Die folgende Epikrise (in deutscher Übersetzung) bezieht sich auf folgende Publikation:
Daniel J. Cameron
Proof That Chronic Lyme Disease Exists
Hindawi Publishing Corporation
Interdisciplinary Perspectives on Infectious Diseases
Volume 2010, Article ID 876450
Abstract
Mit ständig zunehmender Evidenz zeigt sich, dass die chronische Lyme-Borreliose existiert und eine gesundheitspolitische Lösung fordert. Vier Studien des National Instituts of Health (USA) zeigen
die Existenz und Ausprägung der chronischen Lyme- Borreliose. Trotz dieser Evidenz wird die Existenz der chronischen Lyme-Borreliose von einigen Ärzten verneint und damit Bemühungen um die
Problemlösung behindert. Würde das Problem der chronischen Lyme-Borreliose adäquat realisiert, ergäben sich Vorteile, die in Studien der NIH beschriebene diagnostische Verzögerung von 2 Jahren
und die Dauer der Erkrankung von 4,7 bis 9 Jahren zu
verhindern. Bei der Risikoabwägung muss der Sorge über die Entwicklung von Antibiotikaresistenzen das soziale Risiko der Bevölkerung durch die chronische Lyme-Borreliose entgegengestellt werden.
Auch sollte die Entwicklung von erkrankten Kindern in entsprechenden Studien untersucht werden. Die Mediziner sollten ermutigt werden, folgende Probleme zu untersuchen:
Eine retrospektive Studie in Massachusetts zeigt, dass (im Mittel) 6 Jahre nach Behandlung einer Lyme-Borreliose 34% der Patienten an folgenden Krankheitsmanifestationen litten: Arthritis,
Gelenkschmerzen, neurokognitive Störungen, Neuropathie, Myelopathie (1). In einer anderen Studie zeigten 62% der Patienten nach Behandlung wegen Lyme-Borreliose persistierende Beschwerden:
Gelenkschmerzen, Arthritis, kardiale und neurologische Krankheitsmanifestationen, Fatigue. All diese Beschwerden wurden im Durschnitt 3,2 Jahre nach Behandlung einer Lyme-Borreliose festgestellt
(2). In der Studie von Klempner (3) wiesen die untersuchten Patienten nach vorausgehender antibiotischer Behandlung der Lyme- Borreliose weiterhin Beschwerden auf und zwar für eine Dauer von
durchschnittlich 4,7 Jahre nach Beginn der Erkrankung: Muskelskelettschmerzen, neurokognitive Symptome, Dysästhesien, häufig Fatigue. In der Studie von Fallon (4) hatten Patienten, die zuvor
mindestens 3 Wochen antibiotisch behandelt worden waren, weiterhin einen positiven IgG Westernblot und Störungen des Gedächtnisses und zwar über einen Zeitraum von durchschnittlich 9 Jahren nach
Beginn der Erkrankung (4). In der Arbeit von Krupp (5) wiesen die Patienten persistierendes schweres
Fatigue für mindestens 6 oder mehr Monate nach antibiotischer Behandlung auf.
Überdies kann mit hoher Evidenz festgestellt werden, dass die Symptome der chronischen Lyme-Borreliose eine erhebliche Krankheitsausprägung haben (3-8).
Trotz dieser offensichtlichen Daten der o.g. Studien stellt die IDSA (Infectious Disease Society of America) die Existenz einer chronischen Lyme-Borreliose in Frage (9). Die IDSA bezieht die
chronischen Krankheitsmanifestationen der Lyme-Borreliose auf ein Post-Lyme-Disease-Syndrom. Dabei impliziert die Bezeichnung (PLDS), dass die Lyme-Borreliose erfolgreich behandelt wurde, die
verbleibenden Symptome harmlose Spuren einer vorausgegangenen Krankheit seien und die Patienten geheilt wurden. Der Begriff PTLD (Post-Treatment-Lyme-Disease) impliziert lediglich, dass die
Lyme-Borreliose mit Antibiotika für 10 bis 30 Tage behandelt wurde. Dagegen beinhaltet der Begriff „chronische Lyme-Borreliose“ die chronische Persistenz der Erkrankung mit oder ohne Hinweis auf
eine aktive Infektion, wobei der Krankheitszustand differentialdiagnostisch nicht durch eine andere Ursache erklärbar ist.
Zur Zeit gibt es keine Möglichkeit (Marker), eine aktive Infektion mit Sicherheit auszuschließen. Serologische Untersuchungen, die die Diagnose einer Lyme-Borreliose bestätigen, erlauben keine
Beurteilung, ob die Infektion erfolgreich behandelt wurde. Typische Krankheitsmanifestationen, wie Facialisparese, Erythema migrans, Meningitis, Arthritis, AV-Block machen eine
Lyme-Borreliose
wahrscheinlich, ihr Fehlen schließt jedoch eine chronische Lyme-Borreliose nicht aus.
Eine retrospektive Studie zeigte, dass Patienten mit anamnestischem Hinweis auf eine Lyme-Borreliose signifikant häufiger an folgenden Beschwerden litten: Gelenkschmerzen, beeinträchtigtes
Gedächtnis, Behinderung infolge Schmerzen. Dies war auch der Fall, wenn bei den Patienten keine objektiven Befunde bei der körperlichen Untersuchung oder bei neurokognitiven Testverfahren
festzustellen waren (10).
In experimentellen Studie an der Maus konnte die Persistenz von Borrelien trotz antibiotischer Behandlung nachgewiesen werden, wobei übliche diagnostische Tests negativ waren (11, 12). Es ist
also festzustellen, dass weder klinische noch labortechnische Marker existieren, die zuverlässig eine Erradikation des Erregers (Borrelia burgdorferi) belegen.
Die IDSA stellt die Belastung durch eine chronische Lyme-Borreliose in Frage. Symptome, die nach der von der IDSA empfohlene antibiotische Kurzzeitbehandlung persistierten oder rezidivierten,
wurden nicht als Ausdruck der persistierenden Erkrankung, also der chronischen Lyme-Borreliose angesehen oder anderer von Zecken übertragenen sogenannten Coinfektionen, sondern vielmehr als
Zwicken und Zwacken (aches and pains) im Alltagsleben aufgefasst. Die IDSA vertritt diese Ansicht, trotz der vier Studien der NIH, in denen die Heftigkeit der Symptome validiert wurde und zwar im
Hinblick auf Fatigue, Schmerz, Sozialfunktion, psychopathologische Störung, kognitive Leistung und Lebensqualität (9).
Selbst in einer prospektiven Studie der Lyme-Borreliose wiesen 10%-16% der Patienten nach Behandlung eines Erythema migrans persistierende Symptome über einen durchschnittlichen Zeitraum von 30
Monaten auf und zwar in Korrelation zur Dauer der durchgeführten antibiotischen Behandlung. Dabei ist überdies eine Unterschätzung dieser persistierenden Symptome aufgrund methodischer Mängel der
Studie denkbar (14).
Bei anderen Infektionserkrankungen (TBC, Bronchitis, Harnwegsinfekte) wird bei Rückfall der Infektion routinemäßig erneut behandelt, um eine chronische Entwicklung zu verhindern. Es ist daher
unverständlich, dass ein solches Vorgehen nicht auch für Patienten mit chronischer Lyme-Borreliose gelten soll.
Eine Verzögerung der Diagnose führt zu einer höheren Versagerquote bei der antibiotischen Behandlung (15). Auch wird die Diagnose einer chronischen Lyme-Borreliose oft erst mit erheblicher
Verzögerung gestellt und das selbst in Fällen, bei denen alle geforderten Kriterien der Centers for Disease Control (CDC) erfüllt waren: Erythema migrans, Facialisparese, Arthritis (15, 16).
Patienten mit einer Lyme-Neuroborreliose entwickelten in der Folge mit höherer Wahrscheinlichkeit neuropsychiatrische Störungen (Kopfschmerz, Aufmerksamkeitsprobleme, eingeschränktes Gedächtnis,
Depression). Dabei bestand die Kontrollgruppe aus Patienten, bei denen ausschließlich ein Erythema migrans aufgetreten war.
Bei Versagen der antibiotischen Therapie wurde die chronische Lyme-Borreliose differentialdiagnostisch übergangen. Steere ordnete solche persistierenden Beschwerden nicht einer chronischen
Lyme-Borreliose zu, sondern bezeichnete in 75% der Fälle die Symptome als „Fibromyalgie“ oder „chronisches Ermüdungssyndrom“ (18). In einer anderen Studie wurden die persistierenden
Symptome als „Arthralgie-Myalgie-Syndrom“, „primäre Depression“, „asymptomatischer Reh-Zeckenbiss“, „Arthrosen“ oder „Schleimbeutelentzündung“ bezeichnet (16). Bei Patienten mit Symptomen
vereinbar mit chronischer Lyme- Borreliose wurde nicht die entsprechende Diagnose gestellt, vielmehr wurde der Begriff „chronische multisymptomatische Krankheit (MUI (chronic multisymptom
illness))“ gewählt (19). Dabei wurden folgende Symptome für die Diagnose gefordert: Muskelskelettbeschwerden, Fatigue, mentale und kognitive Störungen, Fibromyalgie, chronisches Ermüdungssyndrom
oder Golfkrieg-Syndrom (19).
Die chronische Lyme-Borreliose kann erhebliche Kosten verursachen, eine Schätzung kommt zu dem Ergebnis, dass gut 16.000 USD pro Jahr für die Betreuung eines Patienten mit chronischer
Lyme-Borreliose anfallen (8).
Die Häufigkeit der chronischen Lyme-Borreliose wird von den CDC auf jährlich 23.000 Fälle in den USA geschätzt, die Dunkelziffer liegt jedoch wahrscheinlich zehnmal so hoch (8).
Die Häufigkeit der Lyme-Borreliose ergibt sich unter anderem aus Daten in Connecticut, USA. Ungefähr 1% der Bevölkerung erkranken jährlich an Lyme-Borreliose, 20%-25% aller Familien haben
zumindest einen Familienangehörigen, bei dem irgendwann Lyme-Borreliose diagnostiziert wurde. In 3%-5% aller Familien wurde irgendwann im Laufe der letzten Jahre Lyme-Borreliose diagnostiziert
(24).
Weitere Studien über die antibiotische Behandlung sind nicht geplant, obwohl die (maßgebenden) Studien von Klempner und Fallon erhebliche Einschränkungen hinsichtlich der Interpretation
aufweisen: Unklarheit bei der anfänglichen antibiotischen Behandlung, Fortbestehen der Krankheit trotz durchschnittlich 3 vorausgehender antibiotischer Behandlungen, lange zurückliegender Beginn
der
Erkrankung von durchschnittlich 4,7 Jahren, schlechte Lebensqualität der betroffenen Patienten, kleine Fallzahl (25). Ähnliches gilt für die Arbeit von Fallon. Halperin, ein Mitglied der
IDSA-Leitlinien-Kommission, sprach sich gegen weitere Studien über die Behandlung der Lyme-Borreliose aus (26).
Besondere Sorge bereiten die Krankheitsverläufe bei Kindern. 11% der Kinder mit einer Facialisparese wiesen bei einer sechsmonatigen Verlaufsbeobachtung weiterhin funktionelle und kosmetische
Probleme auf. 14% der Kinder entwickelten neurokognitive Symptome verbunden mit sonstigen klassischen Krankheitsmanifestationen einer chronischen Lyme-Borreliose (28). Gut 5% der Kinder zeigten
Verhaltensstörungen, kognitive Störungen mit Auswirkungen auf die Schulleistung, Kopfschmerzen, Erschöpfung und epileptische Anfälle. Kinder, bei denen zu Beginn der Erkrankung Störungen der
Hirnnerven auftraten, entwickelten
mit erheblich höherer Wahrscheinlichkeit Verhaltensstörungen, Gelenk- und Muskelschmerzen, Störungen des Gedächtnisses und zwar bei Verlaufsbeobachtungen über einen Zeitraum von 4 Jahren nach
Behandlung (29).
Bei der weiteren Problemlösung der chronischen Lyme-Borreliose sind folgende Ziele von besonderer Bedeutung: Neue Behandlungsformen der Lyme-Borreliose im Frühstadium zwecks Verhinderung einer
Chronifizierung, frühe Diagnose einer
chronischen Lyme-Borreliose, um den Behandlungserfolg zu verbessern, effektivere Medikamente zur Behandlung der chronischen Lyme-Borreliose, d.h. Hilfe für Patienten mit einer sich lang
hinziehenden Krankheit und resultierender schlechter Lebensqualität.