Medizinische Begutachtung


Stellungnahme Berufungsbegründung Behandlungsfehler


Priv. Doz. Dr. med. W. Berghoff
Facharzt für Innere Medizin

Telemannstraße 1
53359 Rheinbach, den 16.12.2015
Telefon 02226 - 2041
Telefax 02226 - 2044


Priv. Doz. Dr. med. Berghoff – Telemannstraße 1 – 53359 Rheinbach

 

Herrn Rechtsanwalt

Hansjörg Haack

Lotter Straße 108

49078 Osnabrück


49/15/HC
XXX / Uniklinik Münster
Ihr Schriftsatz vom 04.12.15

 


Sehr geehrter Herr Dr. Haack,


im Folgenden nehme ich Stellung zu dem Entwurf Ihrer Berufungsbegründung. Die eventuell zu korrigierenden Passagen in Ihrem Textentwurf habe ich durch Randziffern gekennzeichnet und werde unter den entsprechenden Ziffern Stellung nehmen. Den mit Randziffern gekennzeichneten Text füge ich als Anlage bei.


1.
Durch diese Aussage hat die Mutter der Klägerin in einer für einen medizinischen Laien äußerst präzisen und deutlichen Art und Weise das Krankheitsbild eines akuten Abdomens beschrieben.


2.
(Anmerkung: Bei der Klägerin handelte es sich um die Problematik eines perforierten Magenulcus im Bereich der Hinterwand. Dabei handelt es sich in der Regel um eine zunächst lokalisierte gedeckte Perforation, die wesentlich weniger dramatisch im Vergleich zu einer freien intraperitonealen Perforation. Die Schmerzen treten verzögert (allmählich) auf. Die Krankheitszeichen zeigen oft eine erhebliche Verzögerung und die körperliche Untersuchung ist häufig nicht eindeutig. Umso mehr ist in einer solchen Situation einer gedeckten Perforation eines Hinterwandulcus die gesamte klinische Situation für die Diagnose maßgebend. Eine Abwehrspannung ist zunächst nicht vorhanden und ist für eine gedeckte Perforation im Bereich der Hinterwand nicht obligat).


3.
Vermehrte Wassereinlagerung als Zeichen eines beginnenden Schockgeschehens (septischer Schock bei Peritonitis). – Rascher Anstieg des CRP-Wertes auf 30 signalisiert mit hoher Wahrscheinlichkeit eine schwere bakterielle Infektion. Ähnlich ist auch die Leukozytose zu werten.


4.
… gekommen ist, der nur mit einer akuten bakteriellen Infektion erklärt werden konnte. Darüber hinaus hat er nicht berücksichtigt, dass neben dem extrem angestiegenen CRP-Wert weitere Symptome eines akuten Abdomens und septischen Schocks vorlagen.


5.
… verkannt, dass sich ein derart großer Magenhinterwanddefekt und die hochgradige, das gesamte Abdomen erfassende Peritonitis nicht innerhalb von Stunden sondern …


6.
Aufgrund dieses weit fortgeschrittenen Krankheitsbildes sind die am 27.02.08, spätestens aber am 28.02.08 aufgetretenen Symptome bereits Ausdruck der gedeckten Perforation der Magenhinterwand mit progredienter diffuser Peritonitis.


7.
Die wesentliche Symptomatik, wie sie bei einem akuten Abdomen im Zusammenhang mit einem perforierten Magengeschwür der Hinterwand, zunächst gedeckter Perforation und nachfolgender Peritonitis auftritt, wurde von der Zeugin XXX …


8.
… ersichtlich seien. In diesem Zusammenhang wurde von den Gutachtern nicht die Besonderheit der Symptomatik bei gedeckter Perforation eines Magenulcus im Bereich der Hinterwand berücksichtigt (vgl. Ziffer 2). Insbesondere sei noch einmal darauf hingewiesen, dass eine Abwehrspannung in einer solchen Situation bei Weitem nicht obligat ist. Die Diagnose muss sich, wie oben dargestellt, aus dem klinischen Gesamtzusammenhang ergeben.


9.
… zu schlussfolgern, dass vor dem 29.02.08 kein akutes Abdomen und keine Zeichen eines septischen Schocks vorgelegen haben kann, da sie nicht dokumentiert wurden.


10.
… eingreift, wonach nach Ihrem Vortrag von einem akuten Abdomen spätestens ab dem 28.02.08 auszugehen ist und zwar morgens um 07:00 Uhr. Unter dem 28.02.08 ist auf den Tageskurven vermerkt: „07:00 Uhr Visite, Lasix 20 mg 2 x 1, Patientin fiebert über 38 Grad, Tachykard (120)“. Diese Eintragung spiegelt mit hohem Informationswert die tatsächlich vorliegende klinische Situation eines akuten Abdomens mit septischem Schock wider.


11.
(Anmerkung: Laut Eintragung auf den Rückseiten der Tageskurve, bei denen es sich offensichtlich um ärztliche Notizen handelt, heißt es unter dem Datum 29.02.08: „29.02.08: 07:00 Uhr abdominelle Abwehrspannung, Darmgeräusche spärlich, bitte abführende Maßnahmen, Lasix 20 mg, kinderchirurgisches Konsil. 08:00 Uhr KCMKonsil angemeldet. Laut Oberarzt Koch Klysma bei Nichtwirken Dulcolax“.


12.
Die Symptomatik bei einer zunächst gedeckten Perforation eines Magenulcus im Hinterwandbereich ist weniger akut und zeigt einen verzögerten Verlauf im Vergleich zu einer offenen Perforation in den Bauchraum. Eine Abwehrspannung ist für die Diagnose eines akuten Abdomens in dieser Situation bei weitem nicht obligat (vgl. Ziffer 2).


13.
(Anmerkung: Eine günstige Prognose bei einem perforierten Magengeschwür setzt operative Intervention innerhalb von 6 Stunden voraus. 12 Stunden nach Perforation ist die Prognose signifikant schlechter. – Ein akutes Abdomen erfordert eine sofortige röntgenologische Abdomenübersicht. Diese hätte bereits am frühen Morgen des 28.02.08 erfolgen müssen. Tatsächlich erfolgte sie mit über 24-stündiger Verzögerung am Mittag des 29.02.08. Bei Betrachtung des Krankheitsverlaufes wäre bereits am Morgen des 28.02.08 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Luft im Bauchraum mittels Röntgenuntersuchung nachweisbar gewesen).


14.
Bei einem akuten Abdomen ist die röntgenologische Übersicht des Bauches die primäre diagnostische Maßnahme. Diese wurde erst mit erheblicher Verzögerung durchgeführt (vgl. Ziffer 13). Im vorliegenden Fall war nach Nachweis von freier Luft im Bauchraum eine sofortige operative Intervention erforderlich (vgl. Ziffer 13). Ein akutes Abdomen mit freier Luft im Bauchraum erfordert nach Lehrmeinung ein sofortiges operatives Eingreifen. (Es sollte nicht auf Wikipedia Bezug genommen werden, sondern auf die wissenschaftliche Literatur, siehe Anlage 1, UpToDate).


15.
(Anmerkung: Ein perforiertes Magenhinterwandgeschwür führt nicht typischerweise zu Schmerzen im Rückenbereich. Vielmehr sind die Symptome weniger dramatisch als bei freier interperitonealer Perforation. Die Oberbauchbeschwerden treten nur allmählich auf, oft mit Verzögerung und die körperliche Untersuchung ist widersprüchlich. Bezüglich der Problematik ist entscheidend, dass als
Erstmaßnahme eine Abdomenübersicht erfolgt im Hinblick auf freie Luft im Bauchraum. Erneut sei darauf hingewiesen, dass bei Peritonitis eine Verzögerung der operativen Maßnahme von mehr als 12 Stunden nach Perforation die Prognose verschlechtert (Anlage 2).


Entscheidend ist allerdings, dass in der (spärlichen) ärztlichen Dokumentation nicht dokumentiert ist, dass Schmerzen eher am Rücken, in der Nähe zum Operationsgebiet zugeordnet waren. Lediglich in der ärztlichen Notiz vom 27.02.08 (!) wird der Begriff „(Rückenschmerz)“ im Zusammenhang mit der postoperativen Schmerzbehandlung nach Wirbelsäulenoperation erwähnt (Anlage 3).


16.
Wie oben bereits mehrfach ausgeführt, ist eine Ulcusperforation im Bereich der Magenhinterwand ein symptomatischer Sonderfall. Entscheidend ist, dass in einer solchen Situation (gedeckte Perforation eines Hinterwandulcus, bakterielle Peritonitis) eine Abwehrspannung bei weitem nicht obligat ist. In der gegebenen Situation waren Anamnese und klinisches Bild sowie die bereits genannte starke Erhöhung von CRP und der Anstieg der Leukozyten für die Diagnose maßgebend.


17.
(Anmerkung: Die Orthopäden hätten auch ohne abdominelle Abwehrspannung die schwerwiegende abdominelle Erkrankung erkennen müssen).


18.
Laut ärztlicher Notiz (ohne Datum, wahrscheinlich 29.02.08, in der Anlage 3 fälschlicherweise als wahrscheinlich 27.02.08 bezeichnet) heißt es: „Laut Oberarzt Koch: Klysma, bei Nichtwirken Darmrohr“. Im Zusammenhang mit dieser therapeutischen Maßnahme werden keine Angaben zur Diagnose gemacht. Es ist daher ungeklärt, aus welchem Grunde Dr. Koch Klysma und ggfs. Darmrohr
verordnete, obwohl zu diesem Zeitpunkt ein akutes Abdomen mit schwerster Peritonitis bestand. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Dr. Koch die Diagnose des akuten Abdomens mit Peritonitis nach Perforation erst nach Anfertigung der röntgenologischen Abdomenübersicht am 29.02.08 gegen 12:00 Uhr stellte und zwar aufgrund der nachgewiesenen freien Luft im Bauchraum. In diesem Zusammenhang ist also ein schwerer Behandlungsfehler durch Dr. Koch nicht auszuschließen (vgl. Anlage 3).


19.
Die Anamnese, d.h. der gesamte Krankheitsverlauf seit dem 27.02.08 hat Dr. Koch anamnestisch nicht analysiert. Er hätte durch Rücksprache mit den betreuenden Ärzten (Orthopäden) eine objektive Anamnese erheben müssen.


20.
(Anmerkung: Auch ohne Abwehrspannung hätte Dr. Koch das Krankheitsbild des akuten Abdomens bei der Erstuntersuchung sofort diagnostizieren müssen).


21.
Die Diagnose eines akuten Abdomens mit freier Luft im Bauchraum wurde durch Dr. Koch wahrscheinlich erstmals am 29.02.08 gegen 12:00 Uhr gestellt. Die Operation erfolgte am Nachmittag, einige Stunden später nach der (verspäteten) Diagnosestellung.


22.
Das spätestens seit dem 28.02.08 bestehende schwere Krankheitsbild wird auch aus den Schilderungen der Mutter sichtbar.

 

 

 

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PD Dr. med. W. Berghoff

 


Anlagen
Inhaltsverzeichnis der Anlagen:
Seite 1 Mit Randziffern gekennzeichneter Text
Seite 4 Anlage 1
Seite 5 Anlage 2
Seite 5 Anlage 3