig, zum Teil mit Schlafstörungen, vermehrter Schweißneigung. Trotz weiterhin beeinträchtigtem Allgemeinzustand ging der Kläger am 29.07.11, also einen Tag nach Auftreten des Ereignisses erneut auf die Baustelle, sein Allgemeinzustand war jedoch zu diesem Zeitpunkt deutlich eingeschränkt, d.h. er musste etwa die Hälfte der Arbeitszeit im Sitzen verbringen und machte nur leichte Arbeiten. Dieser Zustand dauerte insgesamt etwa eine
Woche.


Seit 07/11 rezidivierten zahlreiche Phasen, in denen folgende Beschwerden bestanden:

  • Fatigue
    (musste sich mittags oft hinlegen, im Firmenwagen)
  • Allgemeine Müdigkeit
  • Herzklopfen
  • Nackenschmerzen
  • Gelenkschmerzen
  • Tinnitus rechts
  • Schlafstörungen
  • Vermehrte Schweißneigung
  • Wirbelsäulenschmerzen
  • Muskelzuckungen
    (Myoklonien)
  • Rezidivierende Durchfälle
  • Reduzierte allgemein körperliche Kraft

Diese Beschwerdesymptomatik rezidivierte in der Folgezeit und trat etwa einmal im Monat für jeweils eine Woche auf.


Von 07-12/11 erfolgte Untersuchung durch verschiedene Ärzte und Fachärzte. Keine eindeutige Diagnose, keine Behandlung.


01/12 erstmalig Borrelienserologie (durch den Hausarzt). Das Ergebnis war pathologisch. Aufgrund des damals bestehenden Beschwerdebildes und der positiven Serologie veranlasste der Hausarzt umgehend die stationäre Aufnahme im Klinikum Merzig.

Der entsprechende Arztbrief des Krankenhauses Merzig vom 25.01.12 (Bl. 35-37 Verwaltungsakte) enthält folgende wesentliche Inhalte:


Diagnose:
Borreliose, Lyme-Arthritis, Verdacht auf Karditis
Intermittierend AV-Block Mobitz und Wenckebach
Verdacht auf stattgehabte TIA


(Stellungnahme Dr. Berghoff: Der Arztbrief enthält keine Anamnese).


Der körperliche Untersuchungsbefund war unauffällig. Im Langzeit-EKG zeigte sich ein AV-Block II Typ Wenckebach mit RR-Intervallen von maximal 2,25 sek. Der Liquor war unauffällig. Die Serologie für Borrelien im Blut war positiv. Die Ärzte schlossen aus dem Laborbefund auf eine spätere Infektionsphase (Stadium II: Meningitis, Meningoradikulitis, Karditis, Stadium III, Lyme-Arthritis, Acrodermatitis chronica atrophicans, Encephalomyelitis).


(Stellungnahme Dr. Berghoff: Diese Passage ist unzutreffend und unverständlich. Entscheidend ist, dass bei dem Patienten die o.g. Störungen im Erregungsleitungssystem des Herzens nachweisbar waren, ein Befund, der mit einer Lyme-Borreliose vereinbar ist. Die Karditis und insbesondere Überleitungsstörung im AVB sind ein häufiges Vorkommnis im Zusammenhang mit der Lyme-Borreliose).


Die Ärzte im Krankenhaus Merzig gingen also (offensichtlich) von einer Lyme-Borreliose im Spätstadium aus und leiteten eine antibiotische Behandlung mit Ceftriaxon 2g täglich für drei Wochen ein. Unverständlicherweise sprechen die Ärzte des Krankenhauses Merzig im Arztbrief von einer Lyme-Arthritis, obwohl sie andererseits einen entsprechenden Befund bei der körperlichen Untersuchung nicht erwähnen. Nach Auskunft des Klägers bestand nie eine Kniegelenksentzündung (Lyme-Arthritis), wohl litt er unter den oben geschilderten Gelenkschmerzen und zwar Schmerzen in großen Gelenken.


Nach der Behandlung kam es zu einer gewissen Linderung der Beschwerdesymptomatik, allerdings nicht zu deren Beseitigung. Während der dreiwöchigen Infusionsbehandlung bestand Arbeitsunfähigkeit. Die Art der Symptome nach der antibiotischen Behandlung war dieselbe wie vor Erkrankung, wie gesagt, war jedoch die Intensität weniger ausgeprägt; die Beschwerden bestanden in der Folgezeit etwa für eine Woche im Monat. Bei solchen Schüben konnte die berufliche Tätigkeit zwar fortgesetzt werden, allerdings war die Erbringung körperlich belastender Arbeiten nicht möglich. Schwere Arbeiten wurden von den Kollegen übernommen.


Im Vergleich zu 2012 besteht heute eine ähnliche rezidivierende Beschwerdesymptomatik, allerdings mit einer leicht weniger ausgeprägten Intensität.


Aktuell bestehen folgende Hauptbeschwerden:

  • Fatigue
    (legt sich am Wochenende regelmäßig tagsüber hin, das Gleiche gilt für sonstige Freizeiten, gelegentlich auch an Arbeitstagen mittags im Firmenwagen. Alle sportlichen Aktivitäten sind seit 2011 eingestellt (früher Fußballer))
  • Nackenschmerzen
  • Rezidivierende Kopfschmerzen
  • Herzklopfen
  • Tinnitus rechts
  • Rezidivierende Gelenkschmerzen
  • Rezidivierende Wirbelsäulenschmerzen
  • Gelegentlich Schlafstörungen

Seit 2012, d.h. seit der bisher einzigen antibiotischen Behandlung (Ceftriaxon) erfolgte die medizinische Betreuung bis heute ausschließlich durch den Hausarzt. Wesentliche diagnostische oder therapeutische Maßnahmen erfolgten über die letzten Jahre nicht.


Im Hinblick auf Medikamente ist der Kläger grundsätzlich sehr zurückhaltend, da er eine Medikamentenabhängigkeit befürchtet. Er zieht es in der Regel vor, die Schmerzen und sonstigen Beschwerden zu ertragen, dies insbesondere, da der Kläger bei Einnahme von Medikamenten oft Nebenwirkungen im Gastrointestinalbereich bekommt.

Der Hausarzt führte keine Überprüfung der zuvor festgestellten kardialen Erregungsüberleitungsstörungen durch (Mobitz, Wenckebach AVB II).


Einmal im Monat Fersenschmerzen, zuletzt vor einigen Tagen (unabhängig von Belastung).

 


Medizinisch-technische Vorbefunde


01/12 L-EKG:
AV-Block Mobitz und Wenckebach


01/12 Borrelienserologie:
Positiv
IgG AK 592 (Norm 25)
IgM AK 33 (Norm 25)
WB IgG VlsE, OspA, 18
WB IgM 41, (18)


Angio-MRT des Gehirns 08.09.14:
Unauffällig

 


Bisher durchgeführte antibiotische Behandlung wegen Lyme-Borreliose


01/12 Ceftriaxon 2 g, 3 Wochen

 


Aktuelle Hauptbeschwerden der Lyme-Borreliose

  • Fatigue
    (legt sich am Wochenende regelmäßig tagsüber hin, das Gleiche gilt für sonstige Freizeiten, gelegentlich auch an Arbeitstagen mittags im Firmenwagen. Alle sportlichen Aktivitäten sind seit 2012 eingestellt (früher Fußballer))
  • Nackenschmerzen
  • Rezidivierende Kopfschmerzen
  • Herzklopfen
  • Tinnitus rechts
  • Rezidivierende Gelenkschmerzen
  • Rezidivierende Wirbelsäulenschmerzen
  • Gelegentlich Schlafstörungen

 

Sonstige Krankheiten


Keine

 


Derzeitige Behandlung


Keine

 


Allgemeinmedizinischer Befund


Blutdruck 110 / 70 mmHg
SR 68 / min.
Größe 178 cm
Gewicht 78 kg


Druckempfindlichkeit im Bereich der Tibia proximal unterhalb des Kniegelenkes medial und lateral. Nackenschmerz bei Kopfwendung zu beiden Seiten. Haut und Muskelskelettsystem unauffällig.


Auch sonst keine Auffälligkeiten:
Kopf normal konfiguriert, keine lokalen Klopfempfindlichkeiten, NAP frei, Mund- und Rachenraum unauffällig, Halsvenen nicht gestaut, über den Carotiden keine pathologischen Strömungsgeräusche, Schilddrüse nicht vergrößert, nicht konsistenzvermehrt, über den Lungen allseits Vesikuläratmen, keine pathologischen Nebengeräusche, normale Atemverschieblichkeit der Zwerchfelle, Herzaktion regelmäßig, keine Herz-Rhythmus-Störungen, Herz auskultatorisch unauffällig, Leber und Milz nicht vergrößert, nicht konsistenzvermehrt, keine abdominellen Resistenzen oder Druckempfindlichkeiten, Nierenlager nicht klopfempfindlich, Gelenke und
Wirbelsäule frei beweglich, normaler Pulsstatus, keine Lymphome.

 


Neurologischer Befund


Tinnitus rechts. Sonst Hirnnerven frei. Keine Paresen. MER normal. Keine pathologischen Reflexe. Sensibilität und Koordination intakt. Armvorhalteversuch, Beinhalteversuch, Romberg-Stehversuch und Seiltänzergang unauffällig.

 


Medizinisch-technische Befunde


EKG in Ruhe:

Sinusrhythmus 46 / min., keine Herz-Rhythmus-Störungen, keine Änderung der Erregungsüberleitung oder –rückbildung, PQ 0,18 sek., QRS 0,06 sek., QT 0,32 sek.


Beurteilung: Sinusbradykardie 46 / min.
(Verdacht auf kranken Sinusknoten)


Blutgasanalyse:

Im Normbereich. SO2 98 %.


Lungenfunktionsprüfung:

FVC 104 Normprozent. FEV1 107 Normprozent.


Beurteilung: Normale Lungenfunktion

Sonographie Schilddrüse:

Schilddrüsenlappen und Isthmus normal groß, normal konfiguriert, Echostruktur unauffällig.


Beurteilung: Normalbefund


Sonographie Gallenblase:

Normal groß, normal konfiguriert, frei von Binnenechos, Gallenblasenwände nicht verdickt und von glatter Oberflächenstruktur.


Beurteilung: Normalbefund


Sonographie Leber:

Leber normal groß, Leberränder unauffällig, organspezifische Echostruktur, Portalsystem und Gallengangsystem unauffällig.


Beurteilung: Normalbefund


Sonographie Nieren:

Von normaler Form und Größe, normale Korrelation zwischen Parenchym und Hohlsystem, normale Echostruktur des Parenchyms.

 

Beurteilung: Normalbefund


Sonographische Untersuchung hirnversorgender Arterien:

Carotiden normal weit, von gleichmäßiger Struktur, Wände glatt, keine Intima- oder Mediasklerose, kein Hinweis für arteriosklerotische Plaques, keine Stenosen.


Beurteilung: Normalbefund


Sonographie Pankreas:

Organ von normaler Form und Größe. Caput, Corpus und Cauda vollständig darstellbar, normale Echostruktur, Ductus wirsungii nicht erweitert.


Beurteilung: Normalbefund

Sonographie Aorta abdominalis:

Normale Weite der Aorta, Wände zart strukturiert, kein Anhalt für Arteriosklerose.


Beurteilung: Normalbefund


Sonographie Milz:

Ohne pathologischen Befund


Echokardiographie:

Herzhöhlen normal weit, Myokard nicht verdickt, Klappen morphologisch und funktionell intakt, keine regionale oder globale Hypokinesie.


Beurteilung: Normales Echokardiogramm


Dopplersonographische Untersuchung hirnversorgender Arterien (Duplex):

Normale Flusskurven über allen Arterien des Carotiden-Systems und der Aa vertebrales. Unauffälliger Kompressionsversuch.


Beurteilung: Normalbefund


Dopplersonographische Untersuchung der Beine:

Blutdruck systemisch 110 mm Hg.
Rechts: Tibialis posterior 130 mm Hg, Tibialis anterior 130 mm Hg.
Links: Tibialis posterior 120 mm Hg, Tibialis anterior 120 mm Hg.


Beurteilung: Normalbefund

 


Labor

 


Borrelienserologie
Westernblot IgG Banden 14, VlsE

Die übrigen Laborwerte lagen im Normbereich. Einzelwerte siehe anliegendes EDVProtokoll (Anlage 7).

 


Stellungnahme zu den Vorgutachten


Bei den Akten befindet sich ein Vorgutachten:


Internistisches Fachgutachten Universitätsklinik Mainz 31.10.14 (176-203, Verwaltungsakten).


Zu diesem Gutachten wurde im Abschnitt „Aktenübersicht“, Seite 5 – 12 detailliert Stellung genommen. An dieser Stelle werden die Einwände epikritisch zusammengefasst.


Unzutreffend ist die Behauptung des Vorgutachters, dass die „chronische Lyme-Erkrankung“ als Krankheit nicht definiert sei. Tatsächlich ist die chronische Lyme-Borreliose identisch mit der Lyme-Borreliose im Spätstadium. Es handelt sich um eine persistierende Infektion, die zu Krankheitsphänomenen über Jahre, mitunter Jahrzehnte führt.


Das Post-Lyme-Syndrom stellt eine Hypothese dar. Der Begriff beschreibt einen Zustand nach antibiotischer Behandlung einer gesicherten Lyme-Borreliose, bei der ein und dieselben Symptome vor und nach antibiotischer Behandlung vorliegen. Hypothetisch wird davon ausgegangen, dass die durchgeführte antibiotische Behandlung die Heilung der Lyme-Borreliose garantiert. Dies ist jedoch durch Literatur nicht belegt. Die Annahme einer grundsätzlich heilenden antibiotischen Behandlung stellt eine Hypothese dar, folglich ist auch die Schlussfolgerung (Post-Lyme-Syndrom) eine Hypothese, d.h. Prämisse und Schlussfolgerungen sind hypothetisch.


Die Bezugnahme auf die IDSA und deren Leitlinien aus 2000 ist nicht haltbar, da die IDSA nach den Rechtsbestimmungen in den USA regelmäßig die Leitlinien aktualisieren muss, dieser Termin ist um Jahre überschritten, zurzeit liegen also keine verbindlichen Leitlinien der IDSA vor.


Die Absurdität einer Negierung der chronischen Lyme-Borreliose ergibt sich u. a. aus der Tatsache, dass bei der chronischen Lyme-Borreliose (Synonym: Lyme-Borreliose im Spätstadium) eine typische Hautveränderung in 10% der Fälle auftritt, nämlich eine Acrodermatitis chronica atrophicans, die für das Spätstadium der Lyme-Borreliose und somit auch für die chronische Lyme-Borreliose krankheitsbeweisend ist.


Darüber hinaus liegt umfangreiche Literatur vor, die ein Persistieren der Krankheit und des Krankheitserregers über Jahre trotz wiederholter antibiotischer Behandlung belegt.


Die Behauptung des Vorgutachters, dass die geschilderten Beschwerden (des Klägers) bei Patienten mit chronischer Lyme-Borreliose ebenso häufig vorkommen wie in einer altersgematchten gesunden Kontrollgruppe entspricht ebenfalls nicht den Tatsachen. Die angesprochene Publikation (Seltzer et al, 2000) wählte die Kontrolluntersuchung aus einer Gruppe, bei der zuvor eine Lyme-Borreliose diagnostiziert worden war. Die Kontrollgruppe bestand also keineswegs aus gesunden (und zuvor nicht an Lyme-Borreliose erkrankten) Personen.


Die Bezugnahme im Vorgutachten auf die Serologie ist überflüssig, da beim Kläger in 2012 ein hoch pathologischer serologischer Befund erhoben wurde (vgl. Seite 17).


Die Diskussion des Vorgutachters über den Lymphozytentransformationstest und dessen diagnostische Bedeutung bei der Lyme-Borreliose ist ebenfalls überflüssig, da eine derartige Untersuchung beim Kläger nie durchgeführt wurde.


Unzutreffend und provokant ist die Behauptung des Vorgutachters, dass die Beschwerden des Klägers „in der Literatur und der Presse“ unter dem Begriff „Post-Lyme-Disease-Syndrom“ zusammengefasst werden. Der Vorgutachter selbst stellt fest, dass das Post-Lyme-Disease-Syndrom keine definierte Krankheit darstellt, daher ist der Hinweis des Vorgutachters, dass die Beschwerden des Klägers unter dem Begriff „Post-Lyme-Disease-Syndrom“ zusammengefasst werden, unverständlich und irreführend.


Als Argument gegen eine Lyme-Borreliose weist der Vorgutachter auf das Fehlen einer chronischen Lyme-Karditis, Lyme-Arthritis oder einer Neuroborreliose hin. Solche Manifestationen kommen jedoch nur in 20% - 40% der Fälle vor, sie sind also für die Diagnose einer Lyme-Borreliose im Spätstadium keinesfalls obligat. Dass der Vorgutachter in diesem Zusammenhang (Fehlen der o.g. Manifestationen) schlussfolgert, dass „ein Post-Lyme-Disease-Syndrom nicht ausgeschlossen werden kann“, ist unverständlich, da er im Zusammenhang mit dem Post-Lyme-Disease-Syndrom eine definierte Krankheit (nosologische Entität) ausschließt.


Unbegründet und willkürlich ist auch die Behauptung, dass „nach stattgehabter adäquater antibiotischer Therapie von einer Ausheilung einer chronischen Lyme-Borreliose auszugehen“ ist. Tatsächlich hat die antibiotische Behandlung als Monotherapie bei der Lyme-Borreliose im Spätstadium eine Versagerquote von 50%. Der Kläger wurde ein einziges Mal antibiotisch behandelt und zwar in 01/12 mit Ceftriaxon 2 g, 3 Wochen. Dass eine solche Behandlung die Beseitigung der Lyme-Borreliose im Spätstadium garantiert, kann durch Literatur nicht belegt werden. Tatsächlich wurde in zahlreichen Publikationen die oben angeführte Versagerquote von etwa 50% dargestellt.

 


Befunde, die für eine Lyme-Borreliose sprechen


Zunächst sei festgestellt, dass beim Kläger in 2012 eine Erkrankung des atrioventrikulären Knotens auftrat (AV-Block Mobitz und Wenckebach). Eine solche passagere Störung der Erregungsüberleitung des Herzens ohne nachfolgenden chronischen oder chronisch rezidivierenden Verlauf ist ausschließlich bei der Lyme-Borreliose beschrieben. Dieser Befund ist für die in 2012 aufgetretene Lyme-Borreliose krankheitsbeweisend.


Folgende Befunde sprechen für eine Lyme-Borreliose:

  • Bis 2011 keine wesentlichen Gesundheitsstörungen
  • Bis 2011 sportlich aktiv, Fußballer, ab 2012 keine sportlichen Aktivitäten mehr möglich
  • 2011 (mit hoher Wahrscheinlichkeit) passagere Durchblutungsstörung des Gehirns (TIA)
    (in Verbindung mit Herz-Rhythmus-Störungen (AVB II (Mobitz, Wenckebach)),
    zudem möglicherweise durch Vaskulitis im Rahmen einer Borreliose)
  • Bereits seit 07/11 bestehende Beschwerden vereinbar mit Lyme-Borreliose:
    • Fatigue
      (musste sich mittags oft hinlegen)
    • Erschöpfung, Müdigkeit
    • Gelenkschmerzen
    • Tinnitus rechts
    • Schlafstörungen
    • Vermehrte Schweißneigung
    • Wirbelsäulenschmerzen
    • Myoklonien
  • 01/12 erstmalig Borrelienserologie
    (Ergebnis pathologisch)
  • 01/12 Diagnose Krankenhaus Merzig:
    Borreliose
  • 01/12 Linderung der Beschwerden unter Ceftriaxon
    (jedoch nicht Beseitigung der Beschwerdesymptomatik)


Befunde, die gegen eine Lyme-Borreliose sprechen

  • Keine

Sonstige Ursachen (Krankheiten) der aufgeführten Beschwerden wurden differentialdiagnostisch ausgeschlossen.

 


Anmerkungen zur Diagnostik der Lyme-Borreliose im Spätstadium

Für die Lyme-Borreliose steht derzeit kein sogenannter positiver Marker zur Verfügung, d.h. es gibt keine Untersuchungsmethode, insbesondere keine Laboruntersuchung, die bei positivem Ausfall die Erkrankung (Lyme-Borreliose) beweisen könnte. Daher muss sich die Diagnose der Lyme-Borreliose auf die Differentialdiagnose oder Ausschlussdiagnostik stützen. Sämtliche beim Patienten
vorliegenden Symptome sind auf ihre Ursächlichkeit zu überprüfen und die nicht in Betracht kommenden Krankheiten (außer Lyme-Borreliose) sind im Rahmen einer solchen Ausschlussdiagnostik zu eliminieren.


Allerdings gibt es für die Lyme-Borreliose 4 Krankheitsbeweise:

  • Erythema migrans
  • Acrodermatitis chronica atrophicans
  • Akute Lyme-Neuroborreliose mit entsprechendem Liquorbefund
  • Erregernachweis

Das Erythema migrans ist beweisend für das Frühstadium der Lyme-Borreliose, jedoch auch für das Spätstadium, wenn es in Form eines rezidivierenden Erythema migrans auftritt. Darüber hinaus wird ein Erythema migrans die Plausibilität einer chronischen Lyme-Borreliose (Lyme-Borreliose im Spätstadium) erhöhen, wenn unmittelbar nach dem Frühstadium oder auch nach einem beschwerdefreien Intervall von Monaten oder mitunter Jahren Beschwerden auftreten, die mit einer chronischen Lyme-Borreliose vereinbar und differentialdiagnostisch nicht anders erklärbar sind.


Die Acrodermatitis chronica atrophicans ist für das Spätstadium beweisend.


Eine akute Lyme-Borreliose mit typischen Krankheitsmanifestationen und einem pathologischen Liquorbefund (positiver Antikörperindex Borrelien) gilt als eine gesicherte Diagnose.
Der Erregernachweis (Borrelien) mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR) oder Kultur wird bei entsprechender Symptomatik und Beachtung der Differentialdiagnose als Beweis einer bestehenden Lyme-Borreliose angesehen. – Jedoch gelingt der Erregernachweis nur selten, d.h. die Methoden sind wenig empfindlich. Aufgrund dieser geringen Sensitivität gehören Untersuchungen zum Erregernachweis nicht zur Routinediagnostik.

Die Diagnose einer chronischen Lyme-Borreliose stützt sich also auf folgende Säulen:

  • Anamnese
  • Körperlicher Untersuchungsbefund
  • Medizinisch-technische Untersuchungen (Serologie belegt nur die stattgehabte Infektion, nicht die Krankheit (Lyme-Borreliose))
  • Differentialdiagnose

Das Problem des fehlenden Krankheitsmarkers liegt auch bei einigen anderen Erkrankungen vor, z.B. sonstigen chronischen Infektionskrankheiten und z.B. bei der Multiplen Sklerose.


Da die Lyme-Borreliose im Spätstadium, also grundsätzlich in vielen Fällen nicht beweisbar ist, sind die besonderen Konsequenzen auf juristischer Ebene zu bedenken, dies ist allerdings nicht Gegenstand eines medizinischen Gutachtens.

 


Zusammenfassung und Beurteilung


Bis 2011 keine wesentlichen Gesundheitsstörungen, sportlich aktiv (Fußballer). Seit 2011 mussten alle sportlichen Aktivitäten eingestellt werden.


In 07/11 wahrscheinlich Auftreten einer TIA. In Anbetracht aller medizinischen Daten kommt als Ursache ausschließlich eine Vaskulitis im Rahmen einer Lyme-Borreliose in Betracht.


07/11 bei Auftreten der TIA erstmalig Nachweis einer schweren Störung der Erregungsleitung des Herzens (AVB II, Mobitz, Wenckebach). Aufgrund der Herz-Rhythmus-Störungen und der zu diesem Zeitpunkt positiven Borrelienserologie gingen die betreuenden Ärzte (Krankenhaus Merzig) von einer Lyme-Borreliose aus und behandelten antibiotisch mit Ceftriaxon 2 g für drei Wochen.

Danach oblag die Betreuung dem Hausarzt, der in den nachfolgenden Jahren jedoch keine elektrokardiographischen Kontrollen durchführte. Es ist also unbekannt, über welchen Zeitraum der AVB II bestand.


Ein passagerer AVB II ohne nachfolgende chronische oder chronisch rezidivierende Phase kommt nur bei der Lyme-Borreliose vor. Andere (unbehandelte) Krankheiten können in diesem Zusammenhang als Ursache ausgeschlossen werden. Der aufgetretene AVB II ist also in 2012 für die Lyme-Borreliose (mit hoher Wahrscheinlichkeit) krankheitsbeweisend.


Zeitnah zu TIA und AVB II traten zudem zahlreiche weitere Symptome auf vereinbar mit einer Lyme-Borreliose:

  • Fatigue
    (muss sich mittags hinlegen)
  • Nackenschmerzen
  • Gelenkschmerzen
  • Tinnitus rechts
  • Schlafstörungen
  • Vermehrte Schweißneigung
  • Wirbelsäulenschmerzen
  • Myoklonien

Diese seit 2011, also zeitnah zum krankheitsbeweisenden AVB II aufgetretene Beschwerdesymptomatik ist einer Lyme-Borreliose zuzuordnen, differentialdiagnostisch wurden andere Krankheiten als Ursache im Rahmen der jetzigen Begutachtung ausgeschlossen.


01/12 erstmalig Borrelienserologie, Ergebnis pathologisch.


Seit der Erkrankung in 2012 persistieren bis heute die oben genannten Beschwerden, allerdings in etwas geringerer Intensität.


Die in 2012 durchgeführte antibiotische Behandlung war inadäquat. Die Behandlung setzte erst sechs Monate nach Krankheitsbeginn ein, d.h. die erste antibiotische Behandlung begann, als bereits ein Spätstadium vorlag. In dieser Situation muss mit einer Versagerquote der antibiotischen Behandlung (Monotherapie) von etwa 50 % gerechnet werden.


Durch eine adäquate Behandlung (synchron kombinierte antibiotische Langzeitbehandlung) könnte das Krankheitsbild möglicherweise deutlich gebessert werden. Bei einer solchen Behandlung wäre allerdings wie üblich Vorteil (Besserung
der Symptomatik) und Nachteil (Nebenwirkungen der Medikamente) gegeneinander abzuwägen.


Bei der jetzigen körperlichen Untersuchung ergaben sich keine wesentlichen pathologischen Befunde. Die Borrelienserologie ist auch aktuell pathologisch, im Westernblot IgG wurden die hoch spezifischen Banden 14 und VlsE nachgewiesen.


Aufgrund der Datenlage und insbesondere aufgrund des deutlich erhöhten Infektionsrisikos (Zeckenbiss, Borrelieninfektion) bei der beruflichen Tätigkeit als Landschaftsgärtner ist davon auszugehen, dass die bestehende Lyme-Borreliose im Spätstadium eine Berufskrankheit nach Nr. 3102 der Anlage zur BKV darstellt.


Seit 2011, d.h. seit Krankheitsbeginn besteht eine Minderung der Erwerbsfähigkeit infolge der Berufskrankheit (Lyme-Borreliose) von 50%.


In den einschlägigen Tabellen zur gesetzlichen Unfallversicherung ist die Lyme-Borreliose im Spätstadium nicht ausdrücklich einbezogen, daher wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit in Analogie abgeschätzt, sie liegt bei 30%.

 


Diagnosen


Lyme-Borreliose im Spätstadium

 


Beantwortung der Beweisfragen


1. Lyme-Borreliose
Es bestehen im Wesentlichen folgende Funktionsbehinderungen:

  • Fatigue mit herabgesetzter Leistungsfähigkeit
    (insbesondere herabgesetzte körperliche Belastbarkeit)
  • Muskelskelettschmerzen

2. Die Berufskrankheit sowie deren Gesundheitsstörungen und Funktionsbehinderungen sind ausschließlich Folge der Lyme-Borreliose und mit einer Wahrscheinlichkeit von deutlich über 50% Folge der beruflichen Tätigkeit


Sonstige Krankheiten liegen nicht vor


3. Die Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 3102 der Anlage zur BKV liegen vor


4. Es handelt sich um eine Lyme-Borreliose. Der berufsbedingte Grad der MdE beträgt 30 durchgehend seit Krankheitsbeginn in 07/11


5. Eintritt des Versicherungsfalles 07/11

 


Gutachten genießen den Schutz des Urheberrechts (§§ 1, 2, 11, 15 des UrhG vom 09.09.1965, BGB 1.1, S. 1273). Sie dürfen daher nur für den Zweck, für den sie erstellt worden sind, verwendet werden. Dies ist auch bei Weitergabe einer Kopie an den Untersuchten, seinen Hausarzt oder Rechtsanwalt zu beachten. Dieses Schriftstück darf ohne Einwilligung des Gutachters nicht zur Verfügung sonstiger Ansprüche verwertet werden.

 

 


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PD Dr. med. W. Berghoff

 


Literaturverzeichnis
Anlagen


Inhaltsverzeichnis der Anlagen:
Seite 5 Anlage 1
Seite 7 Anlage 2
Seite 8 Anlage 3
Seite 11 Anlage 4
Seite 11 Anlage 5
Seite 12 Anlage 6
Seite 22 Anlage 7