Die Lyme-Borreliose stellt eine bakterielle Infektionskrankheit dar, ausgelöst durch Borrelien, die von Zecken übertragen werden. Die Krankheit neigt zu einem chronischen Krankheitsverlauf, meistens über Jahre, nicht selten über Jahrzehnte. Sie ist mit Abstand die häufigste chronische bakterielle Infektionskrankheit in Zentraleuropa.
Die Krankheit wird auf medizinischer und gesundheitspolitischer Ebene erheblich unterschätzt mit der Folge, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung bei der Lyme-Borreliose unzureichend
medizinisch betreut wird. Der medizinische Kenntnisstand über diese komplizierte Infektionskrankheit ist unzureichend. Es resultieren insbesondere bei dem oft chronischen Verlauf schwere
Belastungen der Betroffenen mit gravierender Auswirkung auf Lebensqualität und Sozialfunktionen.
Obwohl die Krankheit seit etwa 1985, d.h. seit mehr als 30 Jahren bekannt ist, liegen bis heute keine zuverlässigen Daten über die Häufigkeit der Krankheitsfälle vor. Jedoch erlaubt insbesondere
die Datenerfassung durch Krankenkassen eine Abschätzung der Prävalenz. Danach liegt die Häufigkeit der Krankheit bei mindestens 1 % der Bevölkerung, also in einer Größenordnung wie etwa bei
chronischem Gelenkrheumatismus (rheumatoide Arthritis). Von medizinischen Fachgesellschaften, medizinischen Verwaltungsinstitutionen und von politischer Seite wird die Bedeutung der Krankheit im
Hinblick auf ihre Häufigkeit systematisch verharmlost. Diese im Wesentlichen politische Tendenz geht so weit, dass Fachgesellschaften, z.B. in der Bundesrepublik Deutschland, eine chronische
Lyme-Borreliose überhaupt in Frage stellen und dies in Leitlinien verbreiten wollen. Seit Entdeckung der Infektionskrankheit erfolgte eine außergewöhnliche umfangreiche wissenschaftliche Analyse,
die eine korrekte Einschätzung der Lyme-Borreliose als Gefährdung des Einzelnen, aber auch der gesamten Bevölkerung deutlich macht. Diese umfangreichen wissenschaftlichen Daten werden jedoch von
den oben genannten Instanzen systematisch negiert oder verharmlost mit oft katastrophalen Folgen der Betroffenen auf medizinischem, forensischem und sozialem Gebiet.
Im medizinischen und gesundheitspolitischen Raum sind die Neurologen seit vielen Jahren meinungsprägend, obwohl nur 15 % der Patienten mit Lyme-Borreliose neurologische Symptome aufweisen, d.h.
85 % der Patienten sind aufgrund ihrer Symptomatik nicht dem neurologischen Fachgebiet zuzuordnen. Hinzu kommt, dass einige Fachgesellschaften anderer Fachgebiete nicht bereit sind, sich an der
Erstellung von Leitlinien zu beteiligen oder das Wissen über die Lyme-Erkrankung über Fortbildung den Ärzten näherzubringen. Verantwortlich für diese unzureichende Weiterbildung sind die
medizinischen Verwaltungsinstitutionen und die von ihnen beeinflussten Publikationsorgane.
Zu Beginn der Lyme-Borreliose, d.h. im Frühstadium zeigt sich als Erkennungsmerkmal eine Wanderröte (Erythema migrans, EM). Bei rechtzeitiger Erkennung und antibiotischer Behandlung lässt sich
die Krankheit im Frühstadium, gut beherrschen, die Versagerquote ist nur gering. Jedoch tritt das Erythema migrans nur in etwa 50 % der Fälle auf mit der Folge, dass bei Fehlen des EM die
Krankheit im Frühstadium weder vom Patienten noch vom betreuenden Arzt erkennbar ist. Aus Unkenntnis wird überdies das Erythema migrans oft verkannt, da die Ärzteschaft dahingehend informiert
ist, dass ein EM eine bestimmte Größe, eine typische Struktur
und Entwicklung aufweist. Tatsächlich ist ein solch typisches EM nur in der Hälfte der Fälle vorhanden, in den übrigen Fällen zeigt das EM in seiner Erscheinungsform erhebliche Abweichungen vom
vermeintlichen Prototyp. Solche atypischen Formen des EM, aber auch typische Erythemata migrantia werden nicht selten von den betreuenden Ärzten verkannt mit der katastrophalen Folge, dass eine
rechtzeitige antibiotische Behandlung versäumt wird und die Krankheit in ein chronisches Stadium übergeht.
Nach Übertragung des Krankheitserregers (Borrelia burgdorferi) durch die Zecke, kommt es schon bald zu einer Dissemination, d.h. zu einer Verbreitung des Erregers im gesamten Organismus. Folge
ist die Erkrankung zahlreicher Organe und Organsysteme (Multiorgan-, Multisystemerkrankung) mit einer äußerst umfangreichen Symptomatik. In dieser Situation ist zu überprüfen, ob andere
Krankheiten als Ursache einzelner Symptome in Betracht kommen. Die Vielfalt der Symptome bedeutet für den betreuenden Arzt eine große Herausforderung und ist mit einem erheblichen Zeitaufwand
verbunden. Zudem ist umfangreiches Wissen auf den verschiedenen medizinischen Fachgebieten gefragt.
Bei derzeitiger Strukturierung des Gesundheitswesens, insbesondere im ambulanten Bereich, stellt die bekannte Zeitlimitierung ein unüberwindliches Hindernis für eine rechtzeitige und korrekte
Diagnose dar. Folge ist eine oft erhebliche Verzögerung bei der Diagnosestellung; nach Literaturangaben beträgt beim Spätstadium das Zeitintervall zwischen Beginn der Erkrankung und Erstdiagnose
im Durchschnitt 4 Jahre. Bei einer großen Zahl der Patienten mit Lyme-Borreliose im Spätstadium wird die Krankheit überhaupt nicht diagnostiziert und sehr häufig von ärztlicher Seite willkürlich
als psychische Erkrankung oder deren Folgen deklariert. Bei der Lyme-Neuroborreliose wird nicht selten die Fehldiagnose einer Multiplen Sklerose gestellt, obwohl die hierfür erforderlichen
Krankheitsdaten und diagnostischen Kriterien nicht vorliegen.
Auch unter dem Aspekt medizinisch-technischer Untersuchungen ist die Diagnose einer Lyme-Borreliose im Spätstadium problematisch. Ein so genannter positiver Krankheitsmarker, d.h. eine
medizinisch-technische Untersuchung, insbesondere eine
Laboruntersuchung, die bei pathologischem Ergebnis die Krankheit beweist, steht bei der Lyme-Borreliose bis heute nicht zur Verfügung. Die Laboranalyse beschränkt sich im Wesentlichen auf die
serologische Untersuchung, d.h. auf den Nachweis von
Antikörpern nach Infektion. Der Nachweis solcher Antikörper beweist lediglich die stattgehabte Infektion, macht jedoch keine Aussage zu Existenz und Ausmaß der Erkrankung. Darüber hinaus belegt
umfangreiche wissenschaftliche Literatur, dass bei
etwa 30 % der Patienten mit einer Lyme-Borreliose im Spätstadium Antikörper fehlen. Wider besseres Wissens wird dennoch von verschiedenen europäischen Fachgesellschaften behauptet, dass bei
fehlenden Antikörpern eine Borreliose auszuschließen sei. Durch diese Falschbehauptung wird die Krankheit also bei 30 % tatsächlich betroffener Patienten negiert.
Ein anderes Laborverfahren, nämlich der Lymphozytentransformationstest, der bei vielen Krankheiten im Rahmen der Diagnostik seit langer Zeit zum Einsatz kommt, wird entgegen überzeugender
wissenschaftlicher Literatur von Seiten der meisten
Fachgesellschaften die diagnostische Wertigkeit abgesprochen. Tatsächlich erlaubt dieser Test die Feststellung, ob aktuell eine Konfrontation zwischen dem Krankheitserreger (Borrelia burgdorferi)
und dem Immunsystem des Patienten vorliegt. Ein pathologisches Ergebnis des LTT ist ein Hinweis (Indiz), dass der Patient durch eine persistierende Infektion belastet ist. Erstaunlicherweise
werden in der Bundesrepublik Deutschland die Kosten für den LTT von Privatversicherungen übernommen, nicht dagegen von den gesetzlichen Krankenkassen.
Das Fehlen eines positiven Krankheitsmarkers (z.B. krankheitsbeweisende Laboruntersuchung) erfordert im Hinblick auf die Krankheitserkennung, auf andere diagnostische Säulen abzustellen:
Einbeziehung sämtlicher Vorbefunde, Anamnese, körperlicher Untersuchungsbefund, medizinisch-technische Untersuchungen (Nachweis von Antikörpern beweist nur stattgehabte Infektion) und die
Differentialdiagnose. Dabei kommt der Differentialdiagnose eine ganz wesentliche Bedeutung zu. Die Differentialdiagnose hat sämtliche beim Patienten relevanten Symptome zu beachten und zu prüfen,
welche Krankheiten für die einzelnen Symptome in Betracht kommen. Aufgrund der Datenlage sind im analytischen Prozess konkurrierende Krankheiten auszuschließen, bis sich auf der Basis des
Ausschlussverfahrens die Diagnose der Lyme-Borreliose ergibt. Die Lyme-Borreliose ist insbesondere im Spätstadium in der Regel eine so genannte Ausschlussdiagnose.
Die Behandlung der Lyme-Borreliose im Frühstadium ist einfach und sehr effektiv. Dagegen ist die Behandlung der Lyme-Borreliose im Spätstadium höchst problematisch. Die von den Fachgesellschaften
in den Leitlinien empfohlene Behandlung mit einem Antibiotikum (Monotherapie) für einige Wochen (so genannte Behandlung nach Standard, gemeint sind Behandlungsvorschläge von Experten in
Kommissionen der Fachgesellschaften) hat eine Versagerquote von etwa 50 %. Diese Einschätzung beruht auf Untersuchungen in kleineren Kollektiven. Dringend erforderliche evidenzbasierte Studien
(Vergleich der Effizienz einer Behandlung mit Antibiotikum versus Placebo) liegen bis heute nicht vor und sind aufgrund ethischer Bedenken (Behandlung von Patienten mit Placebo) kaum möglich.
Für Diagnostik und Therapie der Lyme-Borreliose im Spätstadium liegen also bis heute keine evidenzbasierten Studien vor, d.h. die Symptomatik der Lyme-Borreliose ist nicht umfassend und eindeutig
definiert, es gibt keine diagnostischen Kriterien und die Effizienz der antibiotischen Behandlung wurde nicht unter wissenschaftlich korrekten Bedingungen geprüft.
Aus umfangreicher Grundlagenforschung, insbesondere auf dem Gebiet der Mikrobiologie und Immunologie ist bekannt, dass der Erreger (Borrelia burgdorferi) im Krankheitsverlauf, d.h. mit Beginn des
Spätstadiums vielfältige Eigenschaften entwickelt, sich dem Immunsystem und der antibiotischen Behandlung zu entziehen. Diese vom Erreger entwickelten Abwehrmechanismen können durch die Gabe
eines einzelnen Antibiotikums (Monotherapie) nicht überwunden werden. Die in den Leitlinien empfohlenen Antibiotika haben nicht die Eigenschaft, die Abwehrmechanismen des Krankheitserregers zu
überwinden. Erforderlich ist eine Behandlung, bei der verschiedene Medikamente gleichzeitig zum Einsatz kommen, zum Teil zur Bekämpfung der Abwehrmechanismen. Erforderlich ist eine synchron
kombinierte antibiotische Langzeitbehandlung. Diese Form der Therapie wird jedoch im europäischen Raum von den Fachgesellschaften und in deren Leitlinien abgelehnt.
Die ganz überwiegende Zahl der Fachgesellschaften empfiehlt, weitgehend die Behandlungsprinzipien beim Frühstadium auf das Spätstadium zu übertragen ohne jegliche wissenschaftliche Grundlage und
unter Missachtung der oben dargestellten Probleme bei Behandlung im Spätstadium.
In Anbetracht der erheblichen Schwierigkeiten bei Diagnostik und Therapie der Lyme-Borreliose im Spätstadium ist eine Umstrukturierung der medizinischen Versorgung dringend erforderlich. Zu
fordern ist die Etablierung von Kompetenzzentren, die im
Zusammenwirken mit den niedergelassenen und vor Ort tätigen Ärzten (Hausärzten) die Betreuung von Patienten mit Lyme-Borreliose im Spätstadium übernehmen.