Lehrbuch Lyme-Borreliose


22.1

Serologie, diagnostische Wertigkeit


Wie bei sonstigen Infektionskrankheiten werden auch bei der Lyme-Borreliose IgM- und IgG-Antikörper bestimmt. Dabei kommt nur ein Teil der bei Bb bekannten Antigene methodisch zum Einsatz (vgl. Tab. 22.3).

Ein pathologischer serologischer Befund beweist lediglich die stattgehabte Infektion mit Bb, macht jedoch keine Aussage über Existenz und Ausmaß der Krankheit (Lyme-Borreliose). Auch lässt sich aus der Konstellation, insbesondere bezüglich der Banden im Westernblot, nicht auf den Zeitpunkt des Infektionsbeginns und die Dauer der Infektion schließen. Zwar gibt es bei den Banden gewisse Unterschiede bei der Häufigkeit im Früh- bzw. Spätstadium, diese Unterschiede haben jedoch für den Einzelfall keine Bedeutung. Insofern sind die Daten der Tab. 22.3 zu relativieren.


Bei einer neu aufgetretenen Symptomatik vereinbar mit Lyme-Borreliose, z.B. beim Erythema migrans, lässt sich aus dem Vergleich eines zunächst negativen Befundes mit einem nachfolgend positivem Befund die Serokonversion belegen. In solchen Fällen kann daher mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit der Zeitpunkt des Infektionsbeginns bestimmt werden. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Entwicklung von Antikörpern oft erst viele Monate nach Infektion stattfindet, mit entsprechend resultierender Ungenauigkeit bei Bestimmung des Infektionsbeginns.

Im Hinblick auf IgM-AK ist festzustellen, dass deren Nachweis keinesfalls ein frühes Infektionsstadium signalisiert. IgM-Antikörper können im Frühstadium völlig fehlen und andererseits über Jahre persistieren. Weder der Nachweis noch das Fehlen von IgM-AK haben Bedeutung für die Infektionsdauer oder die Einschätzung des Infektionsbeginns.

Auch das Auftreten von IgG-AK kann bereits in einem frühen Stadium der Bb-Infektion erfolgen, sodass auch dieser Parameter keine Aussage über den Infektionsbeginn und die Krankheitsdauer zulässt.

Ob ein sehr ausgeprägter serologischer Befund, d.h. hohe Titer bei EIA, ELISA (Suchtest) oder eine große Zahl von Banden im Westernblot und insbesondere eine Zunahme des serologischen Befundes im Krankheitsverlauf Hinweis auf eine persistierende oder gar progrediente Lyme-Borreliose sind, ist wissenschaftlich ungeklärt. In der praktizierten Medizin besteht eine Neigung, bei zunehmender Beschwerdesymptomatik und einem über lange Zeit ausgeprägtem oder gar zunehmenden serologischen Befund eine chronische Persistenz der Infektion und der Krankheit anzunehmen (Lyme-Borreliose im Spätstadium, Lyme-Borreliose Stadium III).


Im Frühstadium ist der serologische Befund von nachrangiger Bedeutung, wenn ein Erythema migrans vorliegt, das für das Frühstadium krankheitsbeweisend ist. Dies gilt selbstverständlich auch bei (noch) negativ serologischem Befund, d.h. vor Auftreten einer Serokonversion. Auch in diesem Zusammenhang ist wiederrum zu beachten, dass im Frühstadium eine Serokonversion oft erst nach Monaten auftritt und das bestimmte Faktoren, insbesondere antibiotische Behandlung oder immunsuppressive Faktoren (z. B. Sonnenbestrahlung), die Antikörperbildung verhindern oder erheblich verzögern können.

Im Frühstadium tritt bei bis zu 50% der Patienten kein Erythema migrans auf, es zeigt sich nur ein grippeartiger Krankheitszustand (identisch mit der Begleitsymptomatik eines EM). In solchen Situationen ist der Nachweis einer Serokonversion von erheblicher Bedeutung. Im ungünstigsten Fall muss bei gegebenen Umständen die Verdachtsdiagnose einer Lyme-Borreliose geäußert und eine sofortige probatorische antibiotische Behandlung begonnen werden. Bei den derzeitigen diagnostischen Möglichkeiten kommen also Krankheitsfälle vor, bei denen Bb-Infektion zu einer Symptomatik im Frühstadium führt,ohne dass ein EM oder eine Serokonversion die Diagnose sichern oder wahrscheinlich machen. Wenn trotz solcher diagnostischer Handicaps eine neu aufgetretene Lyme-Borreliose nicht auszuschließen ist, ergibt sich die Notwendigkeit einer antibiotischen Behandlung wie bei einem bewiesenen Frühstadium.

Probleme im Hinblick auf den serologischen Befund ergeben sich auch bei Lyme-Borreliose Stadium III (Spätstadium), insbesondere auch bei medizinischer Begutachtung. Es gilt der oben schon genannte Grundsatz, dass ein pathologischer serologischer Befund die stattgehabte Infektion beweist, jedoch keine Aussage zu Existenz und Ausmaß der Erkrankung (Lyme-Borreliose Stadium III) zulässt. Da bei der Lyme-Borreliose im Stadium III Antikörper nur in etwa der Hälfte der Fälle vorliegen, also Seronegativität mit einer Häufigkeit von etwa 50% besteht, kann ein negativer serologischer Befund eine Lyme-Borreliose Stadium III nicht ausschließen.

In 2016 publizierten Leeflang et al einen systematischen Überblick über die diagnostische Wertigkeit der Serologie bei Lyme-Borreliose auf der Basis einer Literaturübersicht. Dabei zeigten sich bei pauschaler Beurteilung bei verschiedenen klinischen Konstellationen folgende Sensivitäten: Erythema migrans 50 %, Neuroborreliose 77 %, Acrodermatitis chronica atrophicans 97 % und unspezifische LB 73 %. Bezüglich weiterer Einzelheiten sei auf die nachfolgende Epikrise der Publikation von Leeflang et al, 2016 verwiesen.

 

 

The diagnostic accuracy of serological tests for Lyme borreliosis in Europe: a systematic review and meta-analysis.

Leeflang MMG, Ang CW, Berkhout J, Bijlmer HA, Van Bortel W, Brandenburg AH, Van Burgel ND, Van Dam AP, Dessau RB, Fingerle V, Hovius JWR, Jaulhac B, Meijer B, Van Pelt W, Schellekens JFP, Spijker R, Stelma FF, Stanek G, Verduyn-Lunel F, Zeller H, Sprong H. BMC Infectious Diseases 2016; 16:140.

 

Abstract

Die Interpretation von serologischen Befunden bei der Lyme-Borreliose setzt Verständnis bezüglich der klinischen Indikation und der Limitation der vorhandenen serologischen Tests voraus. In der Studie wurde systematisch die Korrektheit serologischer Tests für die Diagnose einer Lyme-Borreliose (in Europa) untersucht.

Die Studie stützt sich auf Publikationen, die über Medline erfasst wurden. Bei der Auswahl der Studien wurden zur Qualitätsüberprüfung die QUADAS-2 Checkliste benutzt. Mögliche Quellen für Heterogenität waren Testtyp (kommerziell oder Labor-eigen), IgG-Typ, Antigen-Typ und Studienqualität.

78 Publikationen über die Ergebnisse bei ELISA und Immunoblot wurden einbezogen und gegen einen Vergleichsstandard bezüglich klinischer Kriterien abgeglichen. Keine der geprüften Publikationen hatte ein geringes Risiko hinsichtlich Fehleinschätzung. Die Angaben zur Sensitivität waren hochgradig heterogen. Bei pauschaler Beurteilung ergaben sich bei verschiedenen klinischen Konstellationen folgende Sensivitäten: bei Erythema migrans 50 %, Neuroborreliose 77 %, Acrodermatitis chronica atrophicans 97 % und bei unspezifischer LB 73 %. Die Spezifität lag bei Studien mit gesunden Kontrollpersonen bei 95 %, sonst bei 80 % (cross-sectional studies, klinische Verlaufsbeobachtung).

Die in den Studien beobachtete Heterogenität und das Risiko der Fehleinschätzung komplizierte die Extrapolation hinsichtlich der klinischen Verwertbarkeit. Der Nutzen serologischer Tests bei der LB hängt vom prädiktiven Wert in der gegebenen Situation ab. Zukünftige Studien über die diagnostische Wertigkeit serologischer Untersuchungen sollten in prospektiv geplanten cross-sectional studies durchgeführt werden, also in Situationen, in denen die serologischen Tests in praxi genutzt werden.

 


Schlussfolgerung

Die Daten erlauben keine Beurteilung hinsichtlich der diagnostischen Wertigkeit von ELISA vs Immunoblot, eine valide Einschätzung von Sensivität und Spezifität. Eine valide Einschätzung erfordert cross-sectional studies (klinische Verlaufsbeobachtung) mit gutem Design, durchgeführt an einer relevanten klinischen Patientenpopulation. Überdies sind Informationen erforderlich über die Prävalenz der Lyme-Borreliose bei den untersuchten Patienten und die klinischen Konsequenzen eines negativen oder positiven serologischen Befundes. (Sinngemäß): Die diagnostische Bedeutung des serologischen Tests hängt von seinem Stellenwert bei der klinischen Analyse ab. Zukünftige Studien sollten die serologischen Tests durch klinische Daten validieren und auf diese Weise die diagnostische Wertigkeit der Serologie definieren.

(Anm. d. Verf.: Die Studie zeigt, dass bei der Lyme-Borreliose mit einer Seronegativität von etwa 30 % zu rechnen ist. Entscheidend ist jedoch die Tatsache, dass ein positiver serologischer Befund lediglich die stattgehabte Infektion belegt, grundsätzlich aber keine Aussage zu Existenz und Ausmaß der Krankheit (Lyme-Borreliose) zulässt. Die Zielsetzung der Studie, den prädiktiven Wert eines pathologisch serologischen Befundes für die Existenz einer Lyme-Borreliose (Krankheit) zu überprüfen, geht also ins Leere, da der serologische Befund, sowohl positiv wie negativ, zur Diagnose der Lyme-Borreliose nicht beiträgt. Die angeblich hohe Sensivität serologischer Untersuchungen bei der Acrodermatitis chronica atrophicans ist durch systematische Studien nicht belegt. Überdies ist die Diskussion des serologischen Befundes bei ACA unnötig, da die klinisch oder histologisch diagnostizierte ACA für sich alleine bereits für die Lyme-Borreliose im Spätstadium krankheitsbeweisend ist und somit der serologische Befund keinen zusätzlichen diagnostischen Nutzen hat).