Lehrbuch Lyme-Borreliose


12.14

Neuroradiculitis (M. Bannwarth)

Die Neuroradiculitis wurde 1941, also vor Entdeckung der Lyme-Borreliose, von Bannwarth (1) beschrieben. Der Morbus Bannwarth ist die häufigste Krankheitsmanifestation der Lyme-Neuroborreliose und kann in der Frühphase, jedoch auch im Spätstadium (Stadium III) auftreten.

Die Neuroradiculitis kann sich in allen Nervenwurzeln entwickeln, d.h. cervical, truncal und lumbosacral.

Häufig, aber nicht immer, ist der Liquor entzündlich verändert und in den Läsionen sind lymphoplasmozytäre Infiltrate nachweisbar. Die Anzahl von Borrelien im Bereich der Läsionen ist niedrig. Bei unterlassener oder nicht rechtzeitiger Behandlung geht die Erkrankung des Nervensystems nach Monaten, Jahren oder selbst Jahrzehnten in das Spätstadium über (Übersicht bei 2).

Die Anatomie ist in Kap. 12.18 im Zusammenhang mit den Plexopathien dargestellt.
Die motorischen Neurone sind im ventralen Vorderraum des Rückenmarks, die sensorischen Nervenfasern im dorsalen Wurzelganglion lokalisiert. Sie liegen also nicht im strengen Sinne intraspinal. Allerdings liegt die Wurzel L5 in 38% der Fälle und die Wurzel S1 in 71% der Fälle proximal des Foramen. Diese anatomischen Verhältnisse haben Bedeutung für den Liquorbefund bei der Neuroradiculitis: Nur bei intraspinal gelegenen Läsionen ist mit einem entzündlichen Liquor zu rechnen (siehe Abb. 12.22).


Abb. 12.22

Studien über den Liquorbefund bei der Neuroradiculitis sind spärlich. In der Studie von Djukic et al., 2012 (8) bestand bei allen Patienten eine Pleozytose, intrathekale IgM-AK lagen bei 70%, IgG-AK bei etwa 20% der Patienten vor. Der Antikörperindex (AI Bb) war in 82% der Fälle positiv.

Distal des Foramens teilt sich die Nervenwurzel in den Ramus dorsalis (posterior) und Ramus ventralis (anterior) auf. Der Ramus posterior versorgt die paraspinale Muskulatur und die paraspinale Haut im Rumpf- und Rückenbereich.

Der Ramus anterior vermittelt die motorischen und sensorischen Innervationen von Beinen und Rumpf. Die von den einzelnen Nervenwurzeln versorgten Muskel- bzw. Hautanteile werden als Myotome bzw. Dermatome bezeichnet. Bei pathologischen Verhältnissen (Neuroradiculitis) ergeben sich entsprechende Störungen.
Die Neuroradiculitis bei Morbus Bannwarth kann eine oder mehrere Nervenwurzeln betreffen. Bei Polyradiculitis kann die Symptomatik sehr vielfältig sein.

Die Nervenwurzelläsionen sind durch folgende Symptome gekennzeichnet:

  • Radiculärer Schmerz
  • Motorische Störung
  • Sensible Störung

Radiculäre Schmerzen sind meistens sehr belastend, in der Nacht ausgeprägter als tagsüber.

Die Störung der motorischen Funktion führt zur Schwäche einiger oder aller Muskeln, die von der entsprechenden Nervenwurzel versorgt werden; allerdings werden viele Muskeln von mehreren Nervenwurzeln versorgt, so dass die Läsion nur einer Nervenwurzel ohne Muskelschwäche einhergehen kann.

 

Bezüglich der motorischen und sensiblen Symptomatik sei auf die Tabellen 12.27-12.32 verwiesen. Da die motorischen Funktionen oft in Bezug zu mehreren Nervenwurzeln stehen, sollte sich die klinische, pathologisch-anatomische Diagnose nach der motorischen Störung richten, die ihrerseits den nervalen Strukturen zuzuordnen ist. Diese funktionsorientierte Analyse ist in Kap. 12.18 „Plexopathie bei Lyme-Neuroborreliose“ dargestellt.

Die truncalen Dermatome und die entsprechenden radiculären Schmerzareale sind der Abb. 12.25  zu entnehmen.
Elektroneurographische Hinweise auf eine Radiculopathie und/oder Plexopathie sind Veränderungen oder Fehlen von H-Reflex und F-Welle. Die Überprüfung ist im gegebenen Zusammenhang unerlässlich, da keine alternativen objektivierenden Untersuchungen zur Verfügung stehen. Allerdings wird der diagnostische Wert der F-Welle bei Neuroradiculopathie kontrovers diskutiert. Bezüglich der Einzelheiten sei auf das Kapitel 12.8 verwiesen.

Die Differentialdiagnose der Neuroradiculitis bei Lyme-Borreliose (M. Bannwarth) ist in Tab. 12.31 dargestellt.

 

Die Behandlung erfolgt in der Regel mit intravenös applizierten Cephalosporinen der dritten Generation, mit Therapieversagern ist jedoch zu rechnen (3-6).

Zur besseren Übersicht werden an dieser Stelle erneut die cervicalen, thorakalen und lumbosacralen Dermatome sowie die Innervation der Haut in Kopf- und Nackenbereich graphisch dargestellt (Abb. 12.23 - 12.26)

Tab. 12.27
Tab. 12. 28
Tab. 12.29
Tab. 12.30
Tab. 12.31
Tab. 12.32
Abb. 12.23
Abb. 12.24
Abb. 12.25
Abb. 12.26

Literaturverzeichnis

  1. Bannwarth A. Chronische lymphozytäre Meningitis, entzündliche Polyneuritis und Rheumatismus. Arch Psychiatr Nervenkr. 1941; 113:284-376.
  2. Miklossy J. Chronic or Late Lyme Neuroborreliosis: Analysis of Evidence Compared to Chronic or Late Neurosyphilis. The Open Neurology Journal. 2012; 6(1-M9):146-157.
  3. Dattwyler RJ, Halperin JJ, Pass H, Luft BJ. Ceftriaxone as effective therapy in refractory Lyme disease. J Infect Dis. 1987; 155:1322-1325.
  4. Karlsson M, Hammers-Berggren S, Lindquist I, Stiernstedt G, Svenungsson B. Comparison of intravenous penicillin G and oral doxycycline for treatment of Lyme neuroborreliosis. Neurology. 1994; 1203-1207.
  5. Mullegger RR, Millner MM, Stanek G, Spork KD. Penicillin G sodium and ceftriaxone in the treatment of neuroborreliosis in children – a prospective study. Infection. 1991; 19:279-283.
  6. Pfister HW, Preac-Mursic V, Wilske B, Schielke E, Sorgel F, Einhaupl KM. Randomized comparison of ceftriaxone and cefotaxime in Lyme neuroborreliosis. J Infect Dis. 1991; 163:311-318.
  7. Halperin JJ. Lyme disease and the peripheral nervous system. Muscle and Nerve. 2003; 28:133-43.
  8. Djukic M, Schmidt-Samoa C, Lange P, Spreer A, Neubieser K, Eiffert H, Nau R, Schmidt H. Cerebrospinal fluid findings in adults with acute Lyme neuroborreliosis. J Neurol. 2012; 259(4):630-6.