Bei Ansprüchen aus Unfallversicherungen obliegt dem Patienten (Kläger) die Beweisführung, d.h. der Zusammenhang zwischen erlittener Borrelieninfektion und nachfolgend aufgetretener Krankheit ist
zu belegen.
Unterschieden wird in der Kausalkette:
- haftungsbegründete Kausalität
- haftungsausfüllende Kausalität
Die Beurteilung der haftungsbegründeten Kausalität obliegt dem Gericht und nicht dem Gutachter. Das Gericht hat zu klären, ob die berufliche Tätigkeit ursächlich mit dem Unfall (Zeckenstich,
Borrelieninfektion) zusammenhängt. Erst wenn ein solcher Zusammenhang von Seiten des Gerichts feststeht, beginnt die Gutachterliche Tätigkeit.
Die haftungsausfüllende Kausalität betrifft den Zusammenhang zwischen Unfall (Zeckenstich, Borrelieninfektion) und die hieraus resultierende Gesundheitsschädigung (Lyme-Borreliose). Im Gutachten
sind folgende Fakten zu beachten:
- Schädigendes Ereignis (Zeckenstich, Borrelieninfektion)
- Primäre Gesundheitsbeeinträchtigung in unmittelbarem (zeitlichen) Zusammenhang mit dem Unfall
- Gesundheitsschäden (Schädigung als Folge) d.h. Eine resultierende mehr oder weniger lang persistierende Lyme-Borreliose im Spätstadium.
Die haftungsausfüllende Kausalität ist vom Gutachter zu beurteilen. Zu klären ist, ob der Unfall (Zeckenstich, Borrelieninfektion) Ursache der vorliegenden Gesundheitsschädigung (Folgeschaden) in
Form einer persistierenden Lyme-Borreliose im Spätstadium ist.
Der „Folgebeweis“ des Kausalzusammenhanges ist gegeben, wenn ein ursächlicher Zusammenhang mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist. Die Fakten, die für einen Kausalzusammenhang sprechen, müssen
allerdings zweifelsfrei feststehen, d.h. bei den Fakten muss eine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ vorliegen. Bei der Lyme-Borreliose ergeben sich diesbezüglich besondere
Schwierigkeiten, da nur ein Teil der Krankheitsmanifestationen für die Krankheit beweisend ist: Erythema migrans, Acrodermatitis chronica atrophicans, akute Neuroradiculitis mit entsprechendem
pathologischem Liquor, Erregernachweis.
Wenn diese krankheitsbeweisenden Manifestationen nicht vorliegen oder im Krankheitsverlauf nicht aufgetreten sind, ist die Beweisführung bei der Lyme-Borreliose problematisch. Entscheidend ist in
diesem Zusammenhang, dass die Diagnose einer Lyme-Borreliose im Wesentlichen auf der Differenzialdiagnose, d.h. dem Ausschluss anderer für die Symptome in Betracht kommenden Krankheiten besteht.
Die Lyme-Borreliose im Spätstadium ist bei den aktuell zur Verfügung stehenden diagnostischen Möglichkeiten eine Ausschlussdiagnose, die sich im Wesentlichen auf klinische Daten und auf die
angesprochene Differenzialdiagnose stützt. Bei Unterlassung der Differenzialdiagnose im Gutachten ergibt sich für den Kläger ein erhebliches Handicap, da der Beweis einer Lyme-Borreliose im
Spätstadium wesentlich schwieriger ist als bei anderen Krankheiten, z.B. Diabetes mellitus oder Niereninsuffizienz, die durch einen positiven Krankheitsmarker (erhöhter Blutzucker, erhöhter
Nierenwert) beweisbar sind. Ein solcher positiver Krankheitsmarker steht bei der Lyme-Borreliose im Spätstadium nicht zur Verfügung.
Die häufigsten und wichtigsten Argumente zur Verneinung einer Lyme-Borreliose in Gutachten oder gerichtlichen Urteilen werden im Folgenden aufgelistet:
- Ungeprüfte Übernahme falscher Gutachten durch Gerichte
- Einschätzung von Gutachten (gerichtlich bestellter Gutachter) auf der Basis von Autorität und Ansehen
- Nichtbeachtung sachlicher Einwände (z.B. im Rahmen von Gutachten nach § 109 SGG)
- Nichtbeachtung der Gleichberechtigung von Gutachten gerichtlich bestellter Gutachter und so genannter Parteigutachten (insbesondere auch Gutachten nach § 109 SGG)
- Letzte Instanz für die Klärung des Sachverhaltes im Sozialgericht ist das Landessozialgericht. Das Bundessozialgericht prüft lediglich, ob juristische Fehler vorliegen und ob sich das
Landessozialgericht mit allen Aspekten des Rechtsstreits befasste
- Falsche Darstellung des Sachverhaltes und Argumentation mit falschen wissenschaftlichen Argumenten
- Zunächst Anerkennung der Berufskrankheit, d.h. Auftreten einer Lyme-Borreliose nach Borrelieninfektion bei der beruflichen Tätigkeit. Ab einem willkürlich festgelegten Zeitpunkt wird
gutachtlich oder gerichtlich der Kausalzusammenhang einer persistierenden Krankheitsproblematik mit der Lyme-Borreliose verneint und ein und dieselben Symptome auf andere hypothetische, nicht
bewiesene Krankheiten bezogen (z.B. psychiatrische Krankheiten, so genanntes Post-Lyme-Syndrom oder sogar vollkommene Verneinung von Beschwerden und Krankheit)
- Verneinung der Lyme-Borreliose bei Fehlen krankheitsbeweisender Manifestationen: Erythema migrans, Acrodermatitis chronica atrophicans, akute Neuroborreliose mit entzündlichem Liquor,
Erregernachweis. Ein Erythema migrans kommt nur in 50 % der Fälle vor, ist also für die Diagnose nicht obligat. Die Acrodermatitis chronica atrophicans tritt bei 10 % der Patienten auf, die akute
Neuroborreliose bei 5 %. Der Erregernachweis hat eine niedrige Sensivität, oft resultieren falsch negative Ergebnisse, die Untersuchung gehört daher nicht zur Routinediagnose
- Verneinung der Lyme-Borreliose im Spätstadium wegen fehlender „typischer Manifestationen“. Tatsächlich liegen solche angeblich typischen Manifestationen nur in einem Teil der Fälle vor:
- Zeckenstich 30 %
- Erythema migrans 50 %
- Arthritis 40 %
- Lyme-Neuroborreliose 20 %
- (akute Lyme-Neuroborreliose 5 %)
- Acrodermatitis chronica atrophicans 10 %
- Kardiale Symptome 15 %
- Artrioventrikulärer Block 5 %
- Facialisparese 8 %
- Neuroradikulitis 12 %
- So genannte unspezifische Symptome, d.h. Krankheitsmanifestationen, die bei der Lyme-Borreliose häufig vorkommen werden zwar im Gutachten erwähnt, jedoch im Hinblick auf die Diagnose nicht
gewürdigt
- (EM) 50 %
- ACA) 10 %
- Grippeähnliche Beschwerden 80 %
- Fatigue 80 %
- Muskelskelettbeschwerden 80 %
- Kopfschmerzen 60 %
- Kognitive Störungen 50 %
- Schlafstörungen 70 %
- Parästhesien 40 %
- Arthritis 40 %
- Kardiale Symptome 15 %
- Neurologische Symptome 15 % - 20 %
(Anmerkung: Also selbst Arthritis, kardiale Symptome und neurologische Symptome werden als unspezifisch und für die Diagnose der LB unwichtig bezeichnet)
- Gleichsetzung von Lyme-Borreliose im Spätstadium mit Lyme-Neuroborreliose
- Fehlerhafte Argumentationskette: normaler Liquor → keine Lyme-Neuroborreliose → keine generalisierte (systemische) Lyme-Borreliose im Spätstadium. Tatsächlich kommt eine Lyme-Neuroborreliose
(neurologische Symptome) nur bei 15 % der Fälle einer Lyme-Borreliose im Spätstadium vor. Der Liquor bei der Lyme-Borreliose im Spätstadium ist nur in 5 % pathologisch verändert und dies in
geringem Ausmaß. Ein normaler Liquorbefund ist bei der Lyme-Borreliose (ohne Lyme-Neuroborreliose) mit geringen Ausnahmen (5 %) zu erwarten
- Angeblich zu kurze Saugdauer (der Zecke). Tatsächlich erfolgen 80 % der Infektionsübertragung innerhalb eines Tages.
- Behauptung, dass ein Erythema migrans nur in anulärer Form (Kokardenform, Bullaugen-Form) vorkommt. Tatsächlich betrifft diese Form nur 50 % der Fälle. In den übrigen Fällen sind Form und
Größe sehr variabel.
- Verneinung eines Erythema migrans wegen langer Dauer. Tatsächlich kann ein nicht behandeltes Erythema migrans über Monate, mitunter Jahre persistieren.
- Verneinung einer LB wegen zu großem Intervall zwischen Stich und Auftreten eines EM. Tatsächlich kann dieses Intervall viele Wochen, gelegentlich Monate betragen
- Fehldiagnose Neuroradikulitis (Nervenwurzelentzündung bei LB, M. Bannwarth) / Bandscheibenvorfall. Nichtbeachtung der anatomischen Zuordnung, Nichtbeachtung einer polysegmentalen
Neuroradikulitis bei LB
- Nichtakzeptanz der Differentialdiagnose als Basis einer Lyme-Borreliose im Spätstadium. Tatsächlich ist die Lyme-Borreliose oft eine so genannte Ausschlussdiagnose, die eine umfassende
Differentialdiagnose erfordert. Sämtliche vorliegende Symptome müssen auf alternative Ursachen (Differentialdiagnose) überprüft werden. Unzutreffende Behauptung von Gutachter und Gericht: die
Durchführung einer Differentialdiagnose ist nicht Aufgabe des Gutachters, d.h. der Gutachter muss die vorliegende Erkrankung nicht benennen. Tatsächlich lautet in der Regel die übliche erste
Beweisfrage: Welche Krankheit liegt vor?
- Missachtung der diagnostischen Basis der Lyme-Borreliose im Spätstadium. Die Diagnose stützt sich auf medizinisch-technische Vorbefunde, vorliegende Arztberichte, Anamnese, körperlichen
Untersuchungsbefund, medizinisch-technische Untersuchungen und die Differentialdiagnose Missdeutung von cerebralen Läsionen im cMRT. Tatsächlich sind so genannte Marklagerläsionen ein häufiges
Vorkommnis der Lyme-Borreliose im Spätstadium. Unzutreffend wird gutachtlich und gerichtlich festgestellt, es handele sich um „unspezifische“ oder „mikroangiopathische“ Veränderungen.
Unspezifische Marklagerläsionen sind in der Literatur nicht beschrieben. Die Diagnose „mikroangiopathische Läsionen“ ist in der Regel eine Fehldiagnose von Radiologen. Der Begriff
„mikroangiopathisch“ kann nur bei einer generalisierten Gefäßerkrankung und bestimmten klinischen Manifestationen (so genannter lakunärer Infarkt) gestellt werden
- Verneinung der Lyme-Borreliose aufgrund des serologischen Befundes, insbesondere bei Seronegativität. Serologie beweist jedoch bei pathologischem Ausfall nur stattgehabte Infektion und macht
keine Aussage über Existenz und Ausmaß der Krankheit (Lyme-Borreliose). Bei der Lyme-Borreliose im Spätstadium liegt bei bis zu 50 % der Fälle Seronegativität vor, Seronegativität schließt also
eine Lyme-Borreliose nicht aus
- Falschbehauptung, dass eine „antibiotische Behandlung nach Standard“ die Heilung einer Lyme-Borreliose (insbesondere im Spätstadium) garantiert. Tatsächlich liegt die Versagerquote der
Behandlung nach Standard bei 50 %
- Fälschliche Verwendung des Begriffes „Seronarbe“. Unter einer Seronarbe ist das Fortbestehen von Antikörpern zu verstehen, wenn die Krankheit abgeklungen und der Patient bezüglich
Lyme-Borreliose beschwerdefrei ist. Der Begriff Seronarbe ist also nur zu verwenden, wenn keine Symptome einer Lyme-Borreliose mehr bestehen
- Falsche Behauptung, dass Fehlen von IgM-AK gegen eine Borrelieninfektion sprechen. Tatsächlich kommen IgM-AK nur in 40 % der Fälle vor und meistens nur vorübergehend, d.h. für einige Monate
- Unzutreffende Behauptung, dass das Fehlen von IgG-AK gegen eine Lyme-Borreliose im Spätstadium spricht. Dabei wird Bezug genommen auf den MiQ 12. Diese Behauptung ist jedoch unzutreffend und
durch wissenschaftliche Literatur nicht belegt. Wie oben gesagt, kommt Seronegativität bei bis zu 50 % der Fälle vor
- Fehldeutung als psychische Krankheit. Symptomatik (tatsächlich bedingt durch Lyme-Borreliose im Spätstadium) wird willkürlich auf psychische Krankheit zurückgeführt. Für psychische
Erkrankungen gibt es keinen (krankheitsbeweisenden) positiven Krankheitsmarker. Die international gültigen diagnostischen Kriterien der psychischen Erkrankungen (nach DSM-V) bleiben
unberücksichtigt. Häufigste Fehldiagnose: somatoforme Störung (Beschwerden die durch bekannte körperliche und psychische Erkrankungen nicht erklärt werden können, medizinisch ungeklärte Symptome)