Medizinische Gutachten im Zusammenhang mit der Lyme-Borreliose (LB) betreffen Behandlungsfehler oder Ansprüche aus Versicherungen (vgl. Tab. 1). In beiden Fällen obliegt es dem Patienten (Kläger) den Behandlungsfehler oder seine Ansprüche gegenüber einer Versicherung zu belegen. Der Patient ist also beweispflichtig. Zunächst ist darzulegen, dass eine Lyme-Borreliose besteht oder vorgelegen hat, die Ansprüche des Patienten begrndet. Diesen Aspekten wird bei der Strukturierung des vorliegenden Textes entsprochen:
Gegenstand des Gutachtens
Der Gegenstand des Gutachtens hat zahlreiche Aspekte, die sich bei der Problematik von Behandlungsfehlern und Ansprüchen aus Versicherungen weitgehend überschneiden, d.h. die gutachterliche
Argumentation bei Behandlungsfehlern und Ansprüchen aus Versicherungen sind unter medizinischem Aspekt weitgehend kongruent. Unterschiedlich ist lediglich die juristische Grundlage, wie sie in
Tab. 1 dargestellt ist.
Behandlungsfehler betreffen entweder die Diagnose oder die durchgeführte Behandlung (vgl. Tab. 2).
Unter juristischem Aspekt gilt sowohl die Fehldiagnose als auch die falsche Behandlung als „Behandlungsfehler“. Ein Behandlungsfehler liegt also auch dann vor, wenn die Krankheit überhaupt nicht diagnostiziert wird oder eine falsche Diagnose zu Grunde gelegt wird (Fehldiagnose im engeren Sinne).
Ansprüche aus Versicherungen betreffen ganz überwiegend die chronische Lyme-Borreliose oder chronische Lyme-Neuroborreliose und einer hieraus resultierenden Minderung der Erwerbsfähigkeit.
Ansprüche aufgrund von Behandlungsfehlern (Fehldiagnose, Therapiefehler) können alle Stadien der Lyme-Borreliose betreffen.
Eine Rechtsproblematik bei der Frühphase der Lyme-Borreliose oder bei der akuten Lyme-Krankheit (Stadium II) kann sich ergeben, wenn die Situation diagnostisch verkannt wird oder keine adäquate
Behandlung eingeleitet wurde. Solche Fehler im
Frühstadium (Stadium I) und im Akutstadium (Stadium II) bedingen meistens Ansprüche in Form von Schmerzensgeld. Allerdings kann ein verkanntes Stadium I oder II oder eine in diesem Zusammenhang
inadäquate Behandlung zu Folgeschäden führen, so dass sich Ansprüche im Rahmen des Schadenersatzes ergeben.
Tab. 1 Gegenstand des Gutachtens |
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Tab. 2 Behandlungsfehler |
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So kann ein nicht diagnostiziertes oder nicht behandeltes Frühstadium, insbesondere bei Vorliegen eines Erythema migrans, die Verzögerung einer adäquaten Behandlung nach sich ziehen mit der Folge, dass sich eine chronische Lyme-Borreliose entwickelt. Die Literatur belegt vielfältig, dass eine rechtzeitige antibiotische Behandlung, d.h. innerhalb der ersten vier Wochen nach Infektionsbeginn, eine sehr viel günstigere Prognose hat als bei späterem Therapiebeginn [7, 251].
Das Akutstadium der Lyme-Borreliose (Stadium II) lässt sich meistens durch eine antibiotische Behandlung rasch und vollständig beherrschen. Dies betrifft jedoch lediglich die Akutmanifestationen,
z.B. eine akute Lyme-Neuroborreliose, Erkrankungen der Hirnnerven, akute Arthritiden oder mitunter auch kardiale Erkrankungen. Nicht selten kommt es jedoch nach antibiotischer Behandlung des
Akutstadiums (Stadium II) zu der Entwicklung eines Spätstadiums (chronische Lyme-Borreliose), die zu einem über Jahre oder gar Jahrzehnte anhaltendem chronischem Krankheitsbild führt. In diesem
Zusammenhang ist also zu beachten, ob nach
Beherrschung des Akutstadiums (Stadium II) ein eventuell fortbestehendes Krankheitsbild oder ein Rezidiv in Form einer chronischen Lyme-Borreliose diagnostiziert und adäquat behandelt wurden.
Die Zuordnung des Behandlungsfehlers im Hinblick auf Diagnose bzw. Behandlung ergibt sich aus der pathophysiologischen Kaskade der Lyme-Borreliose (vgl. Tab. 3). Fehler entstehen also entweder im
Frühstadium (Stadium I), nach Dissemination in
der Akutphase (Stadium II) oder in der Spätphase (chronische Lyme-Borreliose, Stadium III).
Behandlungsfehler im Frühstadium können die Diagnose oder die Behandlung betreffen. Die Fehldiagnose resultiert in aller Regel aus der Verkennung der Wanderröte (Erythema migrans, EM) oder des
Lymphozytoms. Beide Hautmanifestationen sind für das Frühstadium der Lyme-Borreliose krankheitsbeweisend und stellen eine Blickdiagnose dar. Vom betreuenden Arzt ist
also zu fordern, dass er das Erythema migrans bzw. das Lymphozytom bei der ersten Inspektion erkennt und ohne jegliche Verzögerung eine antibiotische Behandlung einleitet. Insbesondere ist nicht
vertretbar, dass bei einer Wanderröte das Ergebnis einer serologischen Untersuchung abgewartet wird. Durch ein solches Zuwarten wird die antibiotische Behandlung verzögert mit der möglichen Folge
einer geringeren Effizienz. Hinzu kommt, dass der serologische Befund oft erst vier bis
sechs Wochen nach Auftreten des Erythema migrans positiv wird. Unter diagnostischem und hieraus resultierendem therapeutischem Aspekt ist also mit aller Dringlichkeit zu fordern, dass die
Lyme-Borreliose im Frühstadium durch die
Blickdiagnose Erythema migrans bzw. Lymphozytom sofort diagnostiziert wird und dass sich ohne jegliche Verzögerung die antibiotische Behandlung anschließt.
Tab. 3 Pathophysiologische Kaskade der Lyme-Borreliose |
Zeckenstich
↓ |
Bei dem Erythema migrans kommen nicht selten Fehldiagnosen vor, da ein Erythema migrans von Ärzten mitunter nur dann diagnostiziert wird, wenn die anuläre Form vorliegt, d.h. ein „Bullenaugen-ähnliches Erythem“. Bei dieser auch als klassisch bezeichneten Hautveränderung handelt es sich um eine Strukturierung mit zentraler Stichstelle, einem umgebenden relativ blassen Hof und dem peripheren entzündlichen Randsaum. Diese anuläre Form liegt jedoch nur in 50% der Fälle vor, bei den übrigen Patienten stellt sich das Erythema migrans in Form einer mehr oder weniger gleichmäßigen Hautrötung dar (makuläres Erythem). Auch ist das Erythema migrans, wie oft fälschlich angenommen, nicht kreisrund sondern weist sehr variierende Formen auf [4, 8, 9, 12, 13, 117, 124, 200]. Auch die Größe des Erythema migrans, d.h. dessen Durchmesser, führt bei kleinen Größen nicht selten zu einer Fehldiagnose. Zu beachten ist das mögliche Vorliegen eines Mini-Erythems, d.h. eines Erythema migrans mit Durchmessern von 2-5 cm. Diese Mini-Erytheme sind in der Literatur beschrieben und wurden durch Erregernachweis bewiesen [12].
Auch muss ein Erythema migrans nicht am Ort des Zeckenstiches lokalisiert sein sondern kann primär in benachbarten Hautarealen auftreten. Nach Ausbreitung des Erregers im Organismus (Dissemination) kann sich ein Erythema migrans an beliebiger Stelle entwickeln; zudem kann es vielfältig im chronischen Verlauf (Stadium III) auftreten (Erythema migrans multiloculare).
Das Lymphozytom zeigt meistens eine gleichmäßige, also makuläre Form einer Hautrötung, zusätzlich weist die Hautrötung jedoch eine Schwellung auf. Solche Lymphozytome (Rötung, Schwellung) treten
insbesondere im Bereich gut durchbluteter Hautareale auf, z.B. Mamille, Skrotum, Ohrläppchen. Jedoch kann ein Lymphozytom in jeglichen Hautbereichen vorkommen [258]. Auch gibt es
Übergangs- und Kombinationsformen von Lymphozytom und EM (sog. atypisches EM [14]).
In 50% der Fälle einer Lyme-Borreliose im Frühstadium fehlt das EM oder das Lymphozytom [5, 7, 8, 9, 10, 11], so dass die Diagnose meistens verkannt wird. Nur bei eindeutigem Hinweis auf
zeitnahen Zeckenstich, hohes Infektionsrisiko und einen grippeähnlichen Krankheitszustand ohne eindeutige sonstige differentialdiagnostische Erklärung kann das Frühstadium der Lyme-Borreliose
ohne
EM diagnostiziert werden. Allerdings wird die Verkennung des Frühstadiums ohne EM im gerichtlichen Verfahren in der Regel nicht als Behandlungsfehler angesehen, sondern als schicksalhaft
aufgefasst (Tab. 4). Therapiefehler des Frühstadiums betreffen den Einsatz eines grundsätzlich unwirksamen Antibiotikums, die Verkennung, dass ein Antibiotikum keine Wirkung auf das EM zeigt
(Versagerquote 10% [119, 120, 121, 122]), eine unzureichende Behandlungsdauer oder ein verspäteter Behandlungsbeginn (Tab. 5). Die für die Behandlung eines Frühstadiums in Betracht kommenden
Antibiotika sind in Tab. 6 dargestellt.
Tab. 4 Frühstadium - Fehldiagnosen |
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Tab. 5 Frühstadium - Therapiefehler |
Inadäquate Behandlung
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Tab. 6 Antibiotische Therapie der Lyme-Borreliose (auf Basis der Literatur) |
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Stadium | Antibiotikum | Dosis | Dauer |
Frühstadium (lokalisiert) |
Doxycyclin | 400 mg tägl. |
Abhängig vom klinischen Verlauf, mind. 4 Wochen, bei fehlender Effizienz hinsichtlich EM höchstens 2 Wochen (dann wechseln) |
Minocyclin | 150-200 mg | ||
Azithromycin | 500 mg tägl. | ||
Clarithromycin | 1.500 mg tägl. | ||
Amoxicillin | 3000 mg tägl. | ||
Cefuroxim | 500 mg tägl. | ||
IDSA-Leitlinien: Minocyclin nicht einbezogen Azithromycin, Clarithromycin in Legende erwähnt, nur bei EM Erythromycin bei EM (in Legende erwähnt) |
Behandlungsfehler beim Akutstadium (Stadium II), d.h. falsche Diagnose und falsche Behandlung sind eine Rarität, da die schwerkranken Patienten meistens rasch einer stationären Behandlung
zugeführt werden. Noch seltener kommt es vor, dass eine
diagnostizierte akute Lyme-Borreliose (Stadium II) nicht adäquat behandelt wird. Behandlungsfehler können sich jedoch ergeben, wenn die akute Beschwerdesymptomatik im Stadium II durch die
Antibiose beherrscht wird, jedoch (oft grundsätzlich) davon ausgegangen wird, dass eine solche „adäquate antibiotische Behandlung“ nach Leitlinien, insbesondere auch basierend auf den
Leitlinien der IDSA (Infectious Diseases Society of America) die Beseitigung der Lyme-Borreliose garantiert. Nicht selten geht die Lyme-Borreliose jedoch nach Beherrschung des Akutstadiums, d.h.
nach Beseitigung der schwerwiegenden Symptomatik (Stadium II) in ein chronisches Stadium (Stadium III) über. Die in einer solchen Situation notwendige erneute oder längere antibiotische
Behandlung unterbleibt jedoch, da (fälschlicherweise) von einer adäquaten, d.h. die Lyme-Borreliose beseitigenden Antibiose im Stadium II ausgegangen wird. Die Verkennung der chronischen
Lyme-Borreliose nach dem Akutstadium (Stadium II) und die Unterlassung einer erneuten ggfs. längeren antibiotischen Behandlung stellen einen der häufigsten diagnostischen und therapeutischen
Behandlungsfehler bei der Lyme-Borreliose dar.
Die chronische Lyme-Borreliose (Spätphase, Stadium III) ist am Häufigsten mit Fehldiagnosen und Therapiefehlern verbunden. Die chronische Lyme-Borreliose wird häufig verkannt, da sie im Gegensatz
zu Frühstadium (Stadium I) und der akuten Lyme-Borreliose (Stadium II) schwerer erkennbar ist.
Die wichtigsten Faktoren einer Fehldiagnose der chronischen Lyme-Borreliose sind in Tab. 7 dargestellt.
Besondere Bedeutung in diesem Zusammenhang haben die Verkennung krankheitsbeweisender Faktoren, eine vollständig fehlende diagnostische Einordnung der LB („Krankheit ungeklärter Ursache“), die
Unterlassung andere Ärzte (Fachärzte) hinzuzuziehen oder die fälschliche Beziehung der LB-Beschwerden auf eine andere Krankheit (z.B. psychosomatische Erkrankung). Bei einer solchen
falschen Diagnose handelt es sich um eine Fehldiagnose in engerem Sinne.
Die Diagnose einer chronischen Lyme-Borreliose ist, wie gesagt, schwierig. Dies ergibt sich insbesondere aus der Tatsache, dass für die Diagnose der chronischen Lyme-Borreliose kein sogenannter
positiver Marker zur Verfügung steht. Aktuell gibt
es keine medizinisch-technische Untersuchung, insbesondere keine Laboruntersuchung, die bei positivem Ausfall die Existenz einer chronischen Lyme-Borreliose beweisen würde. Daher muss sich die
Diagnose der chronischen Lyme-Borreliose auf verschiedene Säulen stützen, die in Tab. 8 dargestellt sind.
Bei der Anamneseerhebung sind insbesondere die in Tab. 8 enthaltenen typischen objektivierbaren Manifestationen zu beachten.
Die anamnestische Recherche muss also insbesondere nach derartigen Krankheitsmanifestationen ausgerichtet sein und deren Zusammenhang mit dem Krankheitsverlauf, d.h. der chronischen
Lyme-Borreliose beachten. Auch in diesem
Zusammenhang sind Fehldiagnosen häufig, d.h. obwohl in der Anamnese zahlreiche krankheitstypische Manifestationen vorliegen, wird die Diagnose der chronischen Lyme-Borreliose negiert.
Besondere Bedeutung haben in diesem Zusammenhang die für die Lyme-Borreliose krankheitsbeweisenden Manifestationen, die in Tab. 9 wiedergegeben sind.
Tab. 7 Chronische LB - Fehldiagnosen |
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Tab. 8 Diagnostische Basis der chronischen LB |
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Tab. 9 Krankheitsbeweisende Manifestationen der Lyme-Borreliose |
Erythema migrans Lymphozytom (Frühstadium Stadium I) Akute LNB mit typischem Liquorbefund (intrathekale Antikörperbildung Stadium II) ACA (Spätstadium Stadium III) Erregernachweis (sehr niedrige Sensivität Stadium I, II, III) |
Das Erythema migrans und das Lymphozytom sind krankheitsbeweisend für das Frühstadium (Stadium I), die akute Lyme-Neuroborreliose mit typischem Liquorbefund beweisend für eine akute Lyme-Neuroborreliose, die Akrodermatitis chronica atrophicans (ACA) beweist das Spätstadium, also das Vorliegen einer chronischen Lyme-Borreliose. Allgemein anerkannt, wenngleich mit kleinen Einschränkungen, gilt der Erregernachweis bei entsprechender Krankheitsgestalt und Krankheitsverlauf als krankheitsbeweisend für die chronische Lyme-Borreliose, logischerweise aber auch für das Stadium I und II.
Die Missachtung solcher krankheitstypischer oder gar krankheitsbeweisender Faktoren bei Anamneseerhebung oder Krankheitsverlauf stellen bei Verkennung der chronischen Lyme-Borreliose im
juristischen Sinne einen Behandlungsfehler dar.
Weitere wesentliche Basis für die Diagnose der chronischen Lyme-Borreliose und auch der Lyme-Borreliose in anderen Stadien ist die körperliche Untersuchung. Bei der chronischen Lyme-Borreliose
deckt die körperliche Untersuchung oft krankhafte Befunde auf, die einer chronischen Lyme-Borreliose zugeordnet werden können und durch andere Ursachen, d.h. andere Erkrankungen nicht erklärbar
sind. Dies gilt bei einem chronischen Krankheitsverlauf selbstverständlich auch für Befunde, die vorübergehend bestanden und sich aus der Anamnese bzw. vorliegenden medizinischen Dokumenten
ergeben.
Hieraus folgt, dass eine mangelhafte körperliche Untersuchung oder die Missachtung früher erhobener krankhafter Befunde unter dem Aspekt der diagnostischen Sorgfalt nicht akzeptiert werden
können, d.h. die Nichtberücksichtigung pathologischer körperlicher Untersuchungsbefunde stellt ebenfalls einen Behandlungsfehler dar.
Oft zeigen auch medizinisch-technische Untersuchungen pathologische Befunde, die auf eine Lyme-Borreliose oder Lyme-Neuroborreliose zurückgeführt werden können und durch andere Ursachen, d.h.
andere Krankheiten nicht erklärbar sind. All diese
pathologischen medizinischen Befunde, die sich aus der aktuellen Untersuchung sowie den vorliegenden Berichten und vorausgehenden Untersuchungsbefunden ergeben, sind wesentlicher Bestandteil der
diagnostischen Analyse; die Nichtbeachtung wäre fehlerhaft und rechtsstreitig relevant.
Besonders häufig sind Fehleinschätzungen im Zusammenhang mit der Serologie. Hierbei handelt es sich um den Nachweis von Antikörpern im Wesentlichen im Blutserum. Bei der Serologie gilt
grundsätzlich, dass der Nachweis von Antikörpern (Seropositivität) lediglich die stattgehabte Infektion mit Borrelien nachweist, über die Existenz und Intensität der Krankheit, d.h. der
Lyme-Borreliose jedoch keinerlei Aussagen zulässt. Bei der chronischen Lyme-Borreliose gilt dies sowohl für die Zunahme von Antikörpern, die Abnahme von Antikörpern oder gar das vollständige
Fehlen von Antikörpern. Nur in seltenen besonderen Fällen, in denen die
Krankheitsausprägung mit der Zunahme von Antikörpern zeitlich parallel läuft, spricht eine solche Zunahme beim serologischen Befund für eine persistierende chronische Lyme-Borreliose. Nahezu
eindeutig ist die Situation bei zunächst negativem Befund (Ausgangswert) und kurze Zeit später auftretenden Antikörpern (Seropositivität) mit zeitlicher Korrelation zu einer Krankheitssymptomatik
die mit Lyme-Borreliose vereinbar ist.
Von besonderer medizinischer und somit auch juristischer Bedeutung ist die Tatsache, dass die chronische Lyme-Borreliose nicht selten eine Ausschlussdiagnose darstellt. Hierunter ist zu
verstehen, dass sämtliche beim Patienten oder Kläger vorliegenden Beschwerden auf ihre Ursachen zu überprüfen sind. Ergibt sich nach einer solchen differentialdiagnostischen Analyse, dass nur
die
Lyme-Borreliose nicht aber andere Erkrankungen beim Patienten oder Kläger vorliegen, die die Beschwerdesymptomatik erklären, kann die Diagnose einer chronischen Lyme-Borreliose mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Eine solche Differentialdiagnose mit dem Ziel der Ausschlussdiagnose ist also sowohl vom betreuenden Arzt als auch vom medizinischen Gutachter zu
fordern.
Neben diesen rein medizinischen Zusammenhängen ist vom medizinischen Gutachter bei der Krankheitsanalyse ein wichtiger juristischer Aspekt zu beachten, nämlich der sogenannte Kausalzusammenhang.
Dieser Aspekt hat besondere Bedeutung im Zusammenhang mit einer Unfallversicherung.
Die Prinzipien des Kausalzusammenhanges sind in Tab. 10 dargestellt. Der Zusammenhang zwischen Zeckenstich bzw. Borrelieninfektion einerseits und der Entwicklung der Lyme-Borreliose, insbesondere
bei chronischer Lyme-Borreliose, sind also plausibel darzustellen. Diese Beweisführung obliegt dem Kläger bzw. dem medizinischen Gutachter. Handicap in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass
ein Zeckenstich nur in 30% der Fälle vom Erkrankten anamnestisch angegeben
wird oder bemerkt wurde [173-176], dass ein Erythema migrans nur bei 50% der Patienten mit chronischer Lyme-Borreliose anamnestisch belegbar ist [5, 7-11].
Der juristisch geforderte Nachweis des Kausalzusammenhanges hat fundamentale Bedeutung im Zusammenhang mit einem Behandlungsfehler, d.h. einer Fehldiagnose und resultierenden Ansprüchen aus Unfallversicherungen.
Therapiefehler der chronischen Lyme-Borreliose ergeben sich selbstverständlich nur dann, wenn die antibiotische Behandlung inadäquat war. Dabei ist es jedoch unter juristischem Aspekt völlig
unwichtig, ob die durchgeführte antibiotische Behandlung
wirksam war, d.h. tatsächlich die chronische Lyme-Borreliose beseitigte. Allein entscheidend ist, ob der betreuende Arzt eine antibiotische Behandlung nach Leitlinien der Fachgesellschaften
(Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlichmedizinischer
Fachgesellschaften, AWMF) durchführte (vgl. Tab. 11).
Tab. 10 Der Kausalzusammenhang |
Zeckenstich (30% der Fälle) (Eintrag in Unfallbuch bei BG-Fall) ↓ (Erythema migrans (in 50% der Fälle)) ↓ Chronische LB + ggf. chronische LNB ↓ Folgeschäden |
Tab. 11 Chronische LB - Fehlbehandlung |
Einsatz von Antibiotika die nach Art und Behandlungsdauer nicht den Empfehlungen der IDSA (Infectious Diseases Society of America) oder den nationalen Fachgesellschaften (AWMF, Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher medizinischer Fachgesellschaften) entsprechen (vgl. Tab. 12 und 13) |
Behandlungsfehler in Form einer Fehlbehandlung liegen also nur bei Verstoß gegen diese Leitlinien vor, die alle ursprünglich auf die Auffassung der IDSA (Infectious Diseases Society of America) zurückgehen. Behandlungsfehler der chronischen Lyme-Borreliose sind also nur anzunehmen, wenn die in diesen Leitlinien genannten Antibiotika nicht zum Einsatz kamen oder wenn die von der IDSA und den sonstigen internationalen und nationalen Fachgesellschaften empfohlene Behandlungsdauer von zwei bis vier Wochen nicht beachtet wurden.
Die Therapieempfehlungen der IDSA [266] sind in Tabelle 12 dargestellt. Eine aktuelle Therapieempfehlung aus 2011, autorisiert durch die IDSA, enthält die Tabelle 13. Besonders sei darauf
hingewiesen, dass in der Legende dieser Tabelle (13) festgestellt wird, dass Rückfälle nach allen aufgeführten antibiotischen Behandlungen vorkommen können, so dass ein zweiter
Behandlungszyklus
erforderlich wird.
Tab. 12 Antibiotische Behandlung der LB Empfehlung der IDSA (Deutsche Übersetzung) |
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Antibiotikum | Dosierung (Erwachsene) | Dosierung (Kinder) |
Amoxicillin | 500 mg 3 x 1 | 50 mg / kg KG in 3 Dosen tägl. |
Doxycyclin | 100 mg 2 x 1 |
für Kinder < 8 Jahren nicht empfohlen > 8 Jahre 1-2 mg / kg KG, 2 x tägl. |
Cefuroxim | 500 mg 2 x 1 | 30 mg / kg KG in 2 tägl. Dosen |
Ceftriaxon | 2 g i.v. | 25-100 mg / kg KG |
Cefotaxim | 2 g, 3 x tägl. | 150-200 mg / kg KG in 3-4 Dosen tägl. |
Penicillin G | 18-24 Mio I.E. in 4 Dosen tägl. |
200.000-400.000 I.E. in 6 Dosen tägl. |
Tab. 13 (autorisiert durch IDSA, nach UpToDate 2011) (Deutsche Übersetzung) |
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Antibiotikum | Dosierung (Erwachsene) | Dosierung (Kinder) |
(Erythema migrans, Frühstadium) | ||
Doxycyclin | 100 mg 2 x 1, 3 Wochen | ab 8. Lebensjahr 2 mg / kg KG, 2 x 1, 10-21 Tage |
Amoxicillin | 500 mg 3 x 1, 2-3 Wochen | 50 mg / kg KG in 3 Dosen tägl. |
Cefuroxim | 400 mg 2 x 1, 2-3 Wochen | 30 mg / kg KG, aufgeteilt in 2 Tagesdosen |
(Fazialisparese) | ||
Doxycyclin | 100 mg 2 x 1, 2-4 Wochen | ab 8. Lebensjahr 2 mg / kg KG, 2 x tägl. |
(Meningitis, Encephalitis, Radikuloneuritis) | ||
Ceftriaxon | 2 g, 4 Wochen (10-28 Tage) | 50-75 mg / kg KG, 4 Wochen (10-28 Tage) |
(bei Unverträglichkeit von Ceftriaxon Cefotaxim oder Doxycyclin) | ||
(Karditis) (AVB I) |
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Doxycyclin | 100 mg 2 x 1, 3 Wochen (2-3 Wochen) |
ab 8. Lebensjahr 2 mg / kg KG, 2 x tägl., 3 Wochen (2-3 Wochen) |
Amoxicillin | 500 mg 3 x 1, 2-3 Wochen | 50 mg / kg KG, aufgeteilt in 3 Tagesdosen, 3 Wochen (2-3 Wochen) |
Cefuroxim | 500 mg 2 x 1, 3 Wochen (2-3 Wochen) | 30 mg / kg KG aufgeteilt in 2 Tagesdosen, 3 Wochen (2-3 Wochen) |
(AVB II-III) | ||
Ceftriaxon | 2 g, 3 Wochen | 50-75 mg / kg KG, 3 Wochen |
(Arthritis) | ||
Doxycyclin | 100 mg 2 x 1, 4 Wochen |
ab 8. Lebensjahr 2 mg / kg KG 2 x tägl. |
Amoxicillin | 500 mg 3 x 1, 4 Wochen | 50 mg / kg KG aufgeteilt in 3 Tagesdosen, 4 Wochen |
(Arthritis + neurologische Manifestationen) | ||
Ceftriaxon | 2 g, 4 Wochen (2-4 Wochen) | 50-75 mg / kg KG, 4 Wochen (2-4 Wochen) |
(rezidivierende Arthritis trotz vorausgehender oraler Antibiose) | ||
Doxycyclin | 100 mg 2 x 1, 4 Wochen | ab dem 8. Lebensjahr 2 mg / kg KG 2 x tägl., 4 Wochen |
Amoxicillin | 500 mg 3 x 1, 4 Wochen | 50 mg / kg KG in 3 Tagesdosen, 4 Wochen |
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Unter Einbeziehung auch mikrobiologischer Studien sind in der Tabelle 14 alle Antibiotika aufgeführt, die sich als wirksam gegenüber Borrelia burgdorferi erwiesen haben. Antibiotika, die diese Tabelle nicht enthält, sind folglich zur Behandlung der Lyme-Borreliose nicht geeignet.
Tab. 14 Wirksame Antibiotika bei Lyme-Borreliose |
||||
Antibiotikum | intrazellulär wirksam | liquorgängig | wirksam auf zystische Formen | Plasmahalbwertzeit |
Betalactame | ||||
Ceftriaxon | - | (+)* | - | 8 Std |
Cefotaxim | - | (+)* | - | 1 Std |
Cefuroxim-Axetil (Benzyl-Penicillin) |
- | - | - | 1 Std |
(G-Penicillin) (Benzyl-Penicillin) |
- | + | - | 40 Min |
(Benzathin) | - | + | - | 3 Tage |
(Phenoxymethyl- Penicillin) |
- | - | - | 30 Min |
Amoxicillin | - | - | - | 1 Std |
Imipenem | - | (+) (5%) | - | 1 Std |
Mezlocillin | - | (+)* | - | 1 Std |
Ertapenem | - | (+)* | - | 5 Std |
Meronem | - | (+)* | - | 1 Std |
Piperacillin | - | (+)* | - | 45 Min |
Tetracycline | ||||
Doxycyclin | + | (+) 14% | - | 15 Std |
Minocyclin | + | + 40% | - | 15 Std |
Makrolide | ||||
Clarithromycin | + | - (2-5%) | - | 4 Std |
Azithromycin | + | - | - |
68 Std (Gewebshalbwertzeit) |
Telithromycin | + | - | - |
2-3 Std |
(Roxithromycin n. Gasser [153]) |
+ | - | - |
10 Std |
Gyrase-Hemmer |
||||
Gemifloxacin | + | + (20%) | - | > 12 Std |
Metronidazol*** | + | + | + | 7 Std |
Hydroxychloroquin | + | + | + |
30-60 Tage (Gewebshalbwertzeit) |
Tygecyclin** | + | + | + | 42 Std |
Angabe der Wirkdauer (Plasmahalbwertzeit), der Liquorgängigkeit, der intrazellulären Wirkung und der Wirkung auf zystische Formen. Liquorgängigkeit: Liquor / Serum-Konzentration
in %.
**Tygecyclin gehört zur Klasse der Glycylcyclin-Antibiotika, in vitro hoch wirksam gegen Borrelien, ist liquorgängig, wirkt *** Metronidazol wirksam gegen Zysten, jedoch nicht gegen mobile Borrelien. |
Behandlung nach Leitlinien (AWMF) schließt grundsätzlich einen Therapiefehler (Behandlungsfehler) aus, auch dann wenn die Behandlung unter medizinischem Aspekt völlig erfolglos war. Obwohl in der
Literatur umfangreich dargestellt ist, dass eine antibiotische Behandlung bei der chronischen Lyme-Borreliose versagen kann und zwar bei Standardbehandlung nach den Leitlinien der
Fachgesellschaften bei etwa 50% der Patienten mit chronischer Lyme-Borreliose [4, 13, 117, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 200], ist davon auszugehen, dass Gerichte in der Bundesrepublik
Deutschland in diesem Zusammenhang Behandlungsfehler verneinen. Dies ist umso problematischer, da sämtliche Behandlungsempfehlungen (Leitlinien) der chronischen Lyme-Borreliose nicht auf
evidenzbasierten wissenschaftlichen Studien gründen, sondern sich ausschließlich nach sogenannten
Expertenmeinungen richten [4, 13, 117, 118, 124, 200].
Einwände gegen Vorgutachten
Die medizinische Begutachtung erfordert die Einbeziehung von Vorgutachten, die sich bei den Akten befinden. Vorgutachten enthalten im Zusammenhang mit der Lyme-Borreliose ungewöhnlich häufig
falsche Behauptungen. Die zahlreichen Einzelaspekte und Kontroversen bei der Stellungnahme zu Vorgutachten im Zusammenhang mit der Lyme-Borreliose enthält die Tab. 24, Seite 25 ff.
Die wesentlichen Einwände gegen Vorgutachten sind in Tab. 15 aufgelistet und werden im Folgenden detailliert erläutert.
Die fälschliche Verneinung des Kausalzusammenhanges ist ein ungewöhnlich häufiges Vorkommnis in Vorgutachten. Das Prinzip der falschen Argumentation ist in Tab. 16 dargestellt. Häufig wird in Vorgutachten eine chronische Lyme-Borreliose zwar festgestellt oder als versicherungsrelevanter Schaden anerkannt, jedoch mit der wesentlichen Einschränkung, dass die Lyme-Borreliose angeblich nur für eine bestimmte Zeit vorlag. Willkürlich wird von dem medizinischen Vorgutachter oder sogar dem Gericht festgestellt, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt ein und dieselbe Beschwerdesymptomatik nicht mehr auf die Lyme-Borreliose zurückzuführen ist, sondern auf andere Gründe (Krankheiten). Meistens werden die persistierenden Beschwerden dann als psychosomatisch deklariert, ohne dass die international gültigen Diagnosekriterien bei derartigen psychischen und psychosomatischen Erkrankungen beachtet oder diskutiert werden. Die fortbestehenden Beschwerden einer chronischen Lyme-Borreliose werden gewissermaßen plakativ als eine andere Krankheit festgeschrieben. Dass eine solche willkürliche Umbenennung oder Umdeutung in den Vorgutachten bzw. in den Urteilsbegründungen nicht begründet wird, ist in sich selbst verständlich. – Im Übrigen ist zu bedenken, dass eine Krankheitsfolge grundsätzlich im Kausalzusammenhang mit der zu Grunde liegender Krankheit (Lyme-Borreliose) steht. So dürfte kein Zweifel bestehen, dass z.B. eine (partielle) Erblindung nach Opticus-Neuritis infolge Lyme-Neuroborreliose der Krankheit (LB) ursächlich zuzuordnen ist. Problematisch ist jedoch die in Vorgutachten oft erhobene Behauptung, dass nur mehr „unspezifische Beschwerden“ nach ausgeheilter Lyme-Borreliose vorlägen und dass diese Beschwerden psychosomatischer Natur seien. Entsprechend der modernen Nomenklatur wird in diesem Zusammenhang von Somatisierungsstörung gesprochen. Dabei wird jedoch die zu Grunde liegende primäre psychische Erkrankung überhaupt nicht erwähnt. Wichtige Kriterien der Somatisierungsstörung, z.B. Auftreten der Krankheitssymptomatik vor dem 30. Lebensjahr oder sicherer Ausschluss körperlicher Krankheiten (u.a. Lyme-Borreliose) bleiben unberücksichtigt.
Tab. 15 Falschbehauptungen in Vorgutachten |
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Tab. 16 Fälschliche Verneinung des Kausalzusammenhangs (Gericht, Vorgutachter, andere Gutachter) |
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Entscheidend ist jedoch, dass auf Basis dieser fragwürdigen Argumentation (Somatisierungsstörung, psychosomatische Beschwerden) ein Zusammenhang mit der Lyme-Borreliose (fälschlicherweise) verneint wird. Dies wäre logischerweise nur vertretbar, wenn die fortbestehenden (angeblich psychosomatischen Beschwerden) im Wesentlichen durch folgende Faktoren hervorgerufen würden:
Bevor also persistierende Beschwerden im Zusammenhang mit einer zuvor aufgetretenen und oft juristisch anerkannten Lyme-Borreliose als psychosomatisch deklariert werden, ist zu überprüfen, ob
alle oben genannten Faktoren auszuschließen sind. Ist dies der Fall, so wird nicht selten die persistierende Beschwerdesymptomatik mit den bereits genannten „unspezifischen Beschwerden“
gleichgesetzt. Der Begriff „unspezifische Beschwerden“ ist nicht literaturüblich, entscheidend ist jedoch, dass seine Benutzung suggeriert, dass die Beschwerdesymptomatik grundsätzlich (!)
ursächlich nicht klärbar sei: Die Ursache der Beschwerden ist unklar, folglich liegt (unlogischer weise) keine Krankheit vor, also auch keine Lyme-Borreliose. Auf dieser unhaltbaren Basis
entziehen sich die
Vorgutachter der Differentialdiagnose, d.h. die Vorgutachter gehen oft auf mögliche Ursachen der Beschwerden überhaupt nicht ein. Nicht selten wird darauf verwiesen, dass es nicht Aufgabe des
Gutachters sondern der betreuenden Ärzte sei, die vom Kläger vorgetragenen Beschwerden unter dem Aspekt der Differentialdiagnose zu klären.
Bei der chronischen Lyme-Borreliose kann selbst bei Beachtung der kompletten Differentialdiagnose in der Regel keine andere Krankheit als Ursache eruiert oder benannt werden. Davon unberührt
werden in Vorgutachten nicht selten pathophysiologische Falschbehauptungen vorgetragen, z.B. das degenerative Wirbelsäulenveränderungen (ohne Irritation der Nervenwurzeln) Ursache für
rezidivierende migratorische Schmerzen in verschiedenen Körperregionen seien.
Als eine weitere Methode zur Verneinung der chronischen Lyme-Borreliose wird in Vorgutachten häufig das Fehlen sogenannter „obligater Manifestationen der Lyme-Borreliose“ angeführt. Solche
angeblich obligaten Manifestationen sind in Tab. 17
wiedergegeben. Argumentiert wird in diesem Zusammenhang mit den Falschbehauptungen, dass bestimmte Phänomene beim Patienten bzw. beim Kläger nicht vorlägen oder aufgetreten seien. Tatsächlich
wurde in zahlreichen Publikationen nachgewiesen, dass die angeblich „obligaten Manifestationen der LB“ nur bei einem Teil der Patienten mit Lyme-Borreliose vorkommt [4, 5, 7, 9, 13, 14, 27, 33,
117, 124, 148, 150, 154, 248, 286, 259]. Da die Häufigkeit der „obligaten Manifestationen“ weit unter 100% liegt, können sie selbstverständlich für die LB nicht als obligat betrachtet werden.
Bezüglich der Einzelheiten sei auf Tab. 17 verwiesen.
Auch die Gleichsetzung von chronischer Lyme-Borreliose und chronischer Lyme-Neuroborreliose ist ein häufiger Fehler in Vorgutachten (vgl. Tab. 18). Entscheidend in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass bei der chronischen Lyme-Borreliose nur in 15% der Fälle auch das Nervensystem betroffen ist [259]. In der stark überwiegenden Zahl der Fälle mit chronischer Lyme-Borreliose sind also zahlreiche andere Organe, nicht aber das Nervensystem betroffen. Folglich schließt das Fehlen neurologischer Manifestationen das Vorliegen einer chronischen Lyme-Borreliose keinesfalls aus. Eine chronische Lyme-Borreliose liegt auch dann häufig vor, wenn keinerlei neurologische Symptome nachweisbar sind und der Liquor keine Auffälligkeiten aufweist. Dieses Faktum ist dann auch der Grund, dass eine Liquoruntersuchung für die Diagnose einer chronischen Lyme-Borreliose nicht indiziert ist [28, 31, 32, 33]. Dennoch wird unsinniger Weise häufig eine Liquordiagnostik gefordert, um eine chronische Lyme-Borreliose zu beweisen oder zu widerlegen.
Unzutreffend ist auch die in Vorgutachten häufig vorkommende fälschliche Verneinung der chronischen Lyme-Borreliose im Zusammenhang mit durchgeführten antibiotischen Behandlungen (vgl. Tab. 19).
Die falsche Argumentation geht davon aus, dass eine antibiotische Behandlung nach Standard (entsprechend Leitlinien AWMF oder IDSA) die Beseitigung der Lyme-Borreliose gewissermaßen garantiert
[4, 13, 117, 118, 124, 200]. Tatsächlich weist die Literatur Versagerquoten in der Größenordnung von 50% auf [4, 13, 117, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 200]. Umgekehrt wird argumentiert,
dass eine unwirksame antibiotische Behandlung beweist, dass eine chronische Lyme-
Borreliose nicht vorliegt. Auch in diesem Zusammenhang wird die Versagerquote missachtet und der Zusammenhang weder belegt noch erläutert [vgl. 260-264, X122].
Wie bereits angesprochen (vgl. Seite 17) wird die Beschwerdesymptomatik bei chronischer Lyme-Borreliose häufig mit dem Begriff „unspezifische Beschwerden“ belegt (vgl. Tab. 20).
Es wird behauptet, dass sich die (angebliche) Diagnose der chronischen Lyme-Borreliose ausschließlich auf diese unspezifischen Beschwerden stützt.
Tab. 17 (Häufigkeit in %) |
(Zeckenstich 30%) EM 50% Akute Neuroborreliose 3% Lyme-Arthritis 40% LNB 10%-15% Kardiale Symptome 6% M. Bannwarth 10% (Neuro-Radiculitis) ACA 10% |
Tab. 18 Fälschliche Gleichsetzung von chronischer LB und LNB (Neuroborreliose) |
|
Tab. 19 Fälschliche Verneinung der chronischen LB im Zusammenhang mit Antibiose |
|
Tab. 20 Sogenannte unspezifische Beschwerden bei chronischer Lyme-Borreliose |
Zielsetzung (der falschen Gutachten): unspezifische Beschwerden beweisen nicht chronische LB Tatsächlich:
|
Tatsächlich entsprechen diese angeblich unspezifischen Beschwerden jedoch der Beschwerdesymptomatik, wie sie in zahlreichen Publikationen über die chronische Lyme-Borreliose dargestellt sind
[139-143, 247, 248, 249, 250, 255]. Wichtiger ist jedoch, dass die Prinzipien der diagnostischen Basis der chronischen Lyme-Borreliose keine Berücksichtigung finden. Wie in Tab. 8 dargestellt,
basiert die Diagnose der chronischen Lyme-Borreliose auf Anamnese, insbesondere typische objektivierbare Manifestationen, den körperlichen Untersuchungsbefund, medizinisch-technische
Untersuchungen und die Differentialdiagnose (vgl. Seite 8).
Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass „unspezifische Beschwerden“ bei einer sehr großen Zahl von sonstigen Krankheiten vorliegen. Kopfschmerz ist z.B. keine spezifische Beschwerde einer
Hirnhautentzündung sondern kann bei vielen anderen Krankheiten vorkommen, z.B. Migräne, Spannungskopfschmerz, Hirntumor, viraler Infekt, um nur einige Möglichkeiten zu nennen. Es ist also nicht
akzeptabel, eine chronische Lyme-Borreliose mit dem „Argument“ zu verneinen, dass lediglich „unspezifische Beschwerden“ vorlägen. Eine häufige Crux in falschen Vorgutachten ist die gutachterliche
Unterlassung der Differentialdiagnose (vgl. Tab. 21).
Ein Zusammenhang zwischen der Beschwerdesymptomatik des Betroffenen und der chronischen Lyme-Borreliose wird verneint, ohne dass auch nur ansatzweise die für die einzelnen Beschwerden in Betracht kommenden Ursachen diskutiert werden. Während die allgemeine Forderung an ein medizinisches Gutachten die Klärung zwischen vorliegender Beschwerdesymptomatik und zu Grunde liegender Erkrankung ist, wird dies in vielen Vorgutachten im Zusammenhang mit der Lyme-Borreliose missachtet. Die unzureichende Klärung der Beschwerdesymptomatik und die willkürliche Verneinung der Diagnose (chronische Lyme-Borreliose) ist ein Phänomen, das für die Lyme-Borreliose typisch oder zumindest ungewöhnlich häufig ist.
Tab. 21 Fälschliche Unterlassung der Differentialdiagnose |
|
Gelegentlich wird bei Negierung der chronischen Lyme-Borreliose die ein oder andere Beschwerde auf andere Krankheitsvorgänge bezogen. Dies betrifft recht häufig Beschwerden im Bereich des Muskelskelettsystems, die (fälschlicherweise) degenerativen Veränderungen ursächlich zugeordnet werden. Dabei werden jedoch die Art und das Ausmaß der degenerativen Veränderungen, deren Zusammenhang mit dem Beschwerdebild, die fehlende Kongruenz mit medizinisch-technischen Befunden und der Krankheitsverlauf insgesamt völlig außer Acht gelassen.
Statistisch rangieren bei der chronischen Lyme-Borreliose psychische Erkrankungen und psychosomatische Beschwerden an oberster Stelle der Falschbehauptungen in Vorgutachten.
Die häufigsten fälschlich diagnostizierten psychischen Krankheiten in Vorgutachten sind in Tab. 22 aufgeführt. Solche psychischen Erkrankungen erfordern nach internationalem Konsens das Vorliegen diagnostischer Kriterien. Diese Kriterien sind in dem international gültigen Kompendium DSM-IV-TR [265] enthalten und haben Rechtsbindung für die Bundesrepublik Deutschland. Da in den falschen Vorgutachten die behaupteten psychischen Erkrankungen diagnostisch nicht zu sichern sind, werden die Kriterien nach DSM-IV-TR übergangen, d.h. die diagnostischen Kriterien werden nicht erwähnt und bleiben bei der Erläuterung (Beurteilung und Zusammenfassung) in den Vorgutachten unberücksichtigt.
Tab. 22 Fälschlich diagnostizierte psychische Krankheiten |
Depression Neurosen Angststörungen Somatoforme Störungen Hysterische Neurose Konversionsstörung Hypochondrie Dissoziative Störung Neurasthenie |
Die bei den Patienten mit chronischer Lyme-Borreliose vorliegenden körperlichen Beschwerden werden in diesem Zusammenhang nicht nur als „unspezifisch“ deklariert, sondern ohne jegliche diagnostische Grundlage einer beliebigen psychischen Erkrankung mit resultierenden psychosomatischen Beschwerden zugeordnet.
Besonders problematisch ist dieses Fehlverhalten in den Vorgutachten, da die DSMIV-TR-Kriterien der meisten genannten psychischen Krankheiten vor allen Dingen eine Voraussetzung fordern, nämlich
den sicheren Ausschluss einer körperlichen
Erkrankung, d.h. all diese häufig in falschen Vorgutachten erwähnten psychischen Erkrankungen werden nur dadurch „vertretbar“, dass die körperliche Erkrankung einer chronischen Lyme-Borreliose
willkürlich verneint wird.
Detaillierte Einwände und Kontroversen bezüglich Gutachten
Zur Basisinformation bei der Stellungnahme zu Falschbehauptungen in Vorgutachten sei auf einige Texte hingewiesen, die einen großen Teil gutachterlicher Problempunkte abdeckt. In allen Texten
werden die einzelnen Sujets durch Literatur belegt. Die Texte stehen als Zitatquelle zur Verfügung oder können als Anlage den Gutachten beigefügt werden.
Alle Texte sind über www.praxis-berghoff.de zugänglich. Besonders sei auf den Text „Diagnostik und Therapie der Lyme-Borreliose“ verwiesen.
Die wichtigsten Informationstexte sind in Tab. 23 aufgeführt.
Die häufigsten fälschlich diagnostizierten psychischen Krankheiten in Vorgutachten sind in Tab. 22 aufgeführt. Solche psychischen Erkrankungen erfordern nach internationalem Konsens das Vorliegen diagnostischer Kriterien. Diese Kriterien sind in dem international gültigen Kompendium DSM-IV-TR [265] enthalten und haben Rechtsbindung für die Bundesrepublik Deutschland. Da in den falschen Vorgutachten die behaupteten psychischen Erkrankungen diagnostisch nicht zu sichern sind, werden die Kriterien nach DSM-IV-TR übergangen, d.h. die diagnostischen Kriterien werden nicht erwähnt und bleiben bei der Erläuterung (Beurteilung und Zusammenfassung) in den Vorgutachten unberücksichtigt.
Eine detaillierte Auflistung aller wesentlichen Problempunkte bei der Stellungnahme zu Vorgutachten ist in Tab. 24 aufgeführt. Die einzelnen Positionen werden durch Texte, Publikationen oder sonstige Darstellungen erläutert, die dem vorliegenden Text als Anhang beigefügt werden (siehe Seite 67 ff.).
Die Tab. 24 ist nach verschiedenen Sachgebieten geordnet: psychische Krankheiten, Erkrankungen des Nervensystems, Muskelskelettsymptomatik, Labor, Sonstiges. Die Stellungnahmen sind
schlagwortartig formuliert. Die einzelnen
Problematiken sind ausführlich in einem Lehrbuch dargestellt; die Darstellung dient als Grundlage einer detaillierten und umfassenden juristischen und medizinischen Argumentation: W. Berghoff,
Lyme-Borreliose, Verlag Berghoff, Rheinbach 2016,
ISBN 978-3-9817705-0-6. Zahlreiche Kapitel aus dem Lehrbuch sind in dieser Website dargestellt (Abschnitt „Lehrbuch (LB)“).
Tab. 23 |
|
Tab. 24 Einzelaspekte und Kontroversen bei Stellungnahme zu Vorgutachten bei Lyme-Borreliose |
|
Falschbehauptung im Vorgutachten Problematik |
Stellungnahme |
(psychische Erkrankungen) |
|
Panikattacken |
Kommt bei LB vor (Buch-Kapitel 25.9) Überprüfung der Kriterien (nach DSM-IV und V-TR) |
Verschiedene psychische Erkrankungen |
Neuropsychiatrische Krankheitsmanifestationen bei LB beachten (Buch-Kapitel 12.29) |
Dysthymie |
Buch-Kapitel 25.2
(Buch- Kapitel 25) |
Depression |
Buch-Kapitel 25.2 Neuropsychiatrische Manifestationen bei LB (Buch-Kapitel 25) Diagnostische Kriterien beachten |
Somatoforme Störung |
Buch-Kapitel 25.3 Meistens willkürliche Fehlbehauptung, siehe diagnostische Kriterien, körperliche Erkrankung muss ausgeschlossen sein, sonstige Kriterien beachten |
Somatoforme Störung |
Buch-Kapitel 25.3 LB ist bei Differentialdiagnose in DSM-IV-TR ausdrücklich erwähnt, in DSM-V dagegen nicht mehr |
Konversionsstörung |
Buch-Kapitel 25.5 Trifft meistens nicht zu, siehe Kriterien |
Persönlichkeitsstörung |
Buch-Kapitel 25.6 Trifft meistens nicht zu, siehe Kriterien |
Anpassungsstörung |
Buch-Kapitel 25.7 Trifft meistens nicht zu, siehe Kriterien |
Histrionische Persönlichkeit |
Buch-Kapitel 25.10 Trifft meistens nicht zu, siehe Kriterien |
Narzisstische Persönlichkeit |
Buch-Kapitel 25.11 Trifft meistens nicht zu, siehe Kriterien |
Neurasthenie |
Buch-Kapitel 25.12 Trifft meistens nicht zu, siehe Kriterien |
Unspezifische dissoziative Störung |
Buch-Kapitel 25 Trifft meistens nicht zu, siehe Kriterien |
Neurosen, Angststörung, OCD, somatoforme Störung, hysterische Neurose, Konversionsstörung, Hypochondrie, dissoziative Störung |
Buch-Kapitel 25.13 Alle Begriffe sind nach älterer Nomenklatur den Neurosen zuzuordnen |
Dissoziative Störung nicht näher spezifiziert Depersonalisationsstörung |
Buch-Kapitel 25 Liegt meisten nicht vor, siehe Kriterien |
(Erkrankungen des Nervensystems) | |
Verneinung von kognitiven Störungen bei Encephalopathie |
Buch-Kapitel 12.40
Neuropsychologische Tests oft negativ, bei Selbsteinschätzung durch den Patienten jedoch positiv |
Verneinung Opticus-Neuritis infolge LB |
Buch-Kapitel 12.21 und 12.22 Kausalzusammenhang in der Literatur beschrieben |
Motorik / Nervenwurzel Falsche anatomische Zuordnung |
Buch-Kapitel 12.14 und 12.17 Überprüfung der motorischen Funktionsstörung anhand Abbildungen (siehe Anlage) |
Keine präzise Zuordnung Sensibilität / periphere Nerven |
Buch-Kapitel 12.14 und 12.17 siehe Darstellung (Anlage) |
Sensibilität / Nervenwurzel (falsche Zuordnung) |
Buck-Kapitel 12.14 und 12.17 siehe Abbildung (Anlage) |
Verneinung von Polyneuropathie bei LB |
Buch-Kapitel 12.25 PNP bei LNB literarisch belegt |
Behauptung diabetische Polyneuropathie |
Buch-Kapitel 12.27 Diabetische Polyneuropathie liegt 7 Jahre nach Beginn des Diabetes mellitus nur bei 23% der Patienten vor |
Ursache der Polyneuropathie (verkannt) |
Buch-Kapitel 12.27 Differentialdiagnose der Polyneuropathie siehe Tabelle (Anlage) |
Mikrovaskuläre Encephalopathie |
Buch-Kapitel 12.34 Cerebrale Läsionen Folge von LB (siehe Tabelle Differentialdiagnose (Anlage)) Läsionen bei MS und LNB gleich (Literaturverzeichnis (Anlage)) |
Nervenleitungsgeschwindigkeit (unkorrekte Einschätzung) |
Buch-Kapitel 12.8 Normwerte für Nervenleitungsgeschwindigkeit, siehe Tabelle (Anlage) |
EP (unkorrekte Interpretation) |
Buch-Kapitel 12.9 siehe Abbildung (Anlage) |
McDonald-Kriterien (Fehlinterpretation) |
Buch-Kapitel 14 Darstellung und Beurteilung der Kriterien (Anlage) |
DD MS/LNB (Fehldeutung) |
Buch-Kapitel 14 siehe Text „Differentialdiagnose MS / LNB“ |
Sakkaden |
Buch-Kapitel 12 / Anlage X86 Pathophysiologie supranukleare Störung, siehe Text (Anlage) |
MEP (Fehleinschätzung) |
Buch-Kapitel 12.8 MEP in 50% falsch negativ |
Lumbale Nervenwurzel (Pathophysiologisch falsche Zuordnung) |
Buch-Kapitel 12.14 Anatomie der lumbalen und sakralen Nervenwurzeln, siehe Abbildung |
M. Bannwarth |
Buch-Kapitel 12.14 Darstellung des Beschwerdebildes |
M. Bannwarth / Liquor (Behauptung Liquor pathologisch) |
Buch-Kapitel 12.15 Liquor bei M. Bannwarth in der Regel unauffällig |
MSA (Diagnose unzutreffend) |
Buch-Kapitel 25.20 siehe Kriterien |
(Muskuloskelettale Beschwerden) |
|
Fibromyalgie (Fehldiagnose) |
Buch-Kapitel 25.19 Fibromyalgie ist Ausschlussdiagnose, keine Entzündungen sonst siehe Text |
Fibromyalgie / LB (Verkennung) |
Buch-Kapitel 25.19 Fibromyalgie oft in Verbindung nachgewiesen |
(Labor) | |
Seronegativität (Verneinung bei chronischer LB) |
Buch-Kapitel 22.4 Bei 50% der chronischen LB Seronegativität |
Liquor / Chronische LB |
Buch-Kapitel 22.11 Liquor bei chronischer LB nur in 5% verändert (leichtgradig) |
Serologie bei Behandlung im Frühstadium |
Buch-Kapitel 22.2 20% der Patienten blieben seronegativ |
IgM AK (angeblich obligat für Infektion) |
Buch-Kapitel 22.2 IgM AK kommt bei der chronischen LB nur in 15% der Fälle vor |
LTT Borrelien (Negierung diagnostischer Wertigkeit) |
Buch-Kapitel 22.9 LTT hat hohe diagnostische Wertigkeit (siehe Text „Lymphozytentransformationstest (LTT) bei der Lyme-Borreliose“, www.praxis-berghoff.de) |
Seronarbe |
Buch-Kapitel 22.7 Begriff nur vertretbar bei Beschwerdefreiheit |
Seronegativität bei pathologischem Liquor (LNB) |
Buch-Kapitel 13.3 Auch bei gesicherter LNB kann Seronegativität vorliegen |
Serologie Frühstadium |
Buch-Kapitel 22.2 AK treten 2-6 Wochen nach Infektion auf |
ANA / LB |
Buch-Kapitel 22 / Anlage X59 ANA bei LB keine Seltenheit |
CDC-Kriterien |
Buch-Kapitel 21.16 dienen nur wissenschaftlichen Zwecken, nicht geeignet für klinische Einschätzung |
WB zur Verlaufsbeobachtung |
Buch-Kapitel 22.2 WB zur Verlaufsbeobachtung einer LB nach antibiotischer Behandlung von EM nicht geeignet |
PCR Gelenkerguss |
Buch-Kapitel 22.17 PCR im Gelenkerguss meistens negativ |
Liquor / Bannwarth |
Buch-Kapitel 12.15 Liquor bei Bannwarth meistens negativ |
(Sonstiges) | |
Gastrointestinale Beschwerden |
Buch-Kapitel 17 GI-Beschwerden bei LB häufig |
Kardiomyopathie |
Buch-Kapitel 11 Zusammenhang mit LB nachgewiesen |
Krankenmanifestationen Häufigkeit |
Buch-Kapitel 6, 6.1
Buch-Kapitel 6.1 |
Perikarditis |
Buch-Kapitel 11.1 Perikarditis bei LB |
PLS |
Buch-Kapitel 21.3, 21.4 Darstellung und kritische Stellungnahme zu PLS |
ACA-Häufigkeit |
Buch-Kapitel 10.2 Angaben zur Häufigkeit |
Symptomatik der Frühphase | Buch-Kapitel 7 |
Häufigkeit chronische LB (ohne Antibiose im Frühstadium) |
Buch-Kapitel 21.8 Häufigkeit beträgt fast 70% |
Chronische LB (ohne vorausgehendes Stadium I und II) |
Buch-Kapitel 21 (chronische LB nicht selten als Erstmanifestation) |
Symptomatik Frühphase (EM, BL, grippeähnliche Begleitsymptomatik) |
Buch-Kapitel 7, 7.2, 7.8 Darstellung der Krankheitssituation |
EM lokale Beschwerden |
Buch-Kapitel 7 Beschreibung des Beschwerdebildes |
Myalgien |
Buch-Kapitel 9 Myalgien bei LB |
Lymphadenopathie |
Buch-Kapitel 6 Auftreten bei LB |
LB-Beweis (kein positiver Marker, Ausschlussdiagnostik) |
Buch-Kapitel 21.1 Text über Problematik |
Ansaugzeit / Infektionsquote |
Buch-Kapitel 5.2 zeitliche Korrelation Ansaugzeit / Infektion |
Strukturierung des Gutachtens
Die Strukturierung des Gutachtens basiert auf der Einteilung des Textes in verschiedene Abschnitte. Die Gliederung ist in Tabelle 25 wiedergegeben. Die Anlage X00, Seite X stellt ein Muster für
ein medizinisches Gutachten dar.
Tab. 25 Strukturierung des Gutachtens (Kapitel des Textes) |
|
Einführung
Der einführende Abschnitt umfasst den Adressaten, den Gegenstand der Begutachtung, den Begriff „Medizinisches Gutachten“ sowie den Hinweis, dass sich das Gutachten auf die vorliegenden Akten und
die zu einem bestimmten Zeitpunkt durchgeführte Untersuchung stützt.
Problematik und Fragestellung
Im Abschnitt „Problematik und Fragestellung“ ist entsprechend dem Sachverhalt und den Beweisfragen in kurzer Form darzustellen, wozu das Gutachten Stellung nimmt. Bei dieser Darstellung der
„Problematik und Fragestellung“ sollten nur die wichtigsten Beweisfragen berücksichtigt werden. Am Ende dieses Absatzes wird üblicherweise angeführt: „Im Übrigen sei auf die Beweisfragen
verwiesen“.
Aktenübersicht
Die Aktenübersicht enthält folgende Einleitung:
Im Folgenden werden die Inhalte relevanter medizinischer Dokumente aus den Akten epikritisch zusammengestellt. Die entsprechenden Seitenzahlen der Akten werden bei der Überschrift der Dokumente
in Klammern angegeben.
Der Inhalt der medizinischen Dokumente wird wörtlich zitiert oder bei komplizierten Zusammenhängen sinngemäß wiedergegeben.
Bei Inhalten, die vom Gutachter (Dr. NN) nicht geteilt werden, erfolgt unmittelbar hinter dem Textzitat eine Kommentierung. Diese Kommentierung steht im jeweils anschließenden Absatz in Klammern
und ist gekennzeichnet durch „Stellungnahme Dr. NN“.
Die Anlagen des Gutachtens enthalten die für die verschiedenen Problematiken maßgebenden Literaturhinweise. Die Anlagen sind den betreffenden Textpassagen des Gutachtens zugeordnet (vgl.
Inhaltsverzeichnis der Anlagen). Die Anlagen sind wesentlicher Bestandteil des Gutachtens, ohne ihre Einbeziehung ist das Gutachten unvollständig.
Es wird kurz aufgeführt, in welcher Form die Akten vorliegen, z.B.
Diese Angaben sollten selbstverständlich den Darstellungen des Auftraggebers (z.B. Anschreiben des Sozialgerichtes) entsprechen.
Das Kapitel „Aktenübersicht“ wird entsprechend diesen Akten unterteilt, so dass sich im Abschnitt „Aktenübersicht“ z.B. folgende weitere Überschriften ergeben:
Bei der Aktenübersicht werden ausschließlich medizinische Dokumente berücksichtigt; jegliche Inhalte nicht medizinischer Dokumente gehören nicht in das medizinische Gutachten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, z.B. Unfallanzeige.
Da medizinische Dokumente im Zusammenhang mit der Lyme-Borreliose ungewöhnlich häufig Falschbehauptungen enthalten, hat sich die oben dargestellte Strukturierung bewährt: Die medizinischen
Dokumente werden in ihren wesentlichen Inhalten epikritisch zusammengefasst. Bei Textpassagen, die Falschbehauptungen enthalten, schließt sich unmittelbar danach die „Stellungnahme des
Gutachters“ an. Bei dieser detaillierten Stellungnahme zu den einzelnen Textpassagen wird auch jeweils die Literatur benannt oder beigefügt, die die Stellungnahme literarisch belegt.
Im späteren Abschnitt des Gutachtens „Stellungnahme zu den Vorgutachten“ wird der Inhalt dieser oft zahlreichen Stellungnahmen zu einzelnen Textpassagen epikritisch zusammengefasst und auf die
detaillierte Darstellung mit Literaturbeleg im Abschnitt „Aktenübersicht“ verwiesen.
Sachverhalt
Im Abschnitt „Sachverhalt“ lautet der Einführungstext wie folgt:
Im Folgenden wird zur besseren Übersicht unterschieden zwischen dem beim Kläger vorliegenden Krankheitsbild der Lyme-Borreliose und sonstigen Krankheiten. Im Einzelnen wird der Text
folgendermaßen gegliedert:
Die Anamnese der Lyme-Borreliose stützt sich auf die vorliegenden Dokumente und die Auskunft des betroffenen Patienten. Es handelt sich also zugleich um eine subjektive und objektive Anamnese. Entscheidend ist, dass die Anamnese grundsätzlich chronologisch geordnet wird. Im Rahmen einer solchen Chronologie können sich Angaben des Patienten mit Daten aus den Dokumenten abwechseln. Entscheidend ist, dass der Duktus der Anamnese in guter chronologischer Übersicht verständlich dargestellt wird. Auch können im Rahmen der Anamnese z.B. Inhalte von medizinischen Dokumenten epikritisch wiedergegeben werden.
In den Kapiteln „Laboruntersuchungen bezüglich Lyme-Borreliose“, „Sonstige medizinische Untersuchungsbefunde“ und „Bisher durchgeführte antibiotische Behandlung bezüglich Lyme-Borreliose“ sollte
soweit wie möglich die Chronologie eingehalten werden. Oft sind jedoch die Akten oder die Angaben des betroffenen Patienten nicht chronologisch geordnet, so dass die „chronologische Bearbeitung“
einen zusätzlichen Aufwand darstellen würde. In einer solchen Situation sollte der Gutachter entscheiden, ob das Gutachten auch ohne eine „absolut präzise Chronologie“ verständlich bleibt.
Beispielsweise kommt es eher darauf an, ob über
Jahre pathologische Ergebnisse für die Serologie Borrelien erhoben wurden oder ob über längere Zeiträume verschiedene Antibiotika eingesetzt wurden, als auf eine minutiöse chronologische
Zuordnung der Einzeldaten.
Die Befunde für LTT, ELISPOT und CD57 werden neben den serologischen Befunden im Kapitel „Laborbefunde bezüglich Lyme-Borreliose“ einbezogen.
Auch sonstige medizinisch-technische Befunde, die im Zusammenhang mit der Lyme-Borreliose stehen, sollten in einem gesonderten Abschnitt aufgelistet werden, z.B. pathologische Befunde im cMRT,
pathologische elektrophysiologische Untersuchungen, pathologische EKG-Befunde, pathologisches Skelettszintigramm, sonographischer Nachweis von Gelenkergüssen u.ä.m.
Im Abschnitt „Aktuelle Hauptbeschwerden der Lyme-Borreliose und der Lyme-Neuroborreliose“ sollten nur die Beschwerden aufgelistet werden, die zum Zeitpunkt der Begutachtung im Vordergrund stehen
und einen erheblichen Leidensdruck
darstellen.
Im Kapitel „Anamnese sonstiger Krankheiten“ werden nur aktuell vorliegende Krankheiten oder aktuell vorliegende Krankheitsfolgen erwähnt. Der Text sollte unter Angabe der Zeitdaten knapp gefasst
sein.
Allgemeinmedizinischer und neurologischer Untersuchungsbefund
Die Kapitel „Allgemeinmedizinischer Untersuchungsbefund“, „Neurologischer Untersuchungsbefund“ bedürfen keiner weiteren Erläuterung; beispielhaft sei verwiesen auf die im Ordner befindlichen
Beispiel-Gutachten.
Medizinisch-technische Befunde
Nach dem körperlichen Untersuchungsbefund werden die im Rahmen der Begutachtung erhobenen medizinisch-technischen Befunde aufgeführt. Auch diesbezüglich sei auf die Beispiel-Gutachten verwiesen.
Anmerkungen zu differentialdiagnostischen Konstellationen
Bei sehr schwierigen differentialdiagnostischen Situationen, z.B. Cobalamin Defizit / Lyme-Neuroborreliose oder Differenzierung zwischen Parkinson-ähnlichem Krankheitsbild bei LNB und sogenanntem
idiopathischen M. Parkinson sollten in knapper und gut verständlicher Form die Krankheitsbilder skizziert werden. Dabei kommt der Erwähnung von diagnostischen Kriterien besondere Bedeutung zu.
Eine solche Darstellung soll auch den nicht medizinisch versierten Beteiligten das Verständnis für die im Gutachten gestellte Diagnose erleichtern und zudem aufzeigen, aus welchen Gründen die in
Vorgutachten (fälschlicherweise) angenommenen Diagnosen nicht vorliegen oder von nachrangiger Bedeutung sind.
Stellungnahme zu Vorgutachten
Die Gliederung des Kapitels „Stellungnahme zu den Vorgutachten“ ergibt sich aus den bei den Akten befindlichen vorausgegangenen Gutachten. Zu jedem einzelnen Vorgutachten sollte unter Darlegung
der wesentlichen Punkte Stellung genommen werden. Bezüglich Einzelheiten und Literaturnachweis kann auf das Kapitel „Aktenübersicht“ verwiesen werden, unter Hinweis, dass zu zahlreichen
unzutreffenden Textpassagen der Vorgutachten unter Angabe der Literatur kritisch Stellung genommen wurde.
Zusammenfassung und Beurteilung
Das Kapitel „Zusammenfassung und Beurteilung“ ist das Herzstück eines jeden Gutachtens. Alle Beteiligten werden sich zunächst in diesem Kapitel über den Sachverhalt informieren. Die
„Zusammenfassung und Beurteilung“ muss darstellen und argumentativ belegen, dass ggfs. eine Lyme-Borreliose oder Lyme-Neuroborreliose vorliegt. Hierzu muss der Krankheitsverlauf chronologisch
geordnet, übersichtlich zusammengefasst und allle wesentlichen Befunde und Argumente angeführt werden, die ggf. die Lyme-Borreliose belegen. Am Ende dieses Kapitels kann kurz darauf hingewiesen
werden, dass die in den Vorgutachten enthaltenen
medizinischen Auffassungen unzutreffend sind. Dabei können die Vorgutachten bzw. die Vorgutachter benannt werden. Eine erneute inhaltliche Stellungnahme zu den Vorgutachten ist jedoch in diesem
Kapitel nicht erforderlich, vielmehr kann auf das Kapitel „Stellungnahme zu den Vorgutachten“ verwiesen werden.
Das Kapitel „Zusammenfassung und Beurteilung“ hat also zwei wesentliche Inhalte:
Im Zusammenhang mit der Diagnose sollten die Begriffe „Wahrscheinlichkeit“ oder „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ gemieden werden, es sei denn, dass das Gericht (in den Beweisfragen) diese Begriffe benutzt.
Für die Vermittlung der gutachterlichen Beurteilung ist folgende Strukturierung am Ende der Zusammenfassung vorzuschlagen:
Diagnosen
Nach der „Zusammenfassung und Beurteilung“ und vor der „Beantwortung der Beweisfragen“ sollten alle aktuell vorliegenden Krankheiten als „Diagnosen“ aufgelistet werden.
Beantwortung der Beweisfragen
Das Kapitel „Beantwortung der Beweisfragen“ bedarf keiner weiteren Erläuterung. Erneut sei verwiesen auf die Beispiel-Gutachten im Ordner. Die Antworten sollen kurz und präzise sein.
Gutachterliche Stellungnahme
Nicht selten ist es Aufgabe des Gutachters, ausschließlich zu einem anderen Gutachten oder auch zu anderen Texten (Schriftsätze, Urteilsbegründungen) Stellung zu nehmen.
Die Strukturierung einer solchen gutachterlichen Stellungnahme ist beispielhaft im Ordner „Medizinische Begutachtung“ dargestellt.
Die gutachterliche Stellungnahme bezieht sich ausschließlich auf Textpassagen, die Falschbehauptungen enthalten. Diese Textpassagen werden durch fortlaufende Randziffern gekennzeichnet. Die
Inhalte werden zunächst zitiert (Zitat) und unmittelbar danach kritisch kommentiert (Stellungnahme). Der mit Randziffern versehene Text (Gutachten, sonstige Texte) wird als Anlage der
Stellungnahme beigefügt.
Jede Stellungnahme wird durch Literatur belegt und die entsprechenden Literaturquellen bei der einzelnen Kommentierung benannt oder als Anlagen beigefügt.
Die gutachterliche Stellungnahme wird mit einem abschließenden Kapitel „Zusammenfassung“ abgeschlossen, in dem die wesentlichen Kontroversen Erwähnung finden.
Juristische Anmerkungen
Medizinische Gutachten im Zusammenhang mit der Lyme-Borreliose befassen sich im Wesentlichen mit vier Problemfeldern:
Es seien einige Nachschlagewerke genannt, die bei den oben genannten Problemfeldern oft in Anspruch genommen werden:
Behandlungsfehler
Bei ärztlichem Behandlungsfehler obliegt die Beweislast dem Patienten (Tab. 26). Dabei muss er das Verschulden des Arztes an dem Behandlungsfehler beweisen. Ein Behandlungsfehler ist dann
anzunehmen, wenn der Arzt den medizinischen Standard bei seiner Behandlung unterschritten hat; ist dies der Fall, besteht zudem die Vermutung, dass der Arzt auch seine innere Sorgfaltspflicht
verletzt hat.
Gelingt der Beweis, dass der Arzt dem medizinischen Standard nicht genügte und seine innere Sorgfaltspflicht verletzte, kommt es zur Beweislastumkehr: Nun muss der Arzt darlegen, dass er die objektiven Sorgfaltspflichtverletzungen nicht subjektiv zu vertreten hat.
Im Zusammenhang mit der Lyme-Borreliose spricht für eine Vermutung eines schuldhaften Behandlungsfehlers (mit Beweislastumkehr), wenn feststeht, dass die Gefahren einer Erkrankung nicht voll
ausgeschlossen wurden. In diesem
Zusammenhang wird juristisch von einem voll beherrschbaren Risiko gesprochen. In der Rechtsprechung betrifft dies zum Beispiel oft Infektionen infolge mangelhafter Hygiene. – Analog müsste auch
die Nichtbehandlung oder falsche Behandlung eines Erythema migrans mit der Folge einer chronischen Lyme-Borreliose fehlerhaft sein, da mit dem Erythema migrans ein „voll beherrschbares Risiko“
vorliegt. Der Vollständigkeit halber sei in diesem Zusammenhang angefügt, dass eine
Versagerquote von 10% bei der antibiotischen Behandlung des Erythema migrans vorliegt, dass diese Fehlerquote jedoch durch Wechsel auf ein anderes Antibiotikum minimiert werden kann. Zu der
Problematik nicht oder falsch behandeltes Erythema migrans in Verbindung mit „voll beherrschbares Risiko“ gibt es bisher allerdings keine höchstrichterliche Entscheidung.
Dem Arzt obliegt die so genannte therapeutische Aufklärungspflicht. Diese bezieht sich bei der Lyme-Borreliose in der Regel auf die antibiotische Behandlung. Der betreuende Arzt muss also auf die
Probleme der antibiotischen Behandlung
hinweisen, aktuell insbesondere auch auf die Tatsache, dass die Leitlinien internationaler und nationaler Fachgesellschaften zum Teil nur Expertenmeinungen darstellen und nicht auf
wissenschaftlichen Studien basieren. Zudem ist ggfs. darauf
hinzuweisen, dass die vorgesehene oder eingeleitete antibiotische Behandlung unter verschiedenen Aspekten nicht den Empfehlungen verschiedener Leitlinien entspricht. Der Aufklärungspflicht ist
Genüge getan, wenn dem Patienten ein
entsprechender Text ausgehändigt und dessen Erhalt quittiert oder sonst dokumentiert wird (siehe Ordner).
Tab. 26 Behandlungsfehler |
|
Im Streitfall muss der Arzt beweisen, dass er der therapeutischen Aufklärungspflicht genügte.
Auch Schäden die aus dem ärztlichen Behandlungsfehler (Fehldiagnose, falsche Behandlung) resultieren, müssen vom Patienten bewiesen werden, d.h. der Patient trägt die Beweislast für die
Ursächlichkeit. Auch in diesem Zusammenhang tritt Beweislastumkehr ein, wenn der Arzt durch die festgestellte unsachgemäße Behandlung (Fehldiagnose, falsche Behandlung) den Patienten bewusst oder
leichtfertig einer Gefahr ausgesetzt hat, die geeignet war, den Schaden (Lyme-Borreliose) herbeizuführen.
Der Patient hat zu beweisen, dass der Arzt schadensursächlich objektiv gegen die anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaft verstoßen hat. Dies kann die Nichterkennung der Erkrankung, die
falsche Annahme einer anderen Erkrankung
(Fehldiagnose im engeren Sinne) oder Fehler bei der Behandlung betreffen. Im Zusammenhang mit der Lyme-Borreliose ist in diesem Zusammenhang zwischen Frühstadium und chronischer Lyme-Borreliose
zu unterscheiden. Bezüglich der Einzelheiten sei auf Seite 5-7 und Seite 8-16 verwiesen.
Der Arzt unterliegt der Dokumentationspflicht. Alle wesentlichen medizinischen Vorgänge und Daten müssen dokumentiert werden. Die Beweislast für einen Behandlungsfehler obliegt jedoch auch dann
dem Patienten, wenn die ärztliche Dokumentation nicht erfolgte. Jedoch steht es im Ermessen des Gerichtes, dem betroffenen Patienten unter der Bedingung fehlender Dokumentation die ihm obliegende
Beweislast zu erleichtern. Dennoch muss er auch bei fehlender Dokumentation schlüssig darstellen, dass ein schuldhafter Behandlungsfehler Ursache eines aufgetretenen Schadens (Krankheit) ist.
Allerdings dürfen bei fehlender Dokumentation an den Patienten bei der Substantiierung des Fehlervorwurfes keine allzu großen Anforderungen gestellt werden.
Lücken in der ärztlichen Dokumentation führen zu keiner Beweislastumkehr, wenn fehlende Angaben durch den Arzt ergänzt werden. Bei mangelhafter Dokumentation liegt es im Ermessen des Richters,
dem Patienten (Kläger) Beweiserleichterung zuzubilligen, bis hin zur Beweislastumkehr. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn aufgrund der mangelhaften Dokumentation dem Patienten (Kläger)
Aufklärungshindernisse infolge mangelhafter Dokumentation billigerweise nicht mehr zugemutet werden könne.
Bei dem Beweis für den Ursachenzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Schaden (in der Regel chronische Lyme-Borreliose) ist die so genannte haftungsbegründende Kausalität zu beachten. Der
Patient hat zu beweisen, dass der Behandlungsfehler für den eingetretenen Schaden ursächlich ist.
Nach geltender Rechtsprechung ist die Kausalität bewiesen, wenn ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit vorliegt, d.h. wenn für einen vernünftigen, die Lebensverhältnisse
klar überschauenden Menschen ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass er den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Gefordert wird also, dass die Kausalität
mit hoher Wahrscheinlichkeit begründet wird. Liegt ein Behandlungsfehler vor, der typischerweise zu einer bestimmten Schädigung führt, greifen die Grundsätze des Anscheinsbeweises. Wird im
Zusammenhang mit der Lyme-Borreliose zum Beispiel
ein Erythema migrans nicht rechtzeitig diagnostiziert oder nicht adäquat behandelt, kommt es oft zur Entwicklung einer chronischen Lyme-Borreliose. Bei einer solchen chronischen Lyme-Borreliose
handelt es sich also nach medizinischer Erfahrung um eine Schädigung, die typischerweise nach unbehandeltem Erythema migrans auftritt. Juristisch würde also in diesem Zusammenhang der
Anscheinsbeweis reichen, nämlich dass das Erythema migrans nicht behandelt wurde und die chronische Lyme-Borreliose daraus resultierte.
Der Anscheinsbeweis scheidet aus, wenn der Arzt die praktisch ernst zu nehmende Möglichkeit eines atypischen Krankheitsverlaufes dartut. Dabei muss er auf den Einzelfall eingehen. Im Zusammenhang
mit der Lyme-Borreliose wird in diesem
Zusammenhang nicht selten auf eine atypische Form oder Größe eines Erythema migrans hingewiesen; dies genügt jedoch nicht, einen atypischen Krankheitsverlauf zu belegen, da in der Literatur diese
verschiedenen Formen des Erythema migrans präzise dargestellt sind.
Sind Schädigungen nach medizinischer Erfahrung typischerweise auf Behandlungsfehler zurückzuführen (z.B. chronische Lyme-Borreliose nach nicht behandeltem Erythema migrans), muss ein solcher
Zusammenhang nicht noch einmal durch den Patienten dargestellt werden, da sich der Ursachenzusammenhang aus dem genannten typischen Zusammenhang ergibt.
Ein grober Behandlungsfehler (schwerer Behandlungsfehler) liegt vor, wenn bei Anlegung des für einen Arzt geltenden Ausbildungs- und Wissensstandes nicht mehr verständlich und verantwortbar
erscheint, warum der Behandlungsfehler „schlechterdings nicht unterlaufen darf“. Ein derartiger grober Behandlungsfehler liegt vor, wenn nicht nach gefestigten Regeln der Kunst behandelt wurde,
d.h. wenn ein eindeutiger Verstoß gegen gesicherte und bewährte medizinische Erkenntnisse und Erfahrungen vorliegt.
Bei der Entscheidung, ob ein grober Behandlungsfehler vorliegt, ist auf den Ausbildungsstand des Arztes abzustellen. Konkret ist diese Frage nach dem Ausbildungsstand weder von den zuständigen
Standesgremien noch von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt. Beispielhaft sei eine Entscheidung des Landgerichts Trier angeführt, das zum Nachteil des Patienten (Klägers) entschied,
dass von einem Allgemeinarzt (Hausarzt) nicht erwartet werden kann, dass er ein Erythema migrans erkennt. Bei einer solchen Urteilsbegründung wird dem Patienten die Möglichkeit genommen, den
Behandlungsfehler zu beweisen. Eine solche
Urteilsfindung ist umso problematischer, da die Beurteilung sich verständlicherweise auf keinerlei Standards beziehen kann, die den adäquaten Ausbildungsstand (Fähigkeit eines Arztes zur
Erkennung eines Erythema migrans) definieren.
Ein grober Behandlungsfehler führt zur Beweislastumkehr, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass der Behandlungsfehler zu einem Gesundheitsschaden beigetragen hat oder die Heilungschance für den
Patienten nicht gewährt worden ist.
Wenn ein Schaden (chronische Lyme-Borreliose) Folge eines nicht behandelten Erythema migrans ist, reicht es bei der Beweisführung nicht aus, wenn lediglich eine fernliegende Möglichkeit (zwischen
nicht behandeltem Erythema migrans und
chronischer Lyme-Borreliose) vorgetragen wird; vielmehr muss dargelegt werden, dass die Nichtbehandlung des Erythema migrans als Schadensursache ernstlich in Betracht kommt.
In einem solchen Zusammenhang bleibt dem beklagten Arzt nur die Möglichkeit, den vom Kläger behaupteten Kausalzusammenhang durch Fakten zu widerlegen. Dies ist jedoch im Zusammenhang mit der
Lyme-Borreliose nur eine theoretische juristische Überlegung, in der Regel werden sich überzeugende Fakten wohl kaum vorbringen lassen.
Überweist ein Arzt zur Klärung eines unklaren Krankheitszustandes an einen anderen Arzt, so kann dem überweisenden Arzt in der Folge kein Behandlungsfehler angelastet werden. Ausnahme wäre, dass
der beklagte Arzt während des gesamten Krankheitsverlaufes eine maßgebliche koordinierende Funktion hatte, also gewissermaßen in der Sache medizinisch federführend war. Bei einer solchen
Konstellation hat er sämtliche Befunde der mitbetreuenden Ärzte einzubeziehen und Sorge zu tragen, dass die Diagnose möglichst bald gestellt und die Behandlung eingeleitet wird.
Der Arzt hat sich seinen Möglichkeiten entsprechend über die Lyme-Borreliose zu informieren. Falls der Arzt durch Falschbehauptungen in der Literatur oder bei Fortbildungsmaßnahmen (z.B. durch
die Ärztekammer) Fehlinformationen unterliegt,
kann ihm ein Behandlungsfehler nicht angelastet werden.
Der zu fordernde ärztliche Standard richtet sich nach dem Zeitpunkt der Behandlung. Der Arzt schuldet die zum Zeitpunkt der Behandlung berufsfachlich gebotene Sorgfalt.
Der Arzt muss den Patienten über die Erfolgsaussicht der Behandlung bzw. das Nutzen-Risiko-Verhältnis informieren.
Bei der Lyme-Borreliose ist ein präzises medizinisches Gutachten die wesentliche Grundlage für die Ansprüche des Patienten (Klägers) und die Argumentation vor Gericht. Bei schwierigen
Sachverhalten bietet es Vorteile für den Kläger (Patienten), wenn der Gutachter an den Gerichtsverhandlungen teilnimmt (Parteiengutachter). Dabei sollte der Gutachter zu allen wesentlichen
Fakten, insbesondere auch zu Falschbehauptungen der Gegenseite präzise Stellung nehmen und mit dafür Sorge tragen, dass alle Einlassungen im Sitzungsprotokoll dokumentiert werden.
Ansprüche aus Versicherungen
Ansprüche gegenüber gesetzlichen und privaten Versicherungen (vgl. Tab. 27) betreffen im Zusammenhang mit der Lyme-Borreliose ausschließlich das chronische Stadium (Stadium III).
Entscheidend ist also zunächst der Beweis, dass eine chronische Lyme-Borreliose vorliegt, die sich auf die Berufs- und Erwerbsfähigkeit auswirkt. Das Gleiche gilt für Ansprüche nach dem Schwerbehindertenrecht.
Bei privaten und gesetzlichen Unfallversicherungen muss nicht nur die bestehende Krankheit (chronische Lyme-Borreliose) bewiesen werden, sondern auch deren ursächlicher Zusammenhang mit einem
Unfallereignis (Zeckenstich).
Rechtliche Auseinandersetzungen zwischen dem Patienten (Kläger) und der Versicherung beruhen auf der Negierung der Krankheit bzw. des Kausalzusammenhangs, d.h. die Versicherungen verneinen die Existenz einer chronischen Lyme-Borreliose, ein relevantes Beschwerdebild infolge chronischer Lyme-Borreliose und den Kausalzusammenhang zwischen der Lyme-Borreliose und einem Unfallereignis.
Tab. 27 Ansprüche aus Versicherung |
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Insbesondere bei den gesetzlichen Unfallversicherungen (Berufsgenossenschaften) wird oft der vom Kläger vorgetragene Unfall während der beruflichen Tätigkeit nicht akzeptiert. In einer solchen Situation ist es Aufgabe des medizinischen Gutachters, die Zusammenhänge subtil zu überprüfen und ggfs. den Kausalzusammenhang darzustellen.
Im Übrigen ist es bei allen Versicherungsangelegenheiten Aufgabe des medizinischen Gutachters festzustellen, ob eine chronische Lyme-Borreliose vorliegt und ob die entsprechende
Beschwerdesymptomatik Auswirkungen auf Berufs- und Erwerbsfähigkeit hat. Das Gleiche gilt für Ansprüche nach dem Schwerbehindertenrecht.
In Gutachten bei chronischer Lyme-Borreliose sollte darauf hingewiesen werden, dass die Diagnose der chronischen Lyme-Borreliose besonderen Schwierigkeiten unterliegt: Es gibt keinen positiven
Marker, der die Krankheit beweist, die Krankheit stützt sich auf Anamnese, körperlichen Untersuchungsbefund, medizinischtechnische Befunde (Serologie in der Regel nur für Infektion, nicht für
Krankheit beweisend) und auf die Differentialdiagnose. Diese Erschwernis der Diagnose, die ein Spezifikum verschiedener chronischer Infektionen, insbesondere aber der chronischen Lyme-Borreliose
darstellt, sollte in einem kurzen Textbeitrag dargestellt
werden (vgl. Anlage X110). Dieser Textbeitrag („Anmerkungen zur Diagnostik der chronischen Lyme-Borreliose“) sollte im Gutachten vor dem Abschnitt „Zusammenfassung und Beurteilung“ plaziert
werden.
Auch im Zusammenhang mit Versicherungsproblematiken ist die wesentliche Zielsetzung der medizinischen Begutachtung der Nachweis einer bestehenden oder stattgehabten chronischen Lyme-Borreliose.
Hierzu müssen nach den oben aufgeführten diagnostischen Grundsätzen (Anlage X110) alle Fakten dargelegt und Falschbehauptungen aus Vorgutachten widerlegt werden.
Anlage X00 | Muster „Medizinisches Gutachten“ (z.B. Wolf, Emma) |
Anlage X01 | Muster „Gutachterliche Stellungnahme“ (z.B. Scharpenack, Klaus) |
Anlage X1 | Serologie bei Lyme-Borreliose |
Anlage X3 | Chronische Lyme-Borreliose |
Anlage X4 | Fibromyalgie |
Anlage X5 | Manifestationen der chronischen LNB |
Anlage X5a | Encephalopathie bei LB |
Anlage X7 | Chronic Fatigue Syndrome (CFS) - CDC-Kriterien, DD CFS / LB |
Anlage X8 | Panik-Attacke, Diagnostische Kirterien |
Anlage X9 | Psychiatrische Erkrankungen bei Lyme-Borreliose |
Anlage X10 | Dysthymie, Diagnostische Kriterien |
Anlage X11 | Depression, Diagnostische Kriterien |
Anlage X12 | Liquorbefund bei chronischer LB |
Anlage X13 | Antibiotische Therapie der Lyme-Borreliose |
Anlage X16 | Gastrointestinale Beschwerden bei LB |
Anlage X17 | Opticus neuritis |
Anlage X18 | Nervenwurzeln / Motorik |
Anlage X18a | Evozierte Potentiale (EP) - Latenzen |
Anlage X18b | Sehbahn (Schädigungen) |
Anlage X19 | Periphere Nerven (Haut) |
Anlage X20 | Nervenwurzeln / Sensibilität (Dermatome) |
Anlage X22 | Somatoforme Störung |
Anlage X24 | Konversionsstörung |
Anlage X25 | Persönlichkeitsstörung |
Anlage X26 | Anpassungsstörung |
Anlage X26a | Posttraumatische Belastungsstörung |
Anlage X27 | Immunoblot, Sensivität - 2-Stufen-Test |
Anlage X28 | Smyptome der LB - Häufigkeit (n. Asch) |
Anlage X29 | IgM Diagnostische Bedeutung |
Anlage X30 | LTT - Diagnostische Wertigkeit |
Anlage X32 | Antibiotische Behandlung der LB, Effizienz |