Lehrbuch Lyme-Borreliose


VORWORT

Die Lyme-Borreliose (LB) ist eine bakterielle Infektion, ausgelöst durch den nach seinem Entdecker benannten Erreger Borrelia burgdorferi (Bb). Überträger ist die Schildzecke (Ixodes ricinus, Holzbock), deren Verbreitung sich auf Zonen gemäßigten Klimas beschränkt, so dass auch die Lyme-Borreliose nur in solchen Regionen vorkommt. Der Erreger gehört zur Gattung der Borrelien und zur Familie der Spirochaetaceae. Zu dieser Familie gehört auch das Treponema pallidum, der Erreger der Syphilis; entsprechend zeigen sich zahlreiche klinische Parallelen zwischen der Syphilis und der Lyme-Borreliose. Der Begriff Lyme-Borreliose geht auf den Entdeckungsort (Lyme, nahe New York, USA) zurück und soll das Krankheitsbild der Borreliose durch Bb von Krankheiten durch andere Borrelien abgrenzen.

Die LB führt nach Dissemination des Krankheitserregers zur Schädigung zahlreicher Organe und Organsysteme (Multiorgan-, Multisystemerkrankung) und weist oft einen über Jahre, mitunter Jahrzehnte anhaltenden chronischen Verlauf bei persistierender Infektion auf.

Die LB ist die häufigste chronische bakterielle Infektion in gemäßigten Klimazonen. Wissenschaftliche Daten zur Häufigkeit sind begrenzt, jedoch wird eine Prävalenz bis zu 1 % der Bevölkerung diskutiert, also eine Größenordnung wie etwa bei der rheumatoiden Arthritis.

Die Entdeckung der LB und des Krankheitserregers (Bb) um 1980 löste eine intensive wissenschaftliche Forschung aus, dennoch sind bis heute zahlreiche diagnostische und therapeutische Probleme ungelöst. Insbesondere nach Chronifizierung, d.h. bei der LB im Spätstadium, ergeben sich erhebliche diagnostische Probleme und Limitierungen der Behandlung.

Für die LB im Spätstadium existiert kein positiver Krankheitsmarker, insbesondere steht keine Laboruntersuchung zur Verfügung, die bei pathologischem Befund die Krankheit beweisen würde. Die Diagnose der LB im Spätstadium basiert daher weiterhin im Wesentlichen auf klinischen Daten und der Differentialdiagnose. Die LB im Spätstadium ist also oft eine Ausschlussdiagnose. Der Befall zahlreicher Organe führt zu einem breiten Symptomenspektrum mit der Folge einer schwierigen und breiten Differentialdiagnose. Zudem werden in der wissenschaftlichen Literatur seit vielen Jahren Kontroversen hinsichtlich Diagnose und Therapie der LB im Spätstadium ausgetragen, die eine solide Basis für Erkennung und Behandlung der LB im Spätstadium erschweren.

Das vorliegende Buch beachtet die zur Problematik vorliegende umfangreiche Literatur und dient im Wesentlichen der Darstellung klinischer Daten, differentialdiagnostischen Aspekten und der Diskussion kontrovers eingeschätzter Zusammenhänge.

Eine weitere Zielsetzung betrifft die medizinische Begutachtung bei LB, bei der die Erkrankung oft unter Anführung falscher Argumente verneint wird. Ein Teil der Literatur vermittelt den Eindruck, dass die LB im Spätstadium eine systematische Verneinung erfährt, sowohl im medizinischen als auch gutachtlichen Bereich. Eine solche systematische Verneinung ist ein Spezifikum der LB; die Gründe sind unklar, dürften jedoch auf der unzureichenden diagnostischen und therapeutischen Basis, der Komplexität der Erkrankung und der umfangreichen Differentialdiagnose beruhen.

Die LB im Spätstadium stellt nicht selten eine erhebliche Krankheitsbelastung dar mit Beeinträchtigung von Lebensqualität, Lebensstrukturierung und Sozialfunktionen. Durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, Verlust des Arbeitsplatzes, Zerstörung von Partnerschaften und sozialer Einbindung sowie forensische Benachteiligung entsteht soziale Not; die Patienten sind nicht nur von der Krankheit selbst, sondern auch von hochgradigen sozialen Belastungen betroffen.

Anliegen des vorliegenden Buches ist eine möglichst umfassende Information der betreuenden Ärzte und auch der Patienten selbst und im gutachtlichen Bereich, zur Richtigstellung unzutreffender Argumentation beizutragen.

Um den Zugang zu dieser umfangreichen Problematik zu erleichtern wird die LB im Rahmen eines Überblicks im Kapitel 3 orientierend dargestellt. Das nachfolgende Kapitel 4 befasst sich mit den so genannten Coinfektionen der LB, d.h. mit anderen Infektionskrankheiten, die ähnliche Symptome wie die LB hervorrufen können und die zum Teil gleichzeitig mit der LB von Zecken übertragen werden. Diskutiert wird die Möglichkeit, dass gleichzeitiges Vorliegen von Lyme-Borreliose und so genannten Coinfektionen (Mehrfachinfektionen) die Beschwerdesymptomatik verschlimmert und sich nachteilig auf die Therapie auswirkt.

Bei besonders wichtigen Kapiteln der LB wurde die Problematik jeweils relativ umfassend dargestellt.

Die hieraus resultierenden Überschneidungen und Wiederholungen im Hinblick auf andere Kapitel wurde bewusst in Kauf genommen.

Auch an dieser Stelle sei bereits darauf hingewiesen, dass für die antibiotische Behandlung der Lyme-Borreliose im Spätstadium keine Evidenz-basierten Studien vorliegen. Für die im Buch erwähnten Behandlungsschemata kann folglich keine Gewährleistung übernommen werden.