Lehrbuch Lyme-Borreliose


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Diagnostik und Therapie der LB im Überblick


Vorbemerkungen

Die Lyme-Borreliose (LB) ist eine Infektionskrankheit, die durch Borrelien hervorgerufen wird und zwar durch die Spezies B. burgdorferi. Der Erreger wurde 1982 durch Burgdorfer nachgewiesen (293). Die Infektion wird von Zecken (in Europa: Ixodes ricinus, sogenannter Holzbock) übertragen. Die Erkennung der Krankheitszusammenhänge und der Krankheitsmanifestationen beruhen auf den Arbeiten von AC Steere (43), der seine Beobachtungen im Wesentlichen an Kindern der Kommune Lyme nahe Long Island, New York machte. Entsprechend wird zur Abgrenzung gegenüber anderen Borreliosen die durch B. burgdorferi ausgelöste Krankheit als Lyme-Borreliose bezeichnet.

Die Lyme-Borreliose kann zahlreiche Organe und Organsysteme befallen (Multiorgan- bzw. Multisystemerkrankung); entsprechend vielfältig ist die Symptomatik, sodass sich insbesondere im Hinblick auf einzelne Krankheitsmanifestationen oft eine umfangreiche Differentialdiagnose ergibt. Schwierig ist die Diagnosestellung insbesondere im Spätstadium, dies um so mehr, da kein sogenannter positiver Krankheitsmarker d.h. eine beweisende medizinisch-technische Untersuchungsmethode zur Verfügung steht. Vielmehr stützt sich die Diagnose der Lyme-Borreliose, abgesehen von der Wanderröte (Erythema migrans) als beweisende Manifestation des Frühstadiums, im Wesentlichen auf die gesamte Datenlage insbesondere auf Symptome und klinische Befunde und die Abgrenzung gegenüber anderen Krankheiten, d.h. die Differentialdiagnose. Die Erkennung der Lyme-Borreliose ist also im Wesentlichen eine Ausschlussdiagnose. Die Differentialdiagnose erfordert ein breites Wissen über konkurrierende Krankheiten auf zahlreichen Fachgebieten. Das vorliegende Kapitel soll eine Einführung in die umfassende Problematik bieten und in Form eines Überblicks die Krankheitsstruktur der Lyme-Borreliose skizzieren.

Pathogenese

Da sich die Zecke Ixodes ricinus nur in gemäßigtem Klima aufhalten kann, ist die Lyme-Borreliose eine Krankheit der gemäßigten Klimazonen etwa zwischen dem 40. und 60. nördlichen Breitengrad. Die Krankheit kann durch verschiedene Zeckenarten übertragen werden. In Europa durch Ixodes ricinus, in Nordamerika durch I. scapularis und I. pacificus. In anderen Bereichen (Ferner Osten, Ostasien, Südeuropa) sind andere Zeckenarten Überträger.

In Europa wird die Krankheit im Wesentlichen durch 3 Subspezies ausgelöst: Borrelia burgdorferi ss, B. garinii und B. afzelii, in Nordamerika im Wesentlichen durch B. burgdorferi ss. Auch andere Subspezies kommen als Krankheitserreger in Betracht, allerdings wesentlich seltener: B. spielmanii, B. valaisiana, B. lusitaniae und B. bissettii. Allerdings ist für die zuletzt genannten 3 Subspezies die Humanpathogenität noch unklar.

Die Krankheitsentstehung beruht auf der Konfrontation zwischen Krankheitserreger und (humanen) Immunsystem und den dabei auftretenden entzündlichen Vorgängen mit der Folge mehr oder weniger ausgedehnter Organschäden.

Unter therapeutischem Aspekt ergeben sich besondere Probleme, da Borrelia burgdorferi in besonderem Maße Fähigkeiten besitzt, sich dem Immunsystem bzw. dem Einfluss von Antibiotika zu erwehren.

Epidemiologie

Die Datenlage zur Inzidenz (jährliche Neuerkrankung) und zur Prävalenz (Anzahl von Patienten mit Lyme-Borreliose während eines Zeitraumes von einem Jahr) zeigt enorme Diskrepanzen. Bei pauschaler Betrachtung ist die Lyme-Borreliose jedoch keinesfalls eine seltene Krankheit. Es ist davon auszugehen, dass in der Bundesrepublik Deutschland jährlich etwa eine Millionen Patienten an einer Lyme-Borreliose leiden.

Wesentliche Merkmale der Lyme-Borreliose

Da die Lyme-Borreliose viele Organe betreffen kann (sogenannte Multiorgan- und Multisystemerkrankung), ergibt sich für die oft zahlreichen Krankheitsmanifestationen eine umfangreiche Differentialdiagnose. Bei Beachtung der wesentlichen Merkmale der LB wird die Differentialdiagnose erleichtert und die Verkennung der Lyme-Borreliose weitgehend verhindert:

Merkmale der LB

  • Hohes Infektionsrisiko
    (Hausgarten, freie Natur, Haus- und Wildtiere)
  • Zeckenstich
  • Erythema migrans (EM)
    (in 50% der Fälle)
    (nicht obligat)
  • Lymphozytom, Acrodermatitis chronica atrophicans
    (in 3 bzw. 10% der Fälle)
  • Grippeähnlicher Krankheitszustand auch ohne EM
    (sogenannte Sommergrippe)
  • Fatigue (Erschöpfung, Krankheitsgefühl)
  • Muskelskelett-Beschwerden
    (u.a. Arthritiden)
  • Neurologische Symptomatik (Lyme-Neuroborreliose (LNB))
    (in ca. 20% der Fälle)
    (u.a. Polyneuropathie, cranielle Neuropathie, Neuroradiculitiden und ZNS-Erkrankungen)
  • Magen-Darm-Beschwerden
    (in 70% der Fälle)
  • Augenerkrankungen
  • Innenohr-Erkrankung
  • Urogenitale Beschwerden
  • Herzerkrankung
    (gestörte Erregungsüberleitung, Myokarditis, Pericarditis)

Diagnostische Strategie

In der täglichen Praxis sind folgende Situationen von besonderer Bedeutung:

  • Frischer Zeckenstich
  • Erythema migrans
  • Frühstadium ohne Erythema migrans
  • Chronisches Stadium (Spätstadium)


Frischer Zeckenstich

Anamnestisch wird ein Zeckenstich von 50-70% der LB-Patienten verneint. Eine negative Zeckenstichanamnese schließt also eine LB nicht aus (173, 174, 175, 176).
Falls die Zecke zur Verfügung steht, sollte diese auf Infektiosität mittels PCR untersucht werden. Allerdings schließt ein negatives PCR-Ergebnis die Infektion nicht vollständig aus (1). Nach Stich durch eine nachweislich infektiöse Zecke und einer Ansaugdauer von ca. 1-2 Stunden kann die Infektionsübertragung nicht ausgeschlossen werden, so dass eine antibiotische Behandlung wie im Frühstadium zu diskutieren ist (vgl. Abschnitt „Prävention“).
Unterbleibt die Untersuchung der Zecke, ergeben sich folgende Konsequenzen:

  • Beobachtung der Stichstelle für 4-6 Wochen. Bei Auftreten einer Rötung (Erythem) oder eines ungeklärten „grippeähnlichen Krankheitszustandes“ sofortige Konsultation des Arztes.
  • Sofortige serologische Untersuchung nur bei Zeckenstich im Rahmen der beruflichen Tätigkeit zur Sicherung von Ansprüchen aus Unfallversicherungen oder bei Patienten mit Anamnese einer Lyme-Borreliose.(In diesen Situationen erfolgt serologische Untersuchung zur Erhebung von Ausgangswerten bei vorgesehener Verlaufsbeobachtung).


Erythema migrans (EM) (Frühstadium, Stadium I)

Das Erythema migrans ist für die Erkrankung (LB) beweisend. Es ergeben sich beim EM 2 wesentliche Konsequenzen:

  • Sofortige antibiotische Behandlung
  • Serologische Untersuchung nicht erforderlich
    (Ausnahme: Zusammenhang mit Berufsunfall, Unfallversicherung oder Patient mit LB-Anamnese).

Da Antikörper erst 2-6 Wochen nach Infektionsbeginn auftreten (2, 3, 4, 5, 6, 84), ist es falsch und unverantwortlich, die antibiotische Behandlung bei EM nicht sofort sondern erst nach Feststellung eines pathologischen serologischen Befundes zu beginnen.

Je früher die antibiotische Behandlung einsetzt, umso besser kann die Infektion beherrscht werden. 4 Wochen nach Infektionsbeginn ist die Therapiechance deutlich geringer (7, 251).

Eine frühzeitige antibiotische Behandlung kann die Entwicklung von Antikörpern verhindern, d.h. es erfolgt keine Serokonversion. Seronegativität nach frühzeitiger antibiotischer Behandlung schließt die LB also keinesfalls aus, vielmehr ist die LB durch das EM bewiesen.

Auch das Lymphozytom ist eine krankheitsbeweisende Hautmanifestation des Frühstadiums. Das Lymphozytom ist eine erythematöse Schwellung vorwiegend im Bereich gut durchbluteter Hautareale (Ohrläppchen, Mamille, Genitalien).

 


Frühstadium ohne Erythema migrans (EM) (Stadium I)

In 30-50% der Fälle tritt im Frühstadium der Lyme-Borreliose kein EM auf (5, 7, 8, 9, 10, 11). Die Diagnose hat sich folglich an anderen Kriterien zu orientieren:

  • Krankheitsumstände: Aufenthalt in Hausgarten und freier Natur, Zeckenstich
  • Symptomatik: Grippeartiges Krankheitsbild ohne Katarrh im Bereich der Luftwege, oft mit Fieber, allgemeines Krankheitsgefühl, Kopfschmerzen, Gelenk- und Muskelschmerzen, Nervenwurzelentzündungen
  • Eingehende körperliche Untersuchung, insbesondere Inspektion der Haut zwecks Überprüfung auf EM, ggf. auch mit Durchmessern unter 5 cm, (Mini-Erythem (12) und Lymphozytomen
  • Labordiagnostik:
        Serologie
  • Lymphozytentransformationstest (LTT)
        Liquordiagnostik
        (nur bei neurologischer Symptomatik)

Erstmanifestationen einer Lyme-Borreliose treten mitunter erst Wochen bis Monate nach Infektionsbeginn auf (4, 13, 117, 124, 200). Bei entsprechender Symptomatik ist die LB also differentialdiagnostisch zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere bei anamnestischer Angabe von Zeckenstichen oder bei hohem Infektionsrisiko.

 


Chronisches Stadium (Spätstadium, Stadium III)

Die chronische Lyme-Borreliose ist identisch mit der Spätphase (Stadium III).

Für die Diagnose der Lyme-Borreliose im Spätstadium ist ein vorausgehendes Frühstadium (EM, Lymphozytom, grippeähnliches Krankheitsbild) von besonderer Bedeutung. Allerdings geht bei etwa 50% der Fälle die chronische LB ohne vorausgegangenes oder zuvor erkanntes Frühstadium einher (vgl. 4, 7, 13, 117, 124, 200). Das Fehlen eines Frühstadiums begünstigt also die Verkennung einer Lyme-Borreliose; unabhängig davon ist die Erstdiagnose einer Lyme-Borreliose oft erheblich zeitlich verzögert (251, 252). Ursache ist in der Regel eine Fehldiagnose, d.h. die Annahme anderer, nicht zutreffender Erkrankungen (252, 253, 254).

Krankheitsbeweisende Hautmanifestation des Spätstadiums ist die Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA).

Die chronische LB kann zu zahlreichen Symptomen führen (vgl. Tab. 3.4). Zu beachten sind insbesondere folgende Krankheitsmanifestationen:

  • Fatigue (Erschöpfung, chronisches Krankheitsgefühl)
  • Encephalopathie (Hirnleistungsstörungen)
  • Erkrankungen des Muskelskelettsystems
  • Neurologische Symptome
    (Neuroradiculitis, cranielle Neuropathie, ZNS-Erkrankung, Polyneuropathie)
  • Magen-Darm-Beschwerden
  • Urogenitale Symptome
  • Augensymptome
  • Innenohr-Erkrankung
  • Hautsymptome
  • Herzerkrankungen

Entsprechend der Vielfalt der Krankheitsmanifestationen erfordert die chronische Lyme-Borreliose eine umfassende allgemeinmedizinische und neurologische Untersuchung.

Oft sind auch Untersuchungen auf anderen Fachgebieten erforderlich, insbesondere auch zwecks Durchführung verschiedener medizinisch-technischer Untersuchungen.

Die Labordiagnostik bei der chronischen Lyme-Borreliose umfasst folgende Untersuchungen:

  • Serologische Untersuchungen
  • Lymphozytentransformationstest (LTT)
  • Liquordiagnostik (nur bei aktuellen entzündlichen Erkrankungen des ZNS)

Anmerkung bezüglich Berufskrankheit und Unfallversicherung                                      

Die Lyme-Borreliose gilt entsprechend Nr. 3102 der Anlage 1 zur BKV als Berufskrankheit. Dabei ist allein entscheidend, ob der erlittene Unfall (Zeckenstich mit Übertragung der Infektion), d.h. die Infektion im Rahmen der beruflichen Tätigkeit erfolgte. Bei einigen Berufsgruppen mit hohem Infektionsrisiko (u.a. Land- und Forstwirte, Tierärzte) wird in der Regel ein Zusammenhang zwischen Unfall (Zeckenstich) und Erkrankung angenommen (Kausalzusammenhang). Bei anderen Berufsgruppen muss dieser Kausalzusammenhang vom Betroffenen nachgewiesen werden. Daher ist im Falle eines Zeckenstiches während der beruflichen Tätigkeit und bei nachfolgenden Krankheitserscheinungen eine sorgfältige Dokumentation der Anamnese, des Untersuchungsbefundes und der Laborergebnisse durch den behandelnden Arzt erforderlich. Die Patienten selbst sollten Tagebuchaufzeichnungen machen und Hautveränderungen fotografisch dokumentieren.

Ansprüche aus einer Unfallversicherung setzen zudem voraus, dass die aufgetretene Lyme-Borreliose nach Berufsunfall (Zeckenstich mit Infektionsübertragung) zu einer nachfolgenden Gesundheitsschädigung, zumindest für einen bestimmten Zeitraum führt. In Zusammenhang mit versicherungsrechtlichem Ansprüchen muss also der Kausalzusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit und Infektion (Unfall), sowie der nachfolgend resultierenden Erkrankung (Lyme-Borreliose) bewiesen werden (vgl. Kap. 3.1). Die Berufskrankheit und die Folgeschädigung sind vom Patienten (Kläger) zu beweisen. Gefordert wird ein bewiesener Kausalzusammenhang zwischen Zeckenstich (Unfall) und dem Auftreten einer Lyme-Borreliose und das Fortbestehen einer sich anschließenden Lyme-Borreliose im Spätstadium. Für den Beweis einer aktuell bestehenden Lyme-Borreliose im Spätstadium ist der Bezug zum Unfall (Zeckenstich mit Borrelieninfektion) zu belegen. Dabei sind generell Brückensymptome zwischen Unfall und aktueller Krankheitssituation ein wichtiges argumentatives Instrument. Nicht selten werden Zeckenstich und resultierende Borrelieninfektion als Berufskrankheit anerkannt, nicht dagegen die nachfolgende Entwicklung einer Lyme-Borreliose im Spätstadium. Es gilt also einerseits den Zeckenstich mit Übertragung der Borrelieninfektion (mit Wahrscheinlichkeit) zu beweisen, andererseits aber auch den Schaden, d.h. die persistierende Lyme-Borreliose im Spätstadium oder aus der Lyme-Borreliose resultierende Folgeschäden.

Unter juristischem Aspekt sind beim Nachweis der Kausalität zwei Aspekte zu berücksichtigen:

  • haftungsbegründende bzw. externe Kausalität
  • haftungsausfüllende oder interne Kausalität

Die haftungsbegründende Kausalität betrifft bei der Lyme-Borreliose den Zusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit und Infektion. Die haftungsausfüllende Kausalität betrifft den Zusammenhang zwischen der bei der beruflichen Tätigkeit akquirierten Lyme-Borreliose und der hieraus resultierenden Krankheit (Lyme-Borreliose im Spätstadium) (vgl. 295).

Symptome der Lyme-Borreliose

Traditionell wird die Lyme-Borreliose entsprechend Krankheitsausprägung und -verlauf in 3 Stadien eingeteilt:

  • Stadium I
    (Frühstadium mit oder ohne EM)
  • Stadium II
    (Akute Lyme-Borreliose)
  • Stadium III
    (Spätstadium, chronische Verlaufsform)

Aus praktisch-klinischen Erwägungen kommt eine alternative Stadieneinteilung in Betracht.


Alternative Stadieneinteilung der LB

  • Frühstadium
    (EM mit oder ohne Begleitsymptome meist in den ersten 4 Wochen nach Infektionsbeginn, gelegentlich jedoch erst nach Monaten)
  • Frühstadium nach Dissemination
    (EM und multiple Organmanifestationen nach Dissemination)
  • Akute Lyme-Krankheit
    (Akuter Krankheitszustand mit verschiedenen Organmanifestationen entsprechend Stadium II nach traditioneller Einteilung, meistens einige Wochen oder Monate nach Infektionsbeginn)
  • Akute Lyme-Neuroborreliose
    (Akute Erkrankung im Bereich des Nervensystems mit oder ohne sonstige Symptome einer akuten Lyme-Krankheit)
  • Chronische Lyme-Neuroborreliose
    (Erkrankung des zentralen und/oder peripheren Nervensystems im Spätstadium (Stadium III), meistens in Verbindung mit sonstigen Organmanifestationen einer chronischen Lyme-Borreliose)
  • Chronische Lyme-Borreliose
    (Über Jahre oder Jahrzehnte verlaufende Multiorgan- und Multisystemerkrankung mit Schüben und beschwerdeärmeren oder gelegentlich beschwerdefreien Intervallen, einschließlich chronische Lyme-Neuroborreliose (LNB in 20% der Fälle, also nicht obligat))


Moderne Stadieneinteilung

In letzter Zeit wird nurmehr unterschieden nach zwei Stadien:

  • Frühstadium
  • Spätstadium

Die zeitliche Grenze zwischen diesen beiden Stadien ist nicht eindeutig. Die in der Literatur diskutierte Grenze von 6 Monaten ist obsolet. Unter praktischem Aspekt dauert das Frühstadium etwa 4 Wochen, danach ist die Symptomatik dem Spätstadium zuzuordnen.

Die akute Lyme-Borreliose und akute Lyme-Neuroborreliose (vormals Stadium II) werden mit einer gewissen zeitlichen Toleranz dem Frühstadium zugeordnet.

Symptome im Frühstadium

Das Frühstadium ist hauptsächlich durch folgende Manifestationen charakterisiert:

  • Erythema migrans
  • Lymphozytom
  • Grippeähnliche Begleitsymptomatik
  • Verschiedene Organmanifestationen nach Dissemination des Erregers

Aus diagnostischen, therapeutischen und prognostischen Gründen wird das Frühstadium zeitlich definiert und bezieht sich auf die ersten 4 Wochen nach Infektionsbeginn. Wie oben dargestellt, ist eine antibiotische Behandlung innerhalb dieser 4 Wochen relativ erfolgreich. Serologische Befunde treten bei Erstinfektion frühestens zu Ende dieses Zeitraumes auf (2, 3, 4, 5, 6, 7, 84).

Das Frühstadium ist im Wesentlichen durch das krankheitsbeweisende EM charakterisiert, das allerdings nur in 50-70% der Fälle bei Erst- oder Neuinfektionen auftritt (5, 7, 8, 9, 10, 11). Es ist oft von grippeähnlichen Allgemeinsymptomen begleitet.

Breiten sich die Erreger nach Infektionsbeginn (Inokulation) frühzeitig im gesamten Organismus aus, so kann diese Dissemination auch bei noch bestehendem EM bereits zu Erkrankungen anderer Organe führen. Die Grenzen zwischen einem solchen disseminierten Frühstadium und der akuten Lyme-Krankheit (Stadium II) oder sogar einem chronischen Stadium (Spätstadium, Stadium III) sind fließend.

Das EM kann in Form, Größe und Ausprägung erheblich variieren (4, 8, 9, 12, 13, 117, 124, 200). Die klassische Form mit Randsaum und zentraler Abblassung liegt nur in der Hälfte der Fälle vor. Daher sollte bei jeglichem Erythem, unabhängig von seiner Erscheinungsform, im Zweifel ein EM diagnostisch angenommen werden, insbesondere wenn das Erythem eine Ausdehnung oder Persistenz über Wochen aufweist. Auch die CDC (Centers for Disease Control and Prevention) weisen aktuell darauf hin, dass ein EM in 30% der Fälle nicht auftritt oder wahrgenommen wird, in über 50% nicht die klassische anuläre Form vorliegt, häufig Formvarianten auftreten, in 60% der Fälle eine makuläre Form vorliegt, eine livide Farbgebung vorkommt und mitunter im Zentrum vesikuläre Veränderungen sichtbar sind (290). Schwierig ist die Abgrenzung einer umschriebenen entzündlichen Reaktion im Bereich der Stichstelle mit einem Durchmesser von höchstens 2 cm, die kurze Zeit nach Zeckenstich auftritt. Diese Entzündung wird durch Sekrete ausgelöst, die die Zecke beim Stich in die Haut einbringt, steht also nicht im Zusammenhang mit Borrelien. Die Abgrenzung gegenüber einem sogenannten Mini Erythema migrans mit einem Durchmesser unter 5 cm (12) ist nur durch Verlaufsbeobachtung möglich; das EM weist meist eine zeitabhängige Größenzunahme und eine Persistenz von mindestens 2 Wochen auf. Im Zweifel sollte Hautbiopsie zum Zwecke des Erregernachweises mittels PCR erfolgen.

Das anfänglich homogene Erythem kann zentral abblassen; mitunter bleibt nur mehr ein bogiger Randsaum, es kann mit Jucken und Schmerzen einhergehen und mit wechselnder Ausprägung über Wochen bis zu vielen Monaten persistieren. Im Mittel heilt es etwa nach 10 Wochen spontan ab. Unter antibiotischer Behandlung verblasst das EM meistens innerhalb einiger Tage, Persistenz signalisiert also eine ineffiziente antibiotische Behandlung und die Notwendigkeit, das Antibiotikum zu wechseln.

Das Lymphozytom ist in seiner Krankheitsbedeutung und hinsichtlich der dargestellten Strategien dem EM gleichzusetzen. Das Lymphozytom stellt eine entzündliche Schwellung dar, die in allen Körperbereichen auftreten kann, besonders aber im Bereich gut durchbluteter Gewebe (Ohrläppchen, Brustwarzen, Skrotalhaut). Zudem gibt es Übergangs- und Kombinationsformen von Lymphozytom und EM (sogenanntes atypisches EM (14)).

Bei einem Erythem muss also grundsätzlich mit der Möglichkeit einer Borrelien-Infektion gerechnet werden, selbstverständlich unter Beachtung der Differentialdiagnose. Bei differentialdiagnostischen Unsicherheiten muss im Zweifel ein Erythema migrans angenommen und entsprechende diagnostische und therapeutische Konsequenzen gezogen werden. In einer solchen Situation ist fachärztliche dermatologische Untersuchung angezeigt und gegebenenfalls Hautbiopsie zwecks Nachweis des Erregers, meist mittels PCR.

Alle Hautmanifestationen bei der Lyme-Borreliose im Früh- und Spätstadium sind in Tab. 3.5 wiedergegeben.

Symptome im Frühstadium nach Dissemination

Bei noch bestehendem Erythema migrans oder bei Fehlen jeglicher Hautmanifestationen führt die Ausbreitung des Erregers (Dissemination) zu einem mehr oder weniger ausgeprägten Krankheitszustand. Die akute Form wird als akute Lyme-Krankheit (Stadium II) bezeichnet. Bei weniger akuten Verläufen kann das Frühstadium mit zahlreichen Organmanifestationen (vgl. Tab. 3.4) einhergehen, so dass ein nahtloser Übergang zum chronischen Stadium vorliegt. Oft besteht allerdings zwischen dem Frühstadium und der chronischen LB (Spätstadium) ein beschwerdearmes oder -freies Intervall.

Die akute Lyme-Krankheit (Stadium II) tritt meistens einige Wochen oder Monate nach Infektionsbeginn (Inokulation) auf. Entsprechend einer frühen Dissemination kann ein solch akuter Krankheitszustand jedoch auch zeitnah bei noch bestehendem EM vorkommen.

Der schwere Krankheitszustand erfordert oft stationäre Diagnostik und Behandlung.

Die serologischen Befunde sind bei einer akuten Lyme-Krankheit in der Regel pathologisch, jedoch schließen Fehlen oder geringe Ausprägung der serologischen Befunde die Krankheit nicht aus.

Im Rahmen der Multiorgan- und Multisystemerkrankung ist die akute Lyme-Borreliose nicht selten mit Manifestationen im Nervensystem verbunden, d.h. die akute Lyme-Krankheit kann mit einer akuten Lyme-Neuroborreliose einhergehen oder ausschließlich als akutes neurologisches Krankheitsbild auftreten.

Manifestationen der Lyme-Neuroborreliose

Der Begriff „Lyme-Neuroborreliose“ (LNB) bezeichnet die Krankheitsmanifestationen im Nervensystem. Dabei ist zu beachten, dass die Lyme-Neuroborreliose nur eine von zahlreichen Organmanifestationen darstellt. Die Lyme-Neuroborreliose ist also keine eigenständige Krankheit, sondern Teilmanifestation der Lyme-Krankheit im gesamten Organismus. Allerdings kann die neurologische Symptomatik mehr oder weniger im Vordergrund stehen oder als einziges Krankheitsphänomen der Lyme-Borreliose in Erscheinung treten.

Die Manifestationen der Lyme-Neuroborreliose sind in Tabelle 3.1 dargestellt. Die durch Borrelien-Infektion hervorgerufenen Krankheitsbilder ähneln weitgehend neurologischen Krankheitszuständen anderer Genese. So wird zum Beispiel eine periphere Facialisparese bei Lyme-Borreliose sich phänomenologisch nicht von einer sogenannten idiopathischen Facialisparese klinisch unterscheiden. Im Hinblick auf differentialdiagnostisch zu beachtende neurologische Infektionskrankheiten kann pauschal festgestellt werden, dass Borrelia burgdorferi im Vergleich zu anderen Bakterien und zum Teil auch gegenüber neurotropen Viren eine vergleichsweise geringe Virulenz aufweist. So ist der Krankheitszustand einer Meningitis infolge Infektion mit Streptococcus pneumoniae ausgeprägter als bei der akuten Lyme-Neuroborreliose. Gleiches gilt zum Beispiel auch für den oft vergleichsweise schweren Krankheitsverlauf einer Frühsommer-Meningoencephalitis, die in Krankheitsausprägung, Mortalität und Krankheitsfolgen dramatischer verläuft als die akute Lyme-Neuroborreliose. Dennoch kann die Lyme-Neuroborreliose eine schwere Beschwerdesymptomatik verursachen und erhebliche Krankheitsfolgen nach sich ziehen.

Einige Krankheitsbilder der Lyme-Neuroborreliose sind allerdings mehr oder weniger typisch. Dies gilt zum Beispiel für die Neuroradiculitis (M. Bannwarth), für eine isolierte passagere bzw. nicht progrediente Myelitis, eine chronische Myelitis mit fluktuierender Ausprägung und eine chronische Encephalitis.

Im Folgenden werden alle wesentlichen Krankheitszustände dargestellt, die für die Lyme-Neuroborreliose besondere Bedeutung haben und deren differentialdiagnostische Abgrenzung problematisch sein kann (Tab. 3.1).

Akute Lyme-Neuroborreliose


Aus der unterschiedlichen Lokalisation des Entzündungsgeschehens im Nervensystem ergeben sich die verschiedenen neurologischen Krankheitsbilder (Tab. 3.2).

Bei den craniellen Neuropathien sind Ausfälle oder Funktionsstörungen meist durch infektiös bedingte Entzündung in den entsprechenden Kerngebieten bedingt, die craniellen Neuropathien sind also pathologisch-anatomisch den Neuroradikulitiden zuzuordnen. Gelegentlich kann die entzündliche Läsion auch distal des subarachnoidalen Raumes, d.h. im peripheren Verlauf auftreten (23). Die entsprechenden Störungen werden im Folgenden unter Angabe der Hirnnervennummer aufgelistet (Tab. 3.3). Bezüglich weiterer Literatur wird auf die Spezialkapitel verwiesen.

Tab. 3.1 / Tab. 3.2 / Tab. 3.3

Chronische Lyme-Neuroborreliose

Die chronische Lyme-Neuroborreliose (chronische LNB) entspricht in ihrer Symptomatik weitgehend der Krankheitsgestalt der akuten Lyme-Neuroborreliose. Jedoch ergeben sich Unterschiede im Hinblick auf die zeitabhängige Krankheitsausprägung und Besonderheiten im Hinblick auf die Hirnerkrankung:

  • Verlauf in Schüben und beschwerdeärmeren oder -freien Intervallen
  • Summarisch progrediente Verlaufsform
  • Sogenannte Encephalopathie
  • Cerebrovasculäre Symptome infolge LB-induzierter Vasculitis

Die zeitabhängige Variation der Krankheitsausprägung betrifft insbesondere die chronische Encephalomyelitis, bei der unterschiedliche motorische, sensible und koordinative Störungen in Schüben und symptomärmeren Intervallen auftreten (19, 24). Dabei können sich die neurologischen Defizite im Laufe der Zeit summarisch zu einem progredienten Krankheitszustand entwickeln, der sich über Jahre erstrecken kann.

Die Schübe bei der chronischen LNB dauern meistens Wochen bis Monate und der Rückgang der Symptomatik in den Intervallen erfolgt zögerlich über einen ähnlich großen Zeitraum. Diese relativ lang anhaltenden Schübe und der nur zögerliche Rückgang können zu einem gewissen Grade bei der Unterscheidung zwischen chronischer LNB und der Multiplen Sklerose beitragen; trotzdem ist die Differentialdiagnose zwischen chronischer LNB und MS selbst bei Einbeziehung der verschiedenen medizinisch-technischen Untersuchungen oft schwierig. Entscheidend ist die Einbeziehung sonstiger Daten der chronischen LB: Krankheitsumstände, Krankheitsmanifestationen in verschiedenen anderen Organen, also nicht nur im ZNS sowie medizinisch-technische Befunde, die auf eine chronische LB hinweisen. Selten sind Krankheitsfälle, bei denen die Symptomatik sowohl (z.T.) einer Multiplen Sklerose und/oder einer chronischen LNB zugeordnet werden können. Voraussetzung für die Diagnose einer MS ist die Erfüllung der McDonald-Kriterien.

Sowohl für die multiple Sklerose als auch für die chronische LNB steht kein positiver Krankheitsmarker zur Verfügung, d.h. es gibt keine medizinisch-technische Untersuchung insbesondere keine Laboruntersuchung, die bei pathologischem Befund die Krankheit beweisen würde. Bei beiden Krankheiten werden daher diagnostische Kriterien zugrunde gelegt, die bei der MS (zuletzt in der Revision 2010) definiert sind, während dies für die (zentrale) Lyme-Neuroborreliose im Spätstadium (noch) nicht der Fall ist. Zwar existieren diagnostische Kriterien auch für die Lyme-Neuroborreliose, diese betreffen jedoch (unausgesprochen) die akute Lyme-Neuroborreliose und nicht die chronischen Verläufe mit Entzündungen im Parenchym des zentralen Nervensystems.

Eine cerebrovasculäre Erkrankung infolge Vasculitis bei LB (17) wird aus praktischen Erwägungen ebenfalls der chronischen Lyme-Neuroborreliose zugeordnet, obwohl es sich primär um eine vasculäre Erkrankung handelt. Die Vasculitis führt meistens zu einer Halbseitensymptomatik (25, 26) mit protrahiertem und rezidivierendem Verlauf.

Die sogenannte Encephalopathie bei der chronischen LB und LNB bezeichnet eine Beeinträchtigung der kognitiven Hirnleistung sowie mentale Störungen. Die Encephalopathie ist ein sehr häufiges Phänomen im Rahmen der chronischen Lyme-Borreliose (27). Aus den kognitiven und mentalen Störungen können erhebliche Behinderungen mit entsprechenden Auswirkungen auf die Sozialfunktionen resultieren (vgl. 28, 29, 30).

Bei der Encephalopathie ist der Liquor in der Regel unauffällig oder weist nur geringfügige Veränderungen auf, insbesondere in Form von Protein- und Albuminerhöhung. Eine solche geringfügige Liquorveränderung (Blut-Liquor-Schrankenstörung) ist in etwa 5% der Fälle bei Encephalopathie der chronischen Lyme-Borreliose vorhanden (28, 31, 32, 33).
Eine häufige Manifestation der chronischen Lyme-Neuroborreliose ist die chronische periphere Polyneuropathie (20, 21, 34). Betroffen sind vor allem die unteren Extremitäten.

Meistens handelt es sich um eine sensomotorische Polyneuropathie vom axonal-demyelinisierenden Typ. Die sensible Störung dominiert, allerdings kann die motorische Störung erhebliche Ausmaße aufweisen mit der Folge hochgradiger Behinderung. Bei der chronischen Polyneuropathie im Rahmen der LNB ist der Liquorbefund in der Regel unauffällig (35, 36, 37).
Neurodegenerative Erkrankungen (z.B. M. Alzheimer, M. Parkinson, Demenz) werden in verschiedenen Studien in einen pathophysiologischen Zusammenhang mit der Lyme-Neuroborreliose gestellt. Ein solcher Zusammenhang könnte in Anbetracht der stetig zunehmenden neurodegenerativen Erkrankungen der alternden Bevölkerung von derzeitig nicht absehbarer Bedeutung sein (38-42, 187).

Symptome der chronischen Lyme-Borreliose


Wie der Begriff „Frühstadium“, sollte auch die chronische Lyme-Borreliose (Spätstadium) zeitlich definiert werden. Krankheitsmanifestationen der Borreliose, die 4 Wochen nach Infektionsbeginn (Inokulation) auftreten, sollten dem Krankheitszustand einer chronischen Lyme-Borreliose zugeordnet werden.

Die Symptome einer chronischen Lyme-Borreliose entwickeln sich entweder nahtlos aus dem Frühstadium nach einem beschwerdefreien Intervall von Monaten bis Jahren oder aber primär (chronische Lyme-Borreliose ohne vorausgegangenes Frühstadium (4, 7, 13, 117, 124, 200)). Daraus ergibt sich, dass eine chronische Lyme-Borreliose auch bei Fehlen von Zeckenstich und EM zu diagnostizieren ist, wenn Krankheitsumstände, Krankheitsmanifestationen und die differentialdiagnostische Analyse dies nahelegen.

Die chronische Lyme-Borreliose beruht auf einer persistierenden Infektion mit vitalen Erregern. Sie ist nicht etwa Folge einer durchgemachten Infektion oder ein Zustand nach vermeintlich erzielter antibiotischer Eradikation des Erregers. Entsprechend belegen zahlreiche Studien, dass selbst nach hoch wirksamer antibiotischer Therapie Erreger angezüchtet wurden (11, 15, 24, 43, 50, 53, 57, 60, 62, 112, 121, 122, 125, 128, 139, 140, 141, 143, 150, 152, 156, 157, 225, 226, 227, 228, 229, 230, 231, 232, 233, 234, 235, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 242, 243, 244, 245, 246, 247, 248, 249, 250, 255, 256).

Die Entzündung des Kniegelenkes (Gonitis) ist die herausragende Krankheitsmanifestation in der Spätphase (chronische Lyme-Borreliose) (43); nach differentialdiagnostischem Ausschluss sonstiger Ursachen ist die Gonitis für die Spätphase einer chronischen Lyme-Borreliose praktisch krankheitsbeweisend. Allerdings kommt eine Lyme-Arthritis (Gonarthritis) nur in etwa 40% der Fälle vor (7). Sie ist also für das Spätstadium keinesfalls obligat, ihr Fehlen schließt die LB nicht aus.

Da die Ausbreitung der Borrelien im Organismus zu einer Multiorgan- und Multisystemerkrankung führt, ergibt sich eine außerordentlich große Vielfalt von Krankheitssymptomen. Die umfassende, praktisch vollständige Symptomatik der Lyme-Borreliose ist nach Organen und Organsystemen im Anhang dargestellt.

Die Auflistung einer solchen Vielzahl an Krankheitsmanifestationen birgt die Gefahr mangelnder Akzeptanz wegen scheinbarer Beliebigkeit oder mangelnder differentialdiagnostischer Präzision. Tatsächlich sind jedoch sämtliche aufgeführten Krankheitsmanifestationen durch entsprechende Publikationen belegt, bei sehr seltenen Krankheitsphänomenen (z.B. ALS-ähnliche Krankheiten) allerdings nur durch Einzelfallberichte.

Eine orientierende Übersicht wird ermöglicht, wenn die Symptomatik entsprechend den am meisten befallenen Organen und bei Beachtung der Allgemeinsymptomatik geordnet wird (Tab. 3.4).

Tab. 3.4

Hautmanifestationen der LB


Die Hautmanifestationen im Früh- und Spätstadium der LB sind in Tabelle 3.5 zusammengestellt (12, 14, 50, 58, 205-221).
Erythema migrans (EM) und Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA) sind für eine LB beweisend. Bei der ACA tritt zunächst eine ödematös-infiltrative Frühphase auf mit livider Verfärbung und Schwellung. Im weiteren Verlauf entwickelt sich die Hautatrophie. – Als Sonderform der ACA gilt die Dermatitis atrophicans maculosa (makulöse Anetodermie). Weitere Manifestationen sind streifenförmige Rötungen, „Pseudosklerodermien“ (Morphaea) in Form elfenbeinfarbener dermatosklerotischer Platten sowie juxtaartikuläre fibroide Knoten.

Das krankheitsbeweisende Erythema migrans tritt nur bei etwa 50% der Fälle auf. Auch für das EM gilt also, dass es für die Diagnose einer Lyme-Borreliose bei weitem nicht obligat ist, ein Fehlen schließt eine Lyme-Borreliose nicht aus. Das Erythema migrans ist eine Blickdiagnose, allerdings kann durch Hautbiopsie der Erreger mittels PCR oft nachgewiesen werden (vgl. Kap. 22.17 und 22.18). Histologisch ist das EM charakterisiert durch ein perivaskuläres lymphozytäres Infiltrat mit wenigen Plasmazellen und vereinzelten Eosinophilen (vgl. Tab. 7.1).

Das EM kann in Form und Größe erheblich variieren. Mini-Erytheme mit einem Durchmesser von weniger als 5 cm sind möglich, gegebenenfalls erfolgt Klärung durch Erregernachweis mittels PCR. Von besonderer Bedeutung ist die Tatsache, dass das Erythem in verschiedenen Formen auftreten kann: anuläre Form (Kokardenform, Schießscheibenform, Bullaugenform) in etwa 50% der Fälle, makuläre Form (mehr oder weniger gleichmäßige Rötung) ebenfalls in etwa 50% der Fälle. Zudem kann die Haut im Bereich des Erythems weitere Veränderungen wie Papeln, Vesikeln, Hämorrhagien und anderes mehr aufweisen. Nicht selten tritt das EM in multipler Form auf (multiple Erythemata migrantia, MEM). Da das EM für das Frühstadium krankheitsbeweisend ist, gilt es, atypische Formen eines EM zu beachten, um die rechtzeitige Diagnose und frühzeitige antibiotische Behandlung zu gewährleisten.
In etwa 3% der Fälle kommt es im Frühstadium zu einem Lymphozytom, das ebenfalls für die Lyme-Borreliose krankheitsbeweisend ist. Klinisch imponiert das Lymphozytom als entzündliche Schwellung, histologisch stellt es ein Pseudolymphom dar, das unter Hinweis auf die Ätiologie als Borrelien-Lymphozytom bezeichnet wird. Prädilektionsstellen sind gut durchblutete Hautareale (z.B. Mamille, Ohrläppchen, Scrotum). Auch Übergänge zwischen Lymphozytom und Erythema migrans kommen vor, sodass auch eine solche Konstellation der Rubrik „atypisches EM“ zuzuordnen wäre.

Die Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA) tritt bei etwa 10% der Lyme-Borreliose im Spätstadium auf und ist für das Spätstadium krankheitsbeweisend. Unterschieden wird ein entzündliches Stadium im Bereich der Subcutis, im weiteren Verlauf kommt es zu einer Hautatrophie mit Abbau der Subcutis. Histologisch imponiert die ACA im entzündlichen Stadium als perivaskuläres lymphozytäres Infiltrat mit vereinzelten Plasmazellen und wenigen Eosinophilen. Im atrophen Stadium zeigen sich eine Durchmischung des lymphozytären Infiltrats mit Plasmazellen, eine Verschmächtigung von Epidermis, Dermis und subkutanem Fettgewebe, eine Atrophie der Adnexen und ein Verlust der Retezapfen. Bezüglich weiterer histologischer Phänomene sei auf das Kap. 10.2 verwiesen.

Tab. 3.5

Die Dauer eines Erythema migrans kann Wochen bis zu mehreren Jahren betragen (264-285). Unter antibiotischer Behandlung klingt das Erythema migrans innerhalb von Tagen bis Wochen ab; die therapeutische Erfolgsquote liegt bei 90-95% (264-270). Entsprechend ist also mit einer Versagerquote von 5-10% zu rechnen. Allerdings liegen Studien an Kollektiven zur Problematik der Persistenz eines EM nach antibiotischer Behandlung nicht vor. Bekannt ist lediglich das Versagen der Antibiose in einem Teil der Fälle und der Erregernachweis bei Hautinfektion (Panniculitis) trotz intensiver antibiotischer Behandlung (277). Bei Versagen einer antibiotischen Behandlung ist also mit einer Persistenz des EM über Monate und sogar Jahre zu rechnen. Das EM kann bei chronischer Verlaufsform in eine Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA) übergehen (272). Auch das gleichzeitige Bestehen eines EM mit einer ACA (typische Manifestation des Spätstadiums) impliziert die Möglichkeit eines lang andauernden EM (283).

Coinfektionen


Bei der Lyme-Borreliose können gleichzeitig andere Infektionen vorliegen, deren pathologischer Synergismus den Krankheitszustand verschlimmert oder die ähnliche Krankheitsmanifestationen wie die LB hervorrufen. Solche begleitenden Infektionen werden als Coinfektionen bezeichnet.

Die Coinfektionen können z.T., wie die LB, durch Zecken übertragen werden, d.h. es kann bei Zeckenstich zu Mehrfachinfektionen kommen. Ein Teil der Coinfektionen wird unabhängig von Zecken übertragen oder es bestehen neben der Zeckenübertragung andere Infektionswege.

Die durch Zecken übertragenen Coinfektionen sind in Tabelle 3.6, die Zecken-unabhängigen Coinfektionen in Tabelle 3.7 zusammengestellt.

Die Coinfektionen begünstigen durch Modulation des Immunsystems die Ausprägung von Krankheitszuständen und werden als wesentlicher Grund für Therapieresistenzen bei Lyme-Borreliose angesehen (188-203).

Besonderes Augenmerk gilt der Bartonella henselae, die in Europa bei 40% der Zecken nachgewiesen wurde (222).
Bei Patienten mit Erkrankungen des zentralen Nervensystems wurde Bartonella henselae im Liquor nachgewiesen und zwar ohne vorausgehende Katzenkratzkrankheit („cat-scratch-disease“) (188). Überdies kann Bartonella henselae wie Bb eine Multiorganerkrankung hervorrufen (223).

Tab. 3.6 / Tab. 3.7 / Tab. 3.8

Reaktive Arthritis

Die reaktive Arthritis stellt keine nosologische Einheit dar. Der Begriff ist vielmehr ein Sammelbecken für Krankheitszustände mit postinfektiösen Arthritiden. Die diagnostische und pathophysiologische Einordnung steht noch aus. – Allerdings bietet die Literatur zunehmend Hinweise, dass es sich bei der sogenannten reaktiven Arthritis tatsächlich um eine persistierende infektiöse Arthritis handelt, also vergleichbar mit einer Lyme-Arthritis im Stadium III. Entsprechend ergibt sich die Indikation für eine antibiotische Behandlung.


Erreger, die mit einer reaktiven Arthritis einhergehen, sind in Tab. 3.9 zusammengestellt.

Im Hinblick auf die LB kommt der Yersiniose besondere differentialdiagnostische Bedeutung zu. Bei beiden Krankheiten (LB, reaktive Arthritis bei Yersiniose) treten typischerweise Gelenkentzündungen in den unteren Extremitäten auf; die für die LB charakteristische Gonitis kann in gleicher Weise eine reaktive Arthritis bei Yersiniose darstellen.
Zwischen der infektionstypischen Symptomatik und dem Auftreten einer reaktiven Arthritis sollte ein Intervall von einigen Tagen bis zu einigen Wochen erkennbar sein.

Die akute reaktive Arthritis bildet sich meistens spontan innerhalb von 6 Monaten zurück. Bei Überschreitung dieser Zeitspanne liegt eine chronische reaktive Arthritis vor, deren Häufigkeit mit 4-19% angegeben wird.
Die Behandlung erfolgt mit Antiphlogistika (NSAR) oder mit Anti-TNF-Präparaten.

Antibiotika können bei rechtzeitigem Einsatz gegen die zugrunde liegende Infektion die Entwicklung einer reaktiven Arthritis bis zu einem gewissen Grade verhindern. In verschiedenen Studien konnte der Verlauf der reaktiven Arthritis durch Antibiotika dagegen nicht beeinflusst werden. Dies bezieht sich allerdings nur auf Chlamydien-Infektionen und eine sehr restriktive Antibiose (204).

Labordiagnostik

 

Die bei der Lyme-Borreliose zur Verfügung stehenden Labormethoden sind in Tabelle 3.10, die Liquordiagnostik bei der Lyme-Neuroborreliose in Tabelle 3.11 und die indizierten Laboruntersuchungen in verschiedenen Stadien in Tabelle 3.12 wiedergegeben.

Tab. 3.10
Tab. 3.11

Antikörper werden etwa 2-6 Wochen nach Infektionsbeginn (Inokulation) nachweisbar (2, 3, 4, 5, 6, 84, 261). Bei zuvor negativem Ausgangswert beweist das Auftreten von Antikörpern die frische Infektion. Unter diesem Aspekt ist die Bestimmung eines Ausgangswertes unmittelbar nach Zeckenstich also sinnvoll. Sind bereits bei der Ausgangslage Antikörper nachweisbar (infolge früherer Bb-Infektion), zeigt sich die frische, d.h. erneute Infektion, im Anstieg der serologischen Befunde (Zunahme des Titers bei ELISA, EIA, größere Anzahl von Banden im Westernblot).

Zur serologischen Untersuchung gehören die quantitative Erfassung von IgM- und IgG-Antikörpern sowie der Nachweis verschiedener Borrelien-Antigene mittels elektrophoretischer Auftrennung nach der Westernblot-Methode.

Tab. 3.12

Der Nachweis von Antikörpern belegt die stattgehabte Infektion, nicht jedoch die Erkrankung (LB). Die Diagnose der LB stützt sich ausschließlich auf klinische Daten: Krankheitsumstände, Anamnese, geklagte Beschwerden und Untersuchungsbefunde. Ein positiver serologischer Befund ist lediglich Indiz für einen Kausalzusammenhang zwischen der stattgehabten Borrelien-Infektion und einer LB-typischen Symptomatik. Aufgrund des serologischen Befundes kann also eine Lyme-Borreliose weder bewiesen noch ausgeschlossen werden.

Die frühzeitige antibiotische Behandlung verhindert oft die Serokonversion, d.h. die Entwicklung von Antikörpern, obwohl die Borrelien-Infektion persistiert und zur Lyme-Borreliose führt, insbesondere auch in der chronischen Verlaufsform. Unabhängig davon besteht Seronegativität in bis zu 50% der Fälle bei chronischer Lyme-Borreliose.

Seronegativität schließt also die Lyme-Borreliose nicht aus, d.h. der Nachweis von Antikörpern ist für die Diagnose der LB nicht obligat (46-63).

Das Vorkommen von IgM-Antikörpern ist wesentlich seltener als das von IgG-Antikörpern. Der allgemein als Frühindikator angesehene IgM-Antikörper kommt selbst im Frühstadium in höchstens 50% der Fälle vor (64). In Spätstadien beträgt die Häufigkeit nur mehr 15% (65). Wie die Seronegativität im Allgemeinen steht also das Fehlen von IgM-Antikörpern der Diagnose einer stattgehabten Borrelien-Infektion und einer resultierenden Lyme-Borreliose nicht entgegen.

Der Begriff „Seronarbe“ bezeichnet das Fortbestehen von Antikörpern nach vermeintlicher Abheilung der LB; dieser Begriff ist daher nur vertretbar, wenn keinerlei Symptome einer Lyme-Borreliose vorliegen. Auch ist möglich, dass der serologische Befund in ein beschwerdefreies Intervall fällt, so dass bei Wiederauftreten der Symptomatik (Schub) der Begriff Seronarbe zu revidieren ist.

Die Sensitivität des Westernblot ist höher als die der Suchtests (49, 66, 291). Daher ist es sinnvoll, Suchtests und Westernblot gleichzeitig durchzuführen. Bis zu einem gewissen Grade haben beide Verfahren Vorteile im Hinblick auf die Quantifizierung, beim Suchtest auf Basis der Titerhöhe, beim Westerblot durch die Anzahl der nachweisbaren Banden.

Die im Westernblot nachgewiesenen Borrelien-Antigene haben eine unterschiedliche Spezifität und können zudem bis zu einem gewissen Grade unterschiedlichen Stadien zugeordnet werden. Bezüglich der Einzelheiten sei auf die Tabelle 3.13 verwiesen (67).

Tab. 3.13

Der Lymphozytentransformationstest (LTT, Synonym Lymphozytenproliferationstest) beruht auf der Messung des immunologischen Gedächtnisses von Immunzellen (langlebige T- und B-memory-Lymphozyten). Der Test wurde 1979 entwickelt (68, 69) und 1981 erstmalig im Zusammenhang mit der Lyme-Borreliose eingesetzt (70). Seither wurde die diagnostische Wertigkeit des LTT in zahlreichen Publikationen belegt (70-84). Durch methodische Weiterentwicklung erreicht der LTT inzwischen eine Sensitivität, die der von serologischen Untersuchungen gleichkommt (84).

Besondere Bedeutung hat der LTT bei einer Lyme-Borreliose mit Seronegativität. Bei etwa 20% seronegativer LB-Patienten ist der LTT positiv, ist also in dieser Situation das einzige Indiz für eine Borrelien-Infektion. Überdies ist ein positiver LTT ein starkes Indiz für die aktuelle Belastung des Organismus mit Borrelien.

Hinsichtlich der diagnostischen Wertigkeit des LTT ist von besonderer Bedeutung, ob mit falsch-positiven LTT-Ergebnissen zu rechnen ist. Dieses Risiko ist offensichtlich sehr gering, wie dies die überwiegende Zahl der Publikationen zeigt (83, 84).

Auch der T-Zell-Test prüft das immunologische Gedächtnis, wobei die Ausschüttung von Zytokinen nach Stimulation der Immunzellen mit Borrelien-Antigenen gemessen wird. Für einen wertenden Vergleich zwischen LTT und T-Zell-Test liegen noch keine belastbaren Daten vor.

Der LTT ist in seiner Reaktionsgeschwindigkeit den serologischen Untersuchungen weit überlegen. Im Frühstadium ist der LTT positiv, bevor Antikörper nachweisbar werden. Nach einer erfolgreichen antibiotischen Behandlung wird der LTT innerhalb von 4-6 Wochen negativ. Bei Auftreten eines Rezidivs wird der LTT häufig positiv (67).

Der LTT hat daher seine wesentliche Bedeutung bei diagnostischen Problemen infolge vieldeutiger Klinik, der Effizienzprüfung bei antibiotischer Behandlung und bei der Verlaufskontrolle, insbesondere im Hinblick auf Rezidive (Tab. 3.14).

Bei einem positiven serologischen Befund können LTT und T-Zell-Test negativ sein und vice versa.

LTT und T-Zell-Test sind, wie die Serologie, lediglich für die Infektion, nicht aber für die Krankheit beweisend. Auch schließt ein negativer LTT bzw. T-Zell-Test eine LB nicht aus.

Tab. 3.14

Die CD57+ NK-Zellen sind bei der chronischen Lyme-Borreliose und Lyme-Neuroborreliose nicht selten vermindert (85, 294). Eine endgültige Beurteilung ist bei der derzeitigen Datenlage jedoch nicht möglich.

Labortechnische Beweise für eine Lyme-Borreliose basieren auf dem Nachweis von Borrelien durch Kultur oder Polymerase-Kettenreaktion (PCR). Die kulturelle Anzüchtung beweist die Existenz vitaler Borrelien; die PCR erfasst lediglich genetisches Material der Borrelien, das theoretisch auch aus devitalisierten Mikroben oder Mikrobenpartikeln stammen kann. Unter praktischem Aspekt gilt jedoch auch ein positiver PCR-Befund als Erregernachweis und Beweis für das Vorliegen einer Lyme-Borreliose.

Bei den verschiedenen Stadien bzw. Krankheitssituationen kommen unterschiedliche Untersuchungen bei der Labordiagnostik zum Einsatz. Bezüglich der Einzelheiten sei auf Tabelle 3.12 verwiesen.

Bei der Liquordiagnostik der Lyme-Neuroborreliose wird zwischen unspezifischen und spezifischen Befunden unterschieden. Bezüglich der Einzelheiten siehe Tabelle 3.11. Spezifische Liquorbefunde sind der Nachweis von intrathekalen (im ZNS gebildeten) Antikörper durch Titervergleich zwischen Serum und Liquor nach dem Reiber-Schema, der Vergleich des Westernblot-Befundes in Serum und Liquor (Anzahl, Art der Banden) und Spezifizierung von oligoklonalen Banden mittels ELISA. Ein positiver Antikörper-Index (AI) indiziert eine intrathekale AK-Bildung, d.h. der AK-Titer im Liquor ist im Vergleich zum Serum (relativ) erhöht (unter Beachtung der natürlichen Konzentrationsunterschiede von Protein, Albumin und IgG im Liquor bzw. Serum). Intrathekale Antikörper entwickeln sich oft erst viele Wochen nach Beginn der Borrelieninfektion im ZNS. Bei einem Teil der Fälle treten bei der Lyme-Neuroborreliose überhaupt keine intrathekalen Antikörper auf. Überdies können intrathekale Antikörper nach Abklingen der Lyme-Borreliose über viele Jahre persistieren. Diagnostische Bedeutung haben die intrathekalen Antikörper im Wesentlichen bei der akuten Lyme-Neuroborreliose, wenn sie bei entsprechender Krankheitssymptomatik und Krankheitsverlauf auftreten. Dagegen sind intrathekale Antikörper kein Beweis für eine bestehende Lyme-Borreliose oder Lyme-Neuroborreliose im Spätstadium. Andererseits schließt das Fehlen von intrathekalen Antikörpern eine Lyme-Borreliose im Stadium III keinesfalls aus, dies umso mehr, da eine Lyme-Borreliose mit Entzündung im zentralen Nervensystem (immunologische Antwort des ZNS) nur in 5-10% der Fälle vorkommt, d.h. bei 90% der Patienten mit einer Lyme-Borreliose im Spätstadium sind intrathekale Antikörper nicht zu erwarten.

Auch der Nachweis von OspA belegt das Vorliegen von Borrelia burgdorferi s. l. im ZNS [44]. Gelegentlich gelingt der direkte Erregernachweis mittels PCR, selten durch Kultur. Bedeutung zur Erfassung der Frühphase einer akuten LNB kommt wahrscheinlich bestimmten Chemokinen, insbesondere dem CXCL 13, zu [45]; diese Methode gehört derzeit jedoch nicht zur Routinediagnostik.

Die für die Diagnostik einer akuten LNB besonders wichtigen intrathekalen Antikörper werden erst knapp 2 Wochen nach Beginn der neurologischen Symptomatik nachweisbar. Zudem zeigen zahlreiche Publikationen, dass in einem beachtlichen Anteil intrathekale Antikörper nicht nachweisbar sind und dies trotz typischer klinischer Manifestation, eines entzündlichen Liquorbefundes und trotz Beweis der Erkrankung durch Erregernachweis (86-105).

Darüberhinaus ist grundsätzlich festzustellen, dass bei der akuten Lyme-Neuroborreliose (LNB) in der Frühphase meistens noch kein pathologischer Liquorbefund vorliegt, so dass sich die Diagnose nicht auf den Liquorbefund stützen kann. In einer Studie waren bei 799 Patienten mit eindeutig akuter LNB nur in 42 Fällen, d.h. in 5,25%, Liquorveränderungen entsprechend den Kriterien der Leitlinien der Fachgesellschaften vorhanden (Epidemiologisches Bulletin des Robert-Koch-Instituts, Berlin, 38/2007). In dem Bulletin heißt es: „Der in der zur Zeit gültigen Form der Falldefinition geforderte labordiagnostische Nachweis der frühen Neuroborreliose wird nur bei einem sehr kleinen Anteil der übermittelten Neuroborreliosefälle erfüllt, eine Problematik, auf die schon in einem früheren Bericht hingewiesen wurde“ (171).

Auch schließt eine Seronegativität im Serum eine LNB nicht aus, wie sich dies aus Studien klinisch typischer Krankheitsfälle mit Erregernachweis ergibt (106-110).

Sonstige medizinisch-technische Untersuchungen

Tab. 3.15

Bei der diagnostischen Abklärung der Lyme-Borreliose und Lyme-Neuroborreliose kommen weitere Untersuchungsverfahren zum Einsatz, die Erkrankungen des Muskelskelettsystems, des Nervensystems, des Herzens und des Auges betreffen. Die verschiedenen Methoden sind in Tabelle 3.15 wiedergegeben. Der Zweck der Methoden versteht sich von selbst, jedoch sei auf einige Besonderheiten hingewiesen: CCT und MRT dienen zum Nachweis von cerebralen Läsionen und mitunter ausgedehnten demyelinisierenden Herden, wobei diese bildgebenden Verfahren zwischen einer LNB und einer MS nicht unterscheiden können (111-115). Das SPECT kann erhebliche Einschränkung der metabolischen Aktivität und Durchblutung in verschiedenen Hirnarealen aufzeigen, auch bei der Encephalopathie (116). Das Skelettszintigramm dient zum Nachweis von Entzündungen, u.a. im Bereich der Gelenke, die bei Beachtung der Differentialdiagnose für die Diagnose der chronischen Lyme-Borreliose von erheblicher Bedeutung sind. Neuropsychologische Tests kommen bei der Encephalopathie zum Einsatz; jedoch werden häufig kognitive Leistungseinschränkungen nicht erfasst, während sie bei subjektiver Einschätzung (mittels entsprechender Testverfahren) nachweisbar sind [28]. Ein unauffälliger neuropsychologischer Test schließt also eine kognitive Störung infolge Encephalopathie bei chronischer LB nicht aus. Bei der augenärztlichen Untersuchung kann durch Überprüfung des Visus und des Gesichtsfelds eine Opticusneuritis erfasst werden; diese Untersuchungen haben besondere Bedeutung bei der retrobulbären Opticusneuritis, d.h. bei unauffälligem Augenhintergrund. Durch VEP (visuell evoziertes Potenzial) lässt sich eine solche Störung objektivieren. Zudem erfasst die augenärztliche Untersuchung eine Uveitis anterior, intermedia und posterior (177, 178), eine Vitreitis (179), eine retinale Vasculitis (180) und ein Papillenödem (181, 182). Im Rahmen der hautärztlichen Untersuchung kann in Hautbioptaten die Diagnose einer LB-typischen Hautveränderung histologisch und mitunter auch mikrobiologisch gesichert werden (z.B. bei ACA oder länger bestehendem bzw. rezidivierendem EM).

Antibiotische Therapie der Lyme-Borreliose

Warnhinweis
Da bisher keine evidenzbasierte Studien zur antibiotischen Behandlung der chronischen Lyme-Borreliose vorliegen, wird für die nachfolgenden Therapie-Empfehlungen bei der Lyme-Borreliose im Spätstadium (Stadium III) keine Gewährleistung übernommen.
Im Hinblick auf die Wirksamkeit der antibiotischen Behandlung der LB sind 2 Erkenntnisse von herausragender Bedeutung:

  • Die Antibiose ist im Frühstadium (Stadium I) wirksamer als in der Spätphase (Stadium III) (7, 251)
  • Bei jedem Antibiotikum kann der Therapieerfolg verzögert oder gar nicht auftreten, so dass Nachbehandlung, ggf. mit einem anderen Antibiotikum erforderlich ist (4, 13, 117, 124, 200)

Die wissenschaftliche Basis für die antibiotische Behandlung der LB ist immer noch unzureichend, mit Ausnahme des lokalisierten Frühstadiums (EM vor Dissemination). Die erheblichen Defizite der wissenschaftlich-klinischen Analyse spiegeln sich in therapeutischen Leitlinien wider, deren Empfehlungsstärke und Evidenzbasis in der internationalen Literatur deutlich begrenzt ist (4, 13, 117, 118, 124, 200) und den Anforderungen unter medizinischen und gesundheitspolitischen Aspekten nicht genügt.

Bei den internationalen Empfehlungen (4, 13, 117, 118, 124, 200) werden folgende Evidenzkriterien zu Grunde gelegt:

I      Mindestens eine randomisierte Studie
II     Mindestens eine gut strukturierte („well-designed“) nicht randomisierte Studie
III    Erfahrung von Experten auf der Basis klinischer Erfahrung


Die Empfehlungsstärke richtet sich nach dem Evidenzgrad:

A.    Gute Evidenz
B.    Mäßige Evidenz
C.    Schwache Evidenz

Entsprechend ergeben sich folgende Empfehlungsgrade nach der internationalen Literatur, wie sie maßgeblich von der IDSA (Infectious Disease Society of America) (118) vertreten wird:

Lokalisiertes Frühstadium                               A-I
(Bei Kindern unter 8 Jahren Amoxicillin)    B-II
(Cefuroxim)                                                             B-III
Disseminiertes Frühstadium                          B-II – B-III
(Stadium II)                   
(abhängig von Art des Antibiotikums und Krankheitssituation)
Spätphase                                                             B-II – B-III
(Stadium III)

Bei der Einstufung B-III wird also die Expertenmeinung bzw. die klinische Erfahrung gleichgesetzt mit einer schwachen Evidenz auf der Basis nicht randomisierender Studien.

Die Behandlung der chronischen Lyme-Borreliose (Spätphase, Stadium III) gründet also auf keinem soliden Fundament, d.h. zu dieser wichtigen Problematik liegen keine randomisierten Studien vor (118).

Die vorliegenden Empfehlungen stützen sich auf die wissenschaftliche Literatur, die klinische Erfahrung Borreliose-erfahrener Ärzte sowie auf die Grundlagenforschung, insbesondere auf dem Gebiet der Mikrobiologie und Immunologie.
Eine erfolgreiche antibiotische Behandlung ist nur bei einem effizienten Immunsystem möglich. Im Hinblick auf die Antibiose ergeben sich Probleme durch natürliche oder erworbene Resistenz. Dem Immunsystem kann sich der Erreger (Bb) durch „Escape-Mechanismen“ entziehen (164, 183).
Die Behandlungsdauer ist für die Effizienz der antibiotischen Behandlung von entscheidender Bedeutung. Im Frühstadium, d.h. in den ersten 4 Wochen nach Infektionsbeginn (Inokulation), ist mit einer Versagerquote von 10% zu rechnen
(119, 120, 121, 122), während sie bei den chronischen Verlaufsformen wesentlich höher liegt und bis zu 50% betragen kann (4, 13, 117, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 200). Bereits frühere Arbeiten hatten auf das Problemfeld der chronischen Lyme-Borreliose und deren begrenzten therapeutischen Beeinflussbarkeit hingewiesen (4, 13, 117, 122, 124, 130-135, 200). In all diesen Studien war die Behandlungsdauer begrenzt und betrug meistens höchstens 4 Wochen. Auch bei wiederholten Behandlungszyklen im Rahmen einer solchen Behandlungsdauer zeigten sich erhebliche therapeutische Versagerquoten (136, 137, 138).

Die chronische Lyme-Borreliose ist als Krankheit definiert und in der Literatur präzise dargestellt (139-143, 247, 248, 249, 250, 255, 256). Dem entspricht auch die Tatsache, dass nach Unterlassung einer adäquaten antibiotischen Behandlung Wochen bis Jahre der Erreger in verschiedenen Geweben sowie in Blut, Liquor und Synovialflüssigkeit nachgewiesen wurde. Der klinische Verlauf einer chronischen Lyme-Borreliose nach unbehandeltem Erythema migrans wurde in den frühen Arbeiten von Steere et al., 1987 (262) und Szer et al., 1991 (263) dargestellt.

Inzwischen liegen einige Studien vor, die den positiven Effekt einer antibiotischen Langzeitbehandlung belegen, zum Teil im Hinblick auf Einzelaspekte (4, 13, 117, 144, 145, 122, 123, 146, 124, 130-135, 147, 148, 126, 127, 128, 149, 147, 139, 136, 137, 150, 151, 152, 141, 138, 153, 142, 143, 200).

Die begrenzte Wirkung der antibiotischen Behandlung zeigt sich in zahlreichen Studien: Selbst nach vermeintlich hochwirksamer antibiotischer Therapie wurden Erreger angezüchtet (144, 121, 122, 154, 125, 155, 128, 139, 150, 156, 157). Zudem kommen in vivo insbesondere unter antibiotischer Behandlung (162) noch andere Faktoren hinzu, die auf der Fähigkeit der Borrelien beruhen, sich dem Immunsystem zu entziehen (167, 122, 159, 160, 161) und der Antibiose zu widerstehen. Nach mehrfacher antibiotischer Behandlung (Ceftriaxon, Doxycyclin, Cefotaxim) konnten Borrelien aus der Haut isoliert werden (121, 122, 130, 148, 150, 156, 163, 157). Auch wurde eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Antibiotika-Empfindlichkeit der Borrelien in vitro versus in vivo nachgewiesen (125).

Die Resistenz der Borrelien gegenüber Antibiotika wird u.a. auf den intrazellulären Aufenthalt der Borrelien (292) und auf biologisch wenig aktive eukaryote Formen (Zystenform) zurückgeführt (167, 133, 160, 161, 155, 140). Zudem wurde bei Borrelien ein Film von Komplement-Regulatoren auf der Oberfläche des Erregers nachgewiesen mit dem Effekt einer Komplement-Resistenz mit typischem „Shedding“ (159, 160, 161). Auch andere Mechanismen, z.B. die Diversifizierung membranständiger Lipoproteine, Verlust von Plasmiden, verschiedene Vorgänge zur Inaktivierung von Komplement (167, 160, 161) begünstigen den auch bei anderen Bakterien nachgewiesenen „Escape-Mechanismus“, d.h. die Befähigung des Erregers, sich dem Immunsystem zu entziehen. Die Fähigkeit des Erregers zur down-Regulation von Proteinen („pore-forming protein“) könnte zudem zur Beeinträchtigung der antibiotischen Wirkung beitragen (164, 165).

Im Zusammenhang mit der chronischen Lyme-Borreliose liegen 4 randomisierte Studien vor, die den Vergleich verschiedener Antibiotika zum Gegenstand hatten bzw. die antibiotische Behandlung der Encephalopathie. Bei diesen Studien zeigte sich insbesondere, dass die Cephalosporine dem Penicillin überlegen waren (4, 13, 117, 124, 129, 133, 200). Eine weitere Studie betraf ausschließlich die Encephalopathie bei Lyme-Borreliose (150). Doxycyclin führt bei der üblichen Dosierung nur zu relativ niedrigen Serumspiegeln und Gewebskonzentrationen, während die Konzentrationen bei den Cephalosporinen deutlich höher sind, d.h. im Hinblick auf die minimale Hemmkonzentration (MHK) liegen die Werte bei den Cephalosporinen mindestens zehnmal so hoch wie bei Doxycyclin (154). Wegen dieser hohen Gewebskonzentrationen ist der Einsatz von Cephalosporinen zur Behandlung der chronischen Lyme-Borreliose nahezu unverzichtbar. Eine Alternative bietet unter diesem Aspekt das Gemifloxacin, das ebenfalls sehr hohe Gewebskonzentrationen erreicht (184). Eine große therapeutische Breite bzw. hohe Gewebskonzentrationen der Antibiotika sind insbesondere im Hinblick auf wenig durchblutete Kompartimente, insbesondere in der extracellulären Matrix von  bindegewebigen Strukturen (Gelenkkapseln, Fascien, Sehnen) von Bedeutung, da Borrelien eine besondere Affinität zu derartigen Geweben besitzen.

Während für einige Antibiotika die oben erwähnten Diskrepanzen im Hinblick auf in - vitro - Wirkung bzw. klinischem Erfolg nachgewiesen wurden, besteht eine gute Übereinstimmung dagegen bei den Betalactamen, Carbapenemen, Makroliden und Tetracyclinen. Die bakterizide Wirkung ist offensichtlich weniger von der Konzentration als von der Einwirkzeit abhängig. Die Genospezies weisen unterschiedliche Suszeptibilität auf, auch innerhalb ein und derselben Spezies kann die Empfindlichkeit variieren. Therapieversager sind bei praktisch allen gebräuchlichen Antibiotika nachgewiesen (125).

Sonstige Antibiotika, insbesondere die Carbapeneme und das Telithromycin, kommen zwar bereits zur klinischen Anwendung, der Einsatz stützt sich allerdings auf Untersuchungen in vitro (125), klinische Studien liegen nicht vor. Das Gleiche gilt für Tigecyclin (185, 186).

Die gegen Borrelien wirksamen Antibiotika sind in Tabelle 3.17 aufgeführt. Angegeben werden auch die intrazelluläre Wirkung, die Liquorgängigkeit (Liquor-/Serumkonzentration in %) und die Wirkdauer (Plasmahalbwertszeit).

Wie bereits oben ausgeführt, besitzen Borrelien die Fähigkeit, sich morphologisch zu verändern, d.h. sogenannte zystische Formen zu bilden, die gegen die meisten Antibiotika resistent sind. Aus den zystischen Formen können sich bei günstigem, insbesondere Antibiotika-freiem Milieu wieder normale spirochätale Borrelien entwickeln. Wie die Tabelle zeigt, haben nur die Substanzen Tinidazol, Metronidazol und Hydroxychloroquin Einfluss auf die zystischen Formen, wobei Hydroxychloroquin auch auf die mobilen Borrelien Einfluss hat, während dies für Metronidazol nicht zutrifft (140, 166). Allerdings zeigen neuere Untersuchungen, dass Tinidazol und auch Metronidazol sehr wohl gegen spirochätale Formen von Borrelia burgdorferi effizient sind (288). Zudem verstärkt Hydroxychloroquin als lysosomotrope Substanz die Wirkung von Makroliden (140) und möglicherweise auch die der Tetracycline.

Eine weitere wesentliche Wirkung von Tinidazol und Metronidazol ist deren Einfluss auf den Biofilm, der auch bei Borrelien nachgewiesen wurde. Dabei erwiesen sich beide Substanzen als wirksam, Tinidazol war jedoch deutlich effektiver (Tinidazol unterscheidet sich gegenüber Metronidazol durch ein SO2-Molekül) (258, 259, 260).

Die antibiotische Behandlung kann entweder in Form der Monotherapie (Tabelle 3.18) oder in Form einer synchronen Kombinationsbehandlung (Tabelle 3.23 und 3.24) erfolgen.

Die Effizienz einer antibiotischen Kombinationsbehandlung ist bisher wissenschaftlich nicht belegt; diese Behandlungsform basiert auf mikrobiologischen Befunden und bisher nicht systematisch untersuchten empirischen Daten.

Tab. 3.16

Nicht geeignete Antibiotika

 

Wegen erwiesener Unwirksamkeit sind eine Reihe von Antibiotika zur Behandlung der Lyme-Borreliose nicht geeignet (vgl. 164) (Tabelle 3.16).


Wirksame Antibiotika

Mit zunehmender Infektionsdauer wachsen die Probleme bei der antibiotischen Behandlung der Lyme-Borreliose. Während das Frühstadium vor Dissemination antibiotisch gut beeinflussbar ist, ergeben sich bei der chronischen Lyme-Borreliose (Spätphase, Stadium III) oft erhebliche Schwierigkeiten. Dies ist nicht nur durch Dissemination, d.h. durch Verbreitung des Krankheitserregers im gesamten Organismus bedingt, sondern auch Folge einer progredienten Adaptation des Erregers und der resultierenden Fähigkeit, sich dem Immunsystem und der antibiotischen Wirkung zu entziehen.

Die Wirkungsmerkmale der verschiedenen Antibiotika sind in Tab. 3.22 dargestellt.

Die gegen Borrelien wirksamen Antibiotika sind in Tabelle 3.17 wiedergegeben unter Angabe vorhandener intrazellulärer Wirkung, Liquorgängigkeit (Liquor-/Serumkonzentration in%) und die Wirkdauer (Plasmahalbwertszeit).

Tab. 3.17

Besondere Eigenschaften hat das Azithromycin, das sich in verschiedenen Körpergeweben anreichert. Dies gilt insbesondere auch für das Hirngewebe. Bei oraler Applikation von 500 mg Azithromycin werden ein Tag später cerebrale Konzentrationen von ca. 2,5 µg/g gemessen. Legt man die in vitro gemessene maximale inhibitorische Konzentration (MIC) bzw. die maximale bakterizide Konzentration (MBC) zu Grunde (125), liegen die cerebralen Konzentration 100-mal so hoch wie die MIC und 5 mal so hoch wie die MBC (286).

Nach jüngsten Untersuchungen ist auch das Antibiotikum Tigecyclin gegen zystische Formen und Biofilme wirksam (185, 293, 294). Die Substanz besitzt eine hervorragende Wirkung gegenüber Borrelien (186), ist intrazellulär wirksam, besitzt eine gute Liquorgängigkeit und eine lange Gewebshalbwertszeit (vgl. Tabelle 3.17), so dass bei der chronischen LB und LNB möglicherweise auch eine Dosierung von 50 mg täglich ausreicht.

Die Behandlung mit Roxithromycin geht ausschließlich auf die Empfehlung von Gasser und Dusleag, 1990 (153) zurück. Von Hansen et al. wird Roxithromycin aufgrund ihrer Studie (287) zur Behandlung der Lyme-Borreliose nicht empfohlen.

Monotherapie

Die Monotherapie, d.h. die Behandlung der LB mit nur einem Antibiotikum in verschiedenen Krankheitsstadien, ist in Tabelle 3.18 dargestellt.

Tab. 3.18

Die Antibiotische Behandlung sollte grundsätzlich gewichtsadaptiert erfolgen, dies gilt insbesondere für Kinder und Untergewichtige.

Die Behandlung mit Cephalosporinen der 3. Generation ist nach einer zunächst kontinuierlichen Therapie (anschließend) auch in Form der gepulsten Therapie sinnvoll; bei gepulster Therapie werden die Medikamente an 3-4 Tagen der Woche eingesetzt [130].

Der Einsatz von Cephalosporinen der 3. Generation wird von Ärzten mitunter kritisch gesehen, da eine Begünstigung des intrazellulären Aufenthaltes und einer Zystenbildung von Borrelia burgdorferi befürchtet wird [168, 169].

Kontrolle von kleinem Blutbild, GPT, Lipase und Kreatinin sind zunächst wöchentlich, im weiteren Verlauf alle 2-3 Wochen erforderlich. Bei Einsatz von Ceftriaxon muss zum Ausschluss einer „Sludge“-Bildung sonographische Kontrolle der Gallenblase alle 3 Wochen erfolgen. Bei Einsatz von Makroliden sind EKG-Kontrollen in zweiwöchigem Abstand durchzuführen.

Bei jeder antibiotischen Behandlung der Lyme-Borreliose, unabhängig vom Stadium, ist die Gefahr einer Herxheimer-Reaktion zu beachten. Dabei sollten Corticoide nur bei erheblichen Beschwerden (parenteral) appliziert werden.

Eine vorübergehende leichte bis mittelschwere Verschlechterung der Beschwerdesymptomatik kann in den ersten Wochen der antibiotischen Behandlung auftreten. Zur Abgrenzung von einer Medikamentenunverträglichkeit trägt eine kurze Behandlungspause von 2 bis 3 Tagen bei.

Bei antibiotischer Langzeitbehandlung sollte zum Schutz der Darmflora und zur Unterstützung des Immunsystems probiotisch behandelt werden (z.B. Mutaflor, Omniflora [vgl. 224]). Bei Auftreten von Durchfällen, die nicht leicht beherrschbar sind (z.B. durch Perenterol), ist die antibiotische Behandlung sofort zu unterbrechen und insbesondere zu überprüfen, ob eine Infektion mit Clostridium difficile vorliegt. Bei Auftreten von Mykosen im Magen-Darm-Trakt wird parallel zur Antibiose kontinuierlich antimykotisch behandelt und zwar etwa 1-2 Wochen über die antibiotische Behandlung hinaus. Bei oraler und genitaler Mykose kommen die üblichen antimykotischen Medikamente zum Einsatz.

Stadienabhängige Antibiose

Zwecks besserer Übersicht werden die Antibiotika tabellarisch wiedergegeben, die im Stadium I, II bzw. III zum Einsatz
kommen (Tab. 3.19, 3.20, 3.21). Inhaltlich stimmen die Daten mit der Tabelle 3.18 überein.

Tab. 3.19
Tab. 3.20
Tab. 3.21

Auch an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass bei der Lyme-Borreliose im Stadium III eine synchron kombinierte Antibiose sinnvoll ist (vgl. Tab. 3.23, 3.24, 3.25).

Kombinationstherapie

Die antibiotische Behandlung der Lyme-Borreliose im Spätstadium (Stadium III) erfordert Antibiotika mit bestimmten Wirkungsmerkmalen: hohe Gewebskonzentration, Wirksamkeit im Intrazellularraum und im ZNS, Wirksamkeit auf zystische Formen und auf Biofilm (Tab. 3.22).

Tab. 3.22
Tab. 3.23

Da kein Antibiotikum zur Verfügung steht, das all diese Voraussetzungen für eine effektive Behandlung besitzt, ergibt sich die Notwendigkeit, verschiedene Antibiotika zu kombinieren und zwar zeitgleich und über einen ausreichend langen Zeitraum. Die Lyme-Borreliose Stadium III erfordert also eine synchron kombinierte Langzeitantibiose.

Das Prinzip der synchron kombinierten Antibiose ist anhand von häufig praktizierten Behandlungsschemata dargestellt (Tab. 3.23). Neben diesen Beispielen sind eine Reihe weiterer Kombinationen und Alternativen in Tab. 3.24 zusammengestellt.

Die für die synchron kombinierte Langzeitantibiose geeigneten Antibiotika, deren Dosierung und die erforderliche Behandlungsdauer sind in der Übersicht der Tab. 3.25 zusammengestellt.

Grundsätzlich sollte ein Cephalosporin der dritten Generation mit einem oder zwei oralen Antibiotika zum Einsatz kommen. Bei Unwirksamkeit der Cephalosporine kommen die übrigen in der Tabelle 3.25 benannten Betalactame in Betracht.

Tab. 3.24
Tab. 3.25

Prävention

Da in Europa die Lyme-Borreliose ganz überwiegend durch Ixodes ricinus (Holzbock) übertragen wird, bezieht sich die im Folgenden dargestellte Prävention auf diesen Überträger. Allerdings richtet sich der persönliche Schutz auch gegen andere Zecken, insbesondere solche, die im außereuropäischen Raum vorkommen.

Die Prävention betrifft folgende Faktoren:

  • Exposition gegenüber Zecken
  • Schutzkleidung
  • Repellentien
  • Absuchen der Haut nach Exposition
  • Entfernung angesaugter Zecken

Im Hinblick auf das Expositionsrisiko ist zu beachten, dass sich Zecken in Gräser und Gebüsch bis zu einer Höhe von 1 m über dem Boden aufhalten. Bei Berührung werden die Zecken abgestreift und gelangen über die Haut (unter der Kleidung) in alle Körperregionen. Feuchte und warme Hautbereiche werden von den Zecken bevorzugt, jedoch kann ein Zeckenstich grundsätzlich an jeder Körperstelle auftreten. Besondere Gefahr droht auch durch Kontakt mit Wild- und Haustieren.

Aus dieser Konstellation ergeben sich folgende Hauptgefahrenquellen:

  • Hausgarten
  • Gras, niedriges Gebüsch und ähnliche Gewächse
  • Aufenthalt in der freien Natur
  • Haustiere (z.B. Pferde, Hunde, Katzen)
  • Wildtiere

Die Schutzkleidung sollte das Eindringen von Zecken insbesondere über die Beine und Arme durch entsprechend dichte Abschlüsse verhindern. Dies geschieht zum Teil in einfachster Form, indem die Enden der Hosenbeine in die Socken gesteckt werden, oder durch dichte Randsäume.

Inzwischen wurden Schutzanzüge, insbesondere für Kinder, entwickelt; bei Militär-Uniformen hat sich die Imprägnierung mit Permethrin bewährt.

Auch stehen verschiedene Repellentien zur Verfügung, die durch direkte Aufbringung auf die Haut vor Exposition das Risiko mindern, die Wirkung ist jedoch nicht vollständig und die Wirkdauer auf wenige Stunden begrenzt.

Nach Exposition, d.h. z.B. nach Aufenthalt in der freien Natur, wird Duschen empfohlen; nachfolgend sollte der Körper auf Zecken abgesucht werden. Dabei ist problematisch, dass die Vorstufen der erwachsenen (adulten) Zecken, die sogenannten Nymphen, nur gut 1 mm groß sind und somit leicht übersehen werden.

Eine angesaugte Zecke muss so bald wie möglich entfernt werden, da mit zunehmender Ansaugdauer das Infektionsrisiko wächst (vgl. Kap. 5.2). Zur Entfernung der Zecken kommen ausschließlich Pinzette, Zange oder Schlinge zum Einsatz, sonstige Methoden sind ungeeignet. Nach Erfassen mit der Pinzette oder Zange wird die Zecke langsam und gleichmäßig aus der Haut herausgezogen und die Stichstelle desinfiziert. Sonstige Manipulationen im Bereich der Stichstelle sollten unterbleiben.

Der Nutzen einer antibiotischen Prophylaxe nach Zeckenstich korreliert mit dem Infektionsrisiko. Da die in der Literatur aufgeführten Studien dieses Risiko unterschiedlich einschätzen, resultieren kontroverse Empfehlungen im Hinblick auf eine antibiotische Prophylaxe. Besondere Bedeutung hat die Arbeit von Nadelmann et al., 2001 über die einmalige Gabe von Doxycyclin zwecks Prophylaxe. In dieser Studie wurde dargelegt, dass Doxycyclin 200 mg bei einmaliger Applikation innerhalb von 72 Stunden nach Zeckenstich das Infektionsrisiko von 3,2 auf 0,4% reduziert. Aufgrund dieser Daten rieten die Autoren zur Prophylaxe mit Einmaldosis. Bezüglich der Einzelheiten sei auf Kap. 23.22 verwiesen.

Anhang

Allgemeinsymptome

  • Grippeähnliche Beschwerden
  • Chronisches Krankheitsgefühl
  • Ermüdung, Erschöpfung
  • Herabgesetzte Belastbarkeit
  • Leichtes Fieber, Hitzewallungen, Frösteln
  • Schwitzen
  • Nachtschweiße
  • Halsschmerzen
  • Kopfschmerzen
  • Nackensteifigkeit
  • Brustschmerzen, Herzklopfen
  • Gewichtsverlust
  • Gewichtszunahme
  • Lymphknotenschwellung
  • Sexuelle Funktionsstörungen
  • Verschlimmerung der Beschwerden nach Infektionen


Nervensystem

  • Lähmungen
  • Taubheitsgefühl
  • Kribbelgefühle
  • Störung des Berührungsempfindens
  • Muskelzuckungen
  • Unwillkürliche Bewegungen
  • Tremor
  • Störung des Bewegungsablaufes
  • Karpaltunnelsyndrom
  • Mononeuritis
  • Mononeuritis multiplex
  • Plexopathie
  • (brachial, lumbosakral)
  • Demenz
  • (M. Alzheimer)
  • Amyotrophe Lateralsklerose
  • Guillain-Barré-Syndrom
  • Tourette-Syndrom
  • Polyneuropathie
  • Nervenwurzelentzündung
  • Meningoencephalitis
  • Myelitis
  • Cerebellitis
  • Schwäche der Beine
  • (Paraparese)
  • Schwäche in Armen und Händen


Hirnnerven

  • Facialisparese
  • (Gesichtslähmung)
  • Opticus-Neuritis
  • Sehstörungen
  • Gesichtsfeldausfälle
  • Augenmuskellähmungen
  • Doppelbilder
  • Schielen
  • Gesichtsschmerzen
  • Taubheitsgefühl, Kribbeln (im Gesicht)
  • Geruchsstörung
  • Geschmacksstörung
  • Hörstörung
  • Schwindel/Gleichgewichtsstörung
  • Schluckstörung
  • Zungenbewegungsstörung
  • Tinnitus
  • Lärmempfindlichkeit
  • Schmerzen Zunge, Rachen
  • Heiserkeit
  • Erschwerte Anhebung des Kopfes im Liegen


Polyneuropathie

Schmerzen, Mißempfindungen und Störung der Sensibilität in Füßen, Beinen, Händen und Armen

 


Encephalopathie

  • Konzentrationsstörung
  • Gedächtnisstörung
  • Sprachstörung
  • Schreibstörung
  • Lesestörung
  • Denkstörung
  • Depressive Störungen
  • Angstzustände
  • Verhaltensstörungen
  • Schlafstörungen
  • Nervosität
  • Benommenheit
  • Schwindelzustände

Muskelskelettsystem

  • Gelenkentzündung
  • (Monarthritis)
  • (migratorische Polyarthritis)
  • Gelenkschmerzen mit Wanderungstendenz in großen und kleinen Gelenken
  • Steifigkeit der Gelenke
  • Muskelschmerzen
  • Schleimbeutelentzündungen (z.B. Bursitis suprapatellaris)
  • Sehnenerkrankungen (Tendopathie, Enthesiopathie)
  • Fersenbein-Schmerzen
  • Schienbein-Schmerzen
  • Fußsohlen-Schmerzen
  • Achillessehnen-Schmerzen
  • Carpaltunnelsyndrom
  • Epikondylitis
  • Rückenschmerzen
  • Brustkorb-/Körperschmerzen
  • Wirbelsäulenschmerzen


Herz

  • Herzmuskelentzündung (Myokarditis)
  • Herzbeutelentzündung (Perikarditis)
  • Herzerweiterung
  • (dilatative Kardiomyopathie)
  • Herz-Rhythmus-Störungen
  • Erregungsleitungsstörungen


Haut

  • Erythema migrans (EM) (Wanderröte)
  • Rezidivierendes EM
  • Multiples EM
  • Lymphozytom (innerhalb EM oder statt EM)
  • Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA) (Frühform, Endstadium)
  • Fibrome
  • Papulosquamöse Läsionen
  • Morphaea (umschriebene blasse verhärtete Hautläsionen)
  • Kribbeln oder brennende Schmerzen
  • im Hautbereich
  • Jucken


Auge

  • Augenentzündung (Uveitis)
  • Äußere Augenentzündung (Skleritis, Episkleritis)
  • Retinale Vasculitis
  • Neuro-ophthalmologische Störungen
  • Augenmuskellähmungen
  • Entzündungen der Augenmuskeln (Oculäre Myositis)
  • Konjunktivitis
  • Iritis
  • Retinitis
  • Vitreitis
  • Corneaödem
  • Exsudative ablatio retinae
  • Retinale Vasculitis
  • Makulaödem
  • Papillitis
  • Iridozyklitis


Magen-Darm-Beschwerden

  • Dyspeptisches Syndrom
  • Übelkeit
  • Durchfälle
  • Magenschmerzen
  • Bauchschmerzen
  • Obstipation


Urogenitalsystem

  • Hyperreflexie des Detrusor
  • (Polyurie, häufiges Wasserlassen)
  • Harnretention
  • Dranginkontinenz
  • Nykturie
  • Interstitielle Zystitis


Sonstige Beschwerden

  • Schmerzen Kieferbereich
  • Sinusitis


Sonstiges

  • Vasculitis (insbesondere Hirninfarkt)

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