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Infektiologische Differenzialdiagnose (sog. Coinfektionen der LB) |
Inhaltsverzeichnis
Yersinia enterocolitica Infektion (Yersiniose)
Mycoplasma pneumoniae-Infektion
Nachrangige Coinfektion der Lyme-Borreliose
Humane granulozytäre Anaplasmose (HGA)
Humanes Parvovirus B19-Infektion
Überblick der Symptomatik und Behandlung von LB und chronischen Coinfektionen
Zusammenfassung
Bei der Lyme-Borreliose (LB) können gleichzeitig andere Infektionen vorliegen, deren pathologischer Synergismus den Krankheitszustand verschlimmert oder die ähnliche Krankheitsmanifestationen
hervorrufen. Solche begleitenden Infektionen werden als Coinfektionen bezeichnet. Die Coinfektionen können wie die LB durch Zecken übertragen werden, d.h. es kann bei Zeckenstich zu
Mehrfachinfektionen kommen. Ein Teil der Coinfektionen wird unabhängig von Zecken übertragen oder es bestehen neben der Zeckenübertragung auch andere Infektionswege. Die klinisch wesentlichen
Coinfektionen werden durch Bartonellen, Yersinia enterocolitica, Chlamydophila pneumoniae, Chlamydia trachomatis und Mycoplasma pneumoniae hervorgerufen. Die humane granulozytäre Anaplasmose
(HGA, frühere Bezeichnung: humane granulozytäre Ehrlichiose (HGE)) und die Babesiose haben in Europa im Gegensatz zu den USA keine wesentliche Bedeutung. Die „Coinfektionen“ können
selbstverständlich auch ohne Verbindung mit der LB auftreten und führen in Eigenständigkeit zu einer mitunter ausgeprägten Krankheitssymptomatik, die erhebliche Überschneidungen mit dem
Krankheitsbild der LB aufweist. Dies gilt insbesondere für Infektionen mit Bartonella henselae, Yersinia enterocolitica und Mykoplasma pneumoniae. Chlamydia trachomatis führt im Wesentlichen zu
Arthritiden, Chlamydophila pneumoniae überdies zu Krankheitsmanifestationen des Nervensystems und des Herzens. Dadurch wird die Differentialdiagnose sehr schwierig, mitunter unmöglich. Noch
problematischer ist die diagnostische Situation, wenn die Coinfektionen in Verbindung mit LB auftreten, wenn also Doppel- oder Mehrfachinfektionen bestehen. – Die Coinfektionen wurden in den
1990er Jahren, also etwa zehn Jahre nach Entdeckung der LB, in ihrer Krankheitsbedeutung erkannt. Studien zur Behandlung der Coinfektionen liegen nicht vor; Therapieempfehlungen stützen sich auf
vereinzelte Expertenmeinungen. Bei der antibiotischen Behandlung kommt der Einsatz von Cephalosporinen der dritten Generation nur bei der Lyme-Borreliose in Betracht. Das Gleiche gilt für die
Carbapeneme, die allerdings nach Testung auch gelegentlich bei Infektionen durch Yersinia enterocolitica verwendet werden. Bei den übrigen Infektionen kommen im Wesentlichen Tetracycline und
Makrolide zum Einsatz, Chinolone sind eine Alternative, insbesondere das Gemifloxacin. Bei Bartonella henselae, Chlamydia trachomatis und Chlamydophila pneumoniae wird die Kombination mit
Rifampicin empfohlen. Bei Campylobacter jejuni ist Erythromycin das Mittel der Wahl. Die Symptomatik und antibiotische Behandlung der Infektionskrankheiten sind am Ende des Textes in
tabellarischen Übersichten dargestellt.
Bei der Lyme-Borreliose (LB) können gleichzeitig andere Infektionen vorliegen, deren pathologischer Synergismus den Krankheitszustand verschlimmert oder die ähnliche Krankheitsmanifestationen
hervorrufen. Solche begleitenden Infektionen werden als Coinfektionen bezeichnet. Die Coinfektionen können wie die LB durch Zecken übertragen werden, d.h. es kann bei Zeckenstich zu
Mehrfachinfektionen kommen. Ein Teil der Coinfektionen wird unabhängig von Zecken übertragen oder es bestehen neben der Zeckenübertragung auch andere Infektionswege.
Die durch Zecken übertragenen Coinfektionen sind in Tabelle 4.1, die zeckenunabhängigen Coinfektionen in Tabelle 4.2 zusammengestellt.
In Europa wurden in Zecken neben Borrelien auch Human Granulocytic Anaplasmosis (Ehrlichien), Rickettsien, Coxiella burnetii, Babesia microti und Babesia divergens nachgewiesen [351-354].
Die Coinfektionen begünstigen durch Modulation des Immunsystems die Ausprägung von Krankheitszuständen und werden als wesentlicher Grund für Therapieresistenzen angesehen [176-192].
Ungeklärt ist die Bedeutung der Coinfektionen für das Krankheitsgeschehen, also deren Pathogenität im Vergleich zur Lyme-Borreliose. Bei Zweifach- oder Mehrfachinfektionen kann somit im
Einzelfall nicht entschieden werden, welche Infektion bei der Krankheitsverursachung dominiert.
Bei der Symptomatik ergeben sich zwischen Lyme-Borreliose und Coinfektionen erhebliche Überschneidungen, so dass oft eine eindeutige Zuordnung der Krankheitsmanifestationen zu den vorliegenden
Infektionen unmöglich wird.
Zahlreiche Symptome können also sowohl durch eine Lyme-Borreliose als auch durch sogenannte Coinfektionen bedingt sein.
Die Problematik Lyme-Borreliose und Coinfektionen bezieht sich grundsätzlich auf den chronischen Verlauf. Die Coinfektionen haben also nur Bedeutung für die chronische Lyme-Borreliose
(Spätstadium, Stadium III). Andererseits erfordert der synergistisch-pathologische Mechanismus, dass auch die Coinfektionen in chronisch persistierender Form vorliegen.
Anamnestisch ist zu beachten, ob Coinfektionen in ihrer akuten Form der Frühphase aufgetreten sind, da dies zur Erkennung der Coinfektion in der chronischen Phase beiträgt.
Labordiagnostisch stehen, wie bei der Lyme-Borreliose, auch bei den Coinfektionen meistens nur Methoden zum indirekten Erregernachweis (Serologie, LTT) zur Verfügung. Mit serologischen Untersuchungen kann die stattgehabte Infektion belegt werden, jedoch ist ein positiver serologischer Befund kein Beweis, dass die Infektion aktuell zur Krankheit führte; grundsätzlich kann aufgrund eines serologischen Befundes die Infektionskrankheit weder bewiesen noch ausgeschlossen werden. Nur wenn bei vorausgehender Seronegativität oder negativem LTT in zeitlicher Parallelität zur Krankheitsentwicklung pathologische Laborbefunde auftreten oder Krankheits-korrelierend eine Verschlechterung des Befundes feststellbar ist, sind bis zu einem gewissen Grade Rückschlüsse auf die Krankheitsentwicklung und -situation berechtigt.
Die wesentlichen Coinfektionen der Lyme-Borreliose beruhen auf Bartonellen (im Wesentlichen auf B. henselae), Chlamydia trachomatis, Chlamydophila pneumoniae, Yersinia enterocolitica und
Mycoplasma pneumoniae. Entsprechend sind diese Infektionskrankheiten in Tabelle 4.1 und 4.2 hervorgehoben.
Die Häufigkeit von Seropositivität und positivem LTT (Lymphozytentransformationstest) wurde an eigener Klientel (n=108) untersucht. Die Ergebnisse sind in Tabelle 4.3 dargestellt. Die
Untersuchungen erfolgten im Institut für Medizinische Diagnostik (IMD), Berlin. Bezüglich der Einzelheiten darf auf die entsprechende Literaturstelle verwiesen werden [339]. Ein LTT für
Bartonella steht nicht zur Verfügung, LTT Mycoplasma pneumoniae wurde nicht durchgeführt. Auffällig und ungeklärt ist die große Häufigkeit LTT Chlamydia trachomatis.
CD57-NK-Zellen sind entsprechend Untersuchungen der eigenen Klientel bei der chronischen Lyme-Borreliose oft erniedrigt, selten jedoch bei den Coinfektionen. Grundsätzlich gilt jedoch, dass
CD57-NK-Zellen bei allen chronischen Infektionskrankheiten erniedrigt sein können, das Phänomen wird bei der chronischen LB jedoch relativ häufig gesehen.
Die wesentlichen Coinfektionen sind in einer Übersicht (Tabelle 4.4) zusammengefasst. Entsprechend der tabellarischen Reihenfolge werden diese wesentlichen Infektionskrankheiten dargestellt,
danach folgen die weniger wesentlichen Coinfektionen (Kap. „Nachrangige Coinfektionen der Lyme-Borreliose) und zur inhaltlichen Abrundung das Kapitel über die sogenannte reaktive Arthritis.
HGA (human granulocytic anaplasmosis, syn. humane granulozytäre Ehrlichiose (HGE)) und Babesiose haben im Gegensatz zu den USA in Europa als Coinfektionen kaum Bedeutung.
Bartonellose
Zahlreiche Zusammenhänge beim Infektionsweg der Bartonellose sind noch ungeklärt. Die in der Literatur beschriebenen wesentlichen Infektionsdaten sind in Tabelle 4.5 zusammengefasst.
Hauptmanifestationen: Infizierte Hautläsion, Lymphknotenschwellung, Multiorganerkrankung (u.a. Leber, Milz, Nervensystem, Auge) [66-67], vgl. Tab. 4.6.
Bis 1993 war nur B. bacilliformis bekannt. Erst 1993 wurden die verschiedenen Bartonella-Subspezies beschrieben [69] und in ihrer Krankheitsbedeutung erkannt.
Die Bartonellose dürfte als Coinfektion der Lyme-Borreliose erhebliche Bedeutung haben. Unter gesundheitspolitischem Aspekt hat die Lyme-Borreliose wegen ihrer Häufigkeit größeres Gewicht.
Allerdings sei in diesem Zusammenhang angemerkt, dass die Bartonellose bei Weitem nicht so intensiv wissenschaftlich untersucht wurde wie die Lyme-Borreliose. Zudem ergibt sich aus eigenen
Beobachtungen, dass bei Patienten mit chronischer Lyme-Borreliose die Serologie auf Bartonella häufig positiv ist.
Mit zu erwartender zunehmender Entwicklung von Labortests wird die zur Zeit unterschätzte Prävalenz der Bartonellose in Zukunft korrekter erfasst und die Bedeutung der Erkrankung auch aufgrund
ihrer Häufigkeit determiniert werden.
Die Bartonellose (infolge B. henselae und B. bacilliformis) kann mit einer außerordentlichen Vielfalt an Symptomen einhergehen.
Diesbezüglich sei auf die Tabelle 4.8 verwiesen.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auch Facialisparese und Glomerulonephritis im Zusammenhang mit der Bartonellose erwähnt werden [328].
Die bakteriell-entzündliche Hautinfektion (Kratz- oder Bissstelle) ist keinesfalls obligat, d.h. die Bartonellose kann auch auftreten ohne die typische Katzenkrallenkrankheit, die durch die
infizierte Hautläsion und Lymphknotenschwellung gekennzeichnet ist.
Die Krankheitsgestalt der Bartonellose lässt sich besser erkennen, wenn aus der Vielzahl der Symptome (Tab. 4.8) die wichtigsten Symptome, also die Hauptmanifestationen, betrachtet werden (vgl.
Tab. 4.6).
Bei den Krankheitsmanifestationen der Bartonellose ergeben sich also erhebliche Überschneidungen mit der Lyme-Borreliose. Diese Tatsache findet auch in der aktuellen Literatur Niederschlag
[86].
Die Labordiagnostik bei der Bartonellose ist in Tabelle 4.7 wiedergegeben.
Im Blutausstrich zeigen die Erythrozyten bei Befall mit Bartonella zunächst Erreger an der Außenwand, im weiteren Verlauf sind die Erreger zunehmend intrazellulär lokalisiert. Dabei geht das
helle Zentrum der Erythrozyten verloren (Abb. 4.1).
Aussagen zur Wertigkeit der Serologie liegen in der Literatur nicht vor, insbesondere ist die Frage ungeklärt, ob Seronegativität die Krankheit ausschließt. Andererseits ist, wie bei vielen
anderen Infektionskrankheiten, ein positiver serologischer Befund lediglich beweisend für die stattgehabte Infektion, nicht jedoch für die Erkrankung.
Der kulturelle Nachweis von Bartonella ist höchst problematisch, die Sensitivität sehr gering, so dass diese Untersuchungsmethode nicht zur Routinediagnostik gehört.
Erregernachweis mittels PCR in Biopsien erscheint vielversprechend [87, 232], allerdings muss die Untersuchung mittels PCR zeitnah zur Biopsie erfolgen [88].
Der chronische Verlauf der Bartonellose ist in mehreren Studien zum Teil an großen Kollektiven beschrieben [90-94].
Insbesondere neurologische Manifestationen sind detailliert beschreiben (355/356). Die lange Krankheitsdauer, die sich oft über viele Jahre erstreckt, und die große Ähnlichkeit in den
Krankheitsmanifestationen machen eine Abgrenzung gegenüber der chronischen Lyme-Borreliose oft sehr schwierig. Die Bartonellose hat daher bei der infektiologischen Differentialdiagnose der
Lyme-Borreliose eine herausragende Bedeutung.
In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass B. henselae in Zecken nachgewiesen und die Übertragung mittels Erregernachweis im Liquor belegt wurde [95]. Zudem ist die Prävalenz von B. henselae in
Zecken offensichtlich hoch; wissenschaftliche Studien erbrachten eine Prävalenz von 40% [96].
Nach eigenen Erhebungen wurde bei Patienten mit chronischer Lyme-Borreliose in 78% der Fälle Seropositivität für Bartonella henselae nachgewiesen.
Eine besondere Eigenschaft der Bartonellen ist die Induktion gefäßreicher Tumore oder Granulome, die im Bereich der Haut (bazilläre Angiomatose), in der Leber (Peliosis hepatis) oder in der Milz
(Peliosis splenitis) auftreten [97-99]. Dabei zeigen diese angiomatösen Tumore oder Granulome eine pathologische Sprossung von Kapillaren sowie vergrößerte und hyperproliferative vaskuläre
Endothelzellen [100]. Die Bartonellose geht also offensichtlich mit einer Stimulierung der Blutgefäßbildung einher. Dem entspricht die Beobachtung, dass die Bartonellose neben der Angiomatose
auch zu verschiedenen anderen Hautmanifestationen führt, bei denen eine vermehrte Gefäßbildung zu beobachten ist [101]. Auch könnte die Bestimmung von VEGF (vascular endothelial growth factor) im
Blut von diagnostischer Bedeutung sein [101].
Bei allen pathogenetisch relevanten Bartonellen (B. quintana, B. henselae, B. bacilliformis) wurde die Wirkung auf die endothelialen Zellen und die Induktion der Angiogenese nachgewiesen. Dabei
wurde die vaskuläre Proliferation im Wesentlichen auf drei Faktoren zurückgeführt [102-108]:
All diese Studien stützen die Ansicht, dass VEGF (vascular endothelial growth factor) bei der Bartonella-induzierten Endothelzellproliferation eine wesentliche Rolle spielt [108].
Eine weitere wesentliche Eigenschaft von Bartonella ist der suppressive Einfluss auf das Immunsystem des Wirtsorganismus und angeblich auch auf die immunologische Antwort (Entzündung) [101].
Patienten der eigenen Klientel, bei denen aufgrund der Gesamtheit der Krankheitsdaten eine Bartonellose wahrscheinlich war, zeigten extrem niedrige Werte für die TH1- und TH2-assoziierten
Zytokine. Auch bestand der Eindruck, dass Bartonella bei schweren und therapeutisch kaum zu beeinflussenden neurologischen Krankheitsbildern Bedeutung hat. In diesem Zusammenhang drängt sich die
Hypothese auf, dass Bartonella über zwei pathogenetische Wege den Krankheitsprozess auslöst und unterhält:
Aus einer solchen Hypothese ergäbe sich die Schlussfolgerung, dass bei sehr ausgeprägten und schwer zu beeinflussenden neurologischen Krankheitsbildern die pathogenetische Bedeutung von Bartonella besondere Beachtung erfordert; die Bestimmung der Zytokine zur Erfassung der TH1- und TH2-Aktivität könnte in solchen Situationen hilfreich sein.
Bartonellen halten sich in Erythrozyten auf und führen zu Deformierungen der Erythrozytenmembran [110-111].
Die Darstellung der Bartonellen in Erythrozyten wird bereits diagnostisch genutzt, insbesondere auch im Hinblick auf das Ausmaß der Infektion [101]. Eindeutige Literatur über den
Erythrozytenbefall bei der chronischen Bartonellose liegt allerdings nicht vor. Eine neuere Methode zum Erregernachweis mittels Clia im Blutausstrich kann in ihrer diagnostischen Wertigkeit noch
nicht beurteilt werden.
Bei Bartonella quintana wurde nachgewiesen, dass der Erreger nach Eindringen in die Endothelzellen intrazelluläre Blebs formt, also ein ähnlicher Vorgang wie bei der Lyme-Borreliose. Auch
Borrelia burgdorferi hat eine hohe Affinität zu Endothelzellen, und die Entwicklung von Blebs insbesondere bei chronischen Erkrankungen ist beschrieben. Im Zusammenhang mit der Lyme-Borreliose
werden der intrazelluläre Aufenthalt der Erreger und die Bildung biologisch wenig aktiver eukaryoter Formen (Zystenformen, Blebs) als Ursache für das Versagen einer antibiotischen Behandlung
diskutiert, also auch diesbezüglich zeigen sich Parallelen zwischen Lyme-Borreliose und Bartonellose [vgl. 112-117].
Der Vollständigkeit halber sei kurz auf zwei weitere Formen der Bartonellose eingegangen, nämlich das Oroya Fieber bzw. die Verruga peruana und auf das trench fever.
Bei dem Oroya Fieber und der Verruga peruana handelt es sich um eine Infektion durch Bartonella bacilliformis, die von Sandfliegen übertragen wird. Die Krankheit tritt in den Anden auf. Die akute
Form betrifft (gegenüber B. bacilliformis) immunologisch naive Touristen. Ohne Behandlung beträgt die Mortalität 40%. Bisher ist unbekannt, welcher Faktor in diesem Zusammenhang zu dem
schwerwiegenden Krankheitsverlauf führt.
Das Oroya Fieber und dessen Erkennung als Infektionskrankheit geht auf Carrion zurück, der die infektiös bedingte Krankheit im tödlichen Eigenversuch Ende des 19. Jahrhunderts nachwies.
Das trench fever (Schützengrabenfieber) wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts entdeckt. Die Übertragung erfolgt durch Läuse [127-129]. 2002 wurde der Erreger erstmalig in Erythrozyten nachgewiesen
und damit der Übertragungsweg durch Läuse plausibel [130].
Für die Behandlung der Bartonellose liegen keine ausreichenden wissenschaftlichen Studien vor. Es gibt keine einzige Behandlungsmethode, die von der FDA, der CDC oder der IDSA genehmigt ist
[101]. Dies gilt insbesondere für die chronischen Verläufe [123].
Die antibiotische Behandlung ist in Tabelle 4.9 wiedergegeben. Empfohlen werden Azithormycin [118, 199], Rifampicin, Ciprofloxacin, Trimethoprim-Sulfamethoxazol, Gentamycin [120, 122], Gentamycin
i.v. [121], Doxycyclin + Gentamycin [124, 125].
Die Behandlung stützt sich zum Teil auf Expertenempfehlungen [126]. Sonstige Literaturquellen werden in Tab. 4.9 benannt.
Die Diskrepanz zwischen den in-vitro-Befunden und den in-vivo-Resultaten ist in verschiedenen Publikationen dargestellt [324, 329, 331, 333, 336].
Da sich Bartonella henselae in vivo im Wesentlichen intrazellulär aufhält, kommen nur intrazellulär wirksame Antibiotika zum Einsatz, die in Tabelle 4.9 aufgelistet sind.
Bei der chronischen Bartonellose sind Therapieversagen und Rezidive keine Seltenheit, es wird daher eine antibiotische Langzeitbehandlung empfohlen [322, 323, 324, 333, 336].
Aminoglykoside (insbesondere Gentamycin) werden in ihrer Wirksamkeit sehr kontrovers beurteilt. Publikationen mit positiver Beurteilung [324, 328, 330, 336, 337] stehen anderen Mitteilungen
entgegen, die Aminoglykoside als unwirksam oder unzureichend wirksam einschätzen [325, 326, 329].
Chlamydia pneumoniae
Bei der Differentialdiagnose der Lyme-Borreliose hat Chlamydophila pneumoniae aufgrund folgender Krankheitsmanifestationen Bedeutung:
Mikrobiologisch haben Chlamydien besondere Eigenschaften: Die Größe des Erregers ist im Vergleich zu anderen Bakterienarten sehr gering, die Vermehrung erfolgt nur innerhalb der Wirtszelle, der
Erreger ist auf das ATP der Wirtszelle angewiesen, da er zur eigenen Produktion nicht befähigt ist.
Der Erreger weist zwei Erscheinungsformen auf:
Die Elementarkörperchen können extrazellulär existieren und stellen die infektiöse Form dar. Eine Vermehrung der Elementarkörperchen ist nur in den Wirtszellen möglich. Nach Eindringen werden die Elementarkörperchen von der Wirtszelle phagozytiert, intrazellulär wandelt sich das Elementarkörperchen in Initialkörperchen um und kann sich als solches wieder teilen. Die Elementarkörperchen sind also infektiös, die Initialkörperchen reproduktiv. Einige Initialkörperchen wandeln sich wieder in Elementarkörperchen zurück, die nach Lyse der Wirtszelle freigesetzt werden. Die so entstandenen Elementarkörperchen befallen dann wiederum Wirtszellen. Daraus resultiert, dass eine effektive Antibiose voraussetzt, dass das Antibiotikum intrazellulär und extrazellulär wirksam ist. Dies trifft für Tetracycline und Makrolide zu.
Die Infektionsdaten von Chlamydophila pneumoniae sind in Tabelle 4.10 zusammengefasst.
Die primäre Krankheitsmanifestation von Chlamydophila pneumoniae ist die Pneumonie. Die Inzidenz beträgt 1% und betrifft vorwiegend Menschen jenseits des 65. Lebensjahres [132, 133]. Oft ist die
Pneumonie von Infektionen im Bereich der oberen Luftwege begleitet (Pharyngitis, Laryngitis, Sinusitis). Geringe Krankheitsausprägung zu Beginn, extrapulmonale Manifestationen (siehe Tab. 11) und
eine normale Leukozytenzahl sprechen für eine atypische Pneumonie und somit auch für eine Pneumonie durch Chlamydophila pneumoniae.
Neben der Pneumonie führt Chlamydophila pneumoniae zu extrapulmonalen Manifestationen [134] (vgl. Tabelle 4.11), die im Hinblick auf die Lyme-Borreliose bzw. Lyme-Neuroborreliose
differentialdiagnostisch von Bedeutung sind.
Der chronische Verlauf bei Chlamydophila pneumoniae-Infektion ist durch Studien belegt [234-240]. Auch bei der Alzheimer-Krankheit wurde eine Beziehung zu CP beschrieben [241], ein Befund, der
auch im Hinblick auf die chronische LNB von Bedeutung ist, bei der gleiche Zusammenhänge nachgewiesen sind [295-298].
Die extrapulmonalen Manifestationen erstrecken sich oft über einen längeren Zeitraum, d.h. über Monate und Jahre. Dies gilt für die sogenannte reaktive Arthritis, deren Abgrenzung gegenüber Arthritiden bei der Lyme-Borreliose mitunter schwierig ist. Zu beachten ist auch das Guillain-Barré-Syndrom, das sich über Monate erstrecken kann und in gleicher Weise bei der Lyme-Borreliose auftritt. Ähnlich ist auch der Zusammenhang mit einer Myocarditis, während die Meningoencephalitis in der Akutphase, also praktisch gleichzeitig mit der Pneumonie, vorkommt.
Die Labordiagnostik bei Chlamydophila pneumoniae umfasst die Serologie, den Lymphozytentransformationstest (LTT) und den Erregernachweis mittels PCR (Tab. 4.12).
Die Serologie ist in ihrer Aussagekraft sehr begrenzt. Es besteht eine erhebliche Diskrepanz zwischen serologischem Befund einerseits und Kultur bzw. Erregernachweis mittels PCR andererseits
[135, 136].
Eine einmalige Testung auf IgG hat nur eine sehr geringe Sensitivität [137], dagegen ist bei deutlichem Anstieg des IgG zwischen Akutphase und weiterem Krankheitsverlauf die Sensitivität recht
gut.
Die diagnostische Wertigkeit LTT Chlamydophila pneumoniae ist durch Literatur bisher nicht validiert.
Der chronische Krankheitsverlauf stellt offensichtlich eine chronisch persistierende Infektion dar. Mittels PCR konnte sowohl in der Synovia als auch im Liquor Chlamydophila pneumoniae
nachgewiesen werden [234, 235, 236, 239, 240].
Die antibiotische Behandlung von Chlamydophila pneumoniae ist in Tabelle 13 wiedergegeben. Mittel der Wahl ist Doxycyclin, gut wirksam sind auch Makrolide, insbesondere Azithromycin, Chinolone
haben eine geringe Wirkung [138]. Allerdings hat sich Gemifloxacin als sehr wirksam erwiesen [242].
Eine synchron kombinierte antibiotische Behandlung, z.B. Azithromycin + Rifampicin oder Doxycyclin + Rifampicin sowie Kombination mit Ofloxacin wirken günstiger als eine antibiotische Monotherapie [234, 376, 377].
Die antibiotische Behandlung von Chlamydophila pneumoniae ist in Tabelle 13 wiedergegeben. Mittel der Wahl ist Doxycyclin, gut wirksam sind auch Makrolide, insbesondere Azithromycin, Chinolone
haben eine geringe Wirkung [138]. Allerdings hat sich Gemifloxacin als sehr wirksam erwiesen [242].
Eine synchron kombinierte antibiotische Behandlung, z.B. Azithromycin + Rifampicin oder Doxycyclin + Rifampicin sowie Kombination mit Ofloxacin wirken günstiger als eine antibiotische
Monotherapie [234, 376, 377].
Chlamydia trachomatis
Die mikrobiologische Besonderheit von Chlamydien wurde im Kapitel „Chlamydia pneumoniae“ dargestellt. Im Hinblick auf die antibiotische Behandlung ist entscheidend, dass Chlamydien in infektiöser
Form sowohl intra- als auch extrazellulär vorliegen.
Chlamydia trachomatis wird sexuell übertragen und führt zu einer urogenitalen Infektion. Der differentialdiagnostische Bezug zur Lyme-Borreliose ergibt sich im Wesentlichen aufgrund von
Arthritiden, die bei beiden Erkrankungen durch eine chronisch persistierende Infektion hervorgerufen wird. Bei Chlamydia trachomatis wird die Gelenkentzündung der sogenannten reaktiven Arthritis
zugeordnet, obwohl in Studien der Erregernachweis in der Synovia erbracht wurde [243, 244].
Die Arthritis tritt bei 1% einer Chlamydia trachomatis-induzierten Urethritis auf. Bei 0,3% besteht die Reiter’sche Trias (Arthritis, Uveitis, Urethritis).
Labordiagnostisch (vgl. Tab. 4.14) lässt sich die Krankheit bei bestehender urogenitaler Infektion leicht nachweisen. Zur Verfügung stehen NAATs (nucleic acid amplification techniques) im
urethralen Abstrich oder im Urin; selbst bei asymptomatischen Patienten ist diese Untersuchung zuverlässig [140-142]. Auch PCR hat eine hohe Sensitivität und Spezifität [143].
Die diagnostische Wertigkeit der Serologie und des LTT ist nicht validiert. Ungeklärt ist ferner, ob eine chronische Infektion mit Chlamydia trachomatis (wie die LB) mit Seronegativität
einhergehen kann. Seropositivität kann zwar die stattgehabte Infektion beweisen, lässt jedoch aus grundsätzlichen Erwägungen keine Aussage im Hinblick auf eine Erkrankung infolge persistierender
Infektion mit Chlamydia trachomatis zu. Theoretisch spricht ein persistierender oder reproduzierbarer pathologischer Lymphozytentransformationstest für eine anhaltende Infektion;
wissenschaftliche Daten für die diagnostische Wertigkeit liegen jedoch bisher nicht vor.
Die wesentlichen Daten zu Infektionsweg, Symptomatik und Behandlung sind in Tabelle 4.15 zusammengefasst.
Yersinia enterocolitica-Infektion (Yersiniose)
Bei der Differentialdiagnose der Lyme-Borreliose und im Hinblick auf Coinfektion beruht die Bedeutung der Yersiniose im Wesentlichen auf der Krankheitsmanifestation einer sogenannten reaktiven
Arthritis. Wie bei den Chlamydien-Infektionen und wahrscheinlich auch bei der Bartonellose handelt es sich bei der Arthritis jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit um die Folge einer chronisch
persistierenden Infektion [163, 164]. Da die sogenannte reaktive Arthritis bei Yersiniose gelegentlich auch im Rahmen der Reiter’schen Trias, also in Verbindung mit Urethritis und Uveitis
auftritt, sind Autoimmunvorgänge bei der Pathophysiologie zu diskutieren. Für einen solchen Zusammenhang spricht auch die bei Yersiniose häufig auftretende Thyreoiditis, die wie bei der LB
höchstwahrscheinlich Ausdruck eines Autoimmungeschehens ist.
Für die Erkennung der chronischen Yersiniose leistet die anamnestische Recherche nach der Frühphase der Yersiniose einen wesentlichen Beitrag. Die Frühphase der Yersiniose ist im Wesentlichen
durch zwei Krankheitsmanifestationen geprägt:
Infektionsdaten und Symptomatik der Yersiniose sind in Tabelle 4.16 zusammengestellt.
Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Yersinia enterocolitica als pathogen erkannt. Die eigentliche Bedeutung des Erregers, insbesondere unter epidemiologischem Aspekt, wurde jedoch erst 1995
beschrieben [146].
Die akute Erkrankung infolge Y. enterocolitica ist meldepflichtig (nach deutschem Recht). Der Erreger dringt in die Darmwand und die mesenterialen Lymphknoten ein. Oberflächenproteine und
Plasmid-gebundene Virulenzfaktoren unterdrücken das
Immunsystem des Wirtsorganismus [147-150].
Primär führt die Krankheit zur Gastroenteritis, Pseudoappendizitis und mesenteriale Lymphadenitits.
Entgegen anderen bakteriellen Gastroenteritiden entwickelt sich die Yersinia enterocolitica-Gastroenteritis allmählich und wird oft erst nach einer Woche belastend bzw. erkennbar [151-153]. Nicht
selten ist die Infektion mit einer Pharyngitis assoziiert, da sich die Erreger im lymphatischen Gewebe der Tonsillen und der Rachenwand aufhalten, wo sie auch durch Abstrich nachweisbar sind. Das
gleichzeitige Auftreten einer Gastroenteritis mit Pharyngitis ist für eine Yersiniose typisch [154].
Die mittlere Krankheitsdauer beträgt etwa zwei bis drei Wochen, jedoch sind deutlich längere Krankheitsverläufe beschrieben. Die akute Erkrankung kann mit zahlreichen gastrointestinalen
Komplikationen einhergehen, im Wesentlichen infolge einer schweren bakteriellen Entzündung der Darmwand [155-157]. Auch kann die Krankheit zahlreiche nicht gastrointestinale Organe befallen [155,
156, 158-161].
Die Patienten bleiben oft über Monate Ausscheider, selbst wenn die Gastroenteritis längst abgeklungen ist [152].
Die Yersiniose kann zur sogenannten reaktiven Arthritis führen und ist somit eine wichtige Infektionskrankheit bei der Differentialdiagnose der Lyme-Borreliose. Da die Krankheit auch sporadisch
auftreten kann [152] und nicht selten verkannt wird, kommt der anamnestischen Recherche nach Yersiniose-typischen Krankheitsmanifestationen und -daten, insbesondere der Frühphase, erhebliche
Bedeutung zu.
Noch schwieriger wird die Unterscheidung zwischen LB und Yersiniose durch die Tatsache, dass beide Infektionen zu einer Multiorganerkrankung führen können. Bezüglich der einzelnen
Krankheitsmanifestationen sei auf Tabelle 16 verwiesen.
Besondere Bedeutung für die Darstellung der chronischen Yersiniose als Multiorganerkrankung hat die Studie von Saebo und Lassen [246], die an einer retrospektiven Studie an 458 Patienten
zahlreiche Krankheitsmanifestationen feststellten: Chronisch persistierende Arthralgien, ankylosierende Spondylitis, rheumatoide Arthritis, Iridozyklitis, chronische abdominelle Schmerzen,
chronische Diarrhöen, Colitis ulcerosa, Erkrankungen des Nervensystems, Nephritis, Schilddrüsenerkrankungen, insulinbedürftiger Diabetes mellitus, chronische Hepatitis, (Multiorganerkrankung) und
erhebliche Verkürzung der Gesamt-Lebenserwartung. Zahlreiche der einzelnen Zusammenhänge wurden in weiteren Publikationen von den Autoren dargestellt [252-256, 257].
Studien, die eine mögliche Beziehung zwischen Yersinien und entzündlichen Darmerkrankungen nahelegen [257], schließen den pathophysiologischen Kreis zwischen Yersinien, entzündlichen
Darmerkrankungen und enteropathischen Arthritiden.
Dennoch sei darauf hingewiesen, dass die Beziehung zwischen Yersinien-Infektion und den genannten zahlreichen Krankheitsmanifestationen (abgesehen von Arthritis) wissenschaftlich unzureichend
analysiert ist, möglicherweise aufgrund der Tatsache, dass die Yersiniose in ihrer Krankheitsbedeutung erst jüngst erkannt wurde.
Die sogenannte reaktive Arthritis betrifft im Wesentlichen die Hüft-, Knie- und oberen Sprunggelenke sowie die Sacroiliacalgelenke; gelegentlich bestehen zudem chronische Schmerzen im
lumbosacralen Bereich [165]. Die Arthritis kann über Monate anhalten und in Schüben und beschwerdeärmeren Intervallen verlaufen. – Die sogenannte reaktive Arthritis bei Yersiniose kann für sich
alleine, gelegentlich aber auch in Verbindung mit Konjunktivitis und Urethritis auftreten (vormals sogenanntes Reiter-Syndrom [162]).
Bei der Differentialdiagnose zur Lyme-Borreliose ist von besonderem Interesse, dass in Studien bei der sogenannten reaktiven Arthritis der Erreger (Y. enterocolitica) im Gelenkerguss und im Blut
nachweisbar war [163, 164].
Mitunter dauern die Arthritiden über viele Jahre. Zudem besteht eine Relation zwischen Yersiniose und Thyreoiditis. All diese Fakten (chronische Arthritiden, Multiorganerkrankung,
Krankheitsverlauf über Jahre, Korrelation bezüglich Thyreoiditis) sind in gleicher Weise bei der Lyme-Borreliose zu beobachten, so dass die Differentialdiagnose mitunter äußerst schwierig ist.
Die Labordiagnostik bei Yersinia enterocolitica-Infektion ist in Tabelle 4.17 dargestellt.
Wie bei der Lyme-Borreliose besteht oft Seropositivität bei nicht erkrankten Personen [167]. Erkenntnisse über eine mögliche Seronegativität bei chronischer Yersiniose liegen nicht vor.
Im Krankheitsverlauf können die serologischen Befunde mit der Krankheitsausprägung korrelieren [165].
Keineswegs selten ist ein hoch signifikant pathologischer LTT Yersinien bei Patienten, die primär eine Beschwerdesym
ptomatik vereinbar mit einer chronischen Lyme-Borreliose aufweisen. In Entsprechung zur chronischen Lyme-Borreliose könnte der positive LTT Yersinien, insbesondere bei Reproduzierbarkeit, Indiz
einer chronisch persistierenden Infektion sein.
Die bei der Differentialdiagnose chronische Lyme-Borreliose/chronische Yersiniose zu beachtenden Schwerpunkte sind in Tabelle 4.16 dargestellt:
Der Erregernachweis ist insbesondere im Gelenkerguss, im lymphatischen Gewebe des Darmes sowie im Frühstadium auch durch Rachenabstrich möglich. Daten über die Sensitivität des Erregernachweises
mittels PCR oder Kultur liegen in der Literatur nicht vor.
Bei Yersinia-PCR-positiven Patienten war die Serologie in 70% der Fälle positiv, LTT in 50% [248].
Bei initialem Nachweis von Yersinia enterocolitica mittels Kultur zeigten sich bei den Patienten im chronischen Verlauf IgA und IgG Banden im Immunoblot. Der anhaltende Nachweis von
IgA-Antikörpern war offensichtlich Ausdruck einer persistierenden Infektion; die Erreger wurden in diesem Zusammenhang in der Darmschleimhaut und im lymphatischen Gewebe nachgewiesen. Es handelte
sich also um eine eindeutig chronisch persistierende Yersinia enterocolitica-Infektion [258]. Die antibiotische Behandlung der Yersinia enterocolitica-Infektion wird in Tabelle 4.18 dargestellt.
Die Yersiniose klingt oft innerhalb von wenigen Wochen ab, so dass eine antibiotische Behandlung nicht generell empfohlen wird. Dies gilt auch im Hinblick auf Ausscheider. Nur bei schweren
Krankheitsverläufen, insbesondere mit Sepsis, kommen Antibiotika zum Einsatz.
Y. enterocolitica produziert Betalactamasen mit der Folge, dass Penicillin, Ampicillin und die Cephalosporine der ersten Generation unwirksam sind [201, 205]. Auch besteht oft eine Resistenz
gegenüber Makroliden.
Umstritten ist, ob eine frühzeitige antibiotische Behandlung (also bei Gastroenteritis) die reaktive Arthritis verhindert [203].
Die Differentialdiagnose chronische Yersiniose/chronische Lyme-Borreliose ist also infolge der zahlreichen Überschneidungen bei der Symptomatik äußerst schwierig. Bei Vorliegen beider Krankheiten
in der chronischen Verlaufsform ist eine Differenzierung oft überhaupt nicht möglich.
Mycoplasma pneumoniae-Infektion
Die differentialdiagnostische Abgrenzung zwischen LB und Mycoplasma pneumoniae-Infektion bzw. die Erkennung der Coinfektion durch Mycoplasma pneumoniae ist problematisch, da beide Krankheiten
zahlreiche identische Krankheitsmanifestationen aufweisen; dies betrifft bei Mycoplasma pneumoniae-Infektion die extrapulmonalen Manifestationen: Erkrankungen des ZNS, des muskulo-skelettalen
Systems, des Herzens, der Niere und des Auges.
Die Infektionsdaten und die Symptomatik enthält die Tabelle 4.19. Im Vordergrund steht die atypische Pneumonie oft verbunden mit Symptomen im Bereich der oberen Luftwege. Daten über die
Häufigkeit extrapulmonaler Manifestationen liegen in der Literatur nicht vor.
Mycoplasma pneumoniae gilt als wichtigster Erreger der atypischen Pneumonie. Jedoch tritt eine Pneumonie nur in etwa 3-10% der Fälle bei Mycoplasma pneumoniae-Infektion auf [204]. Meistens führt
die Infektion zu einer banalen Bronchitis [204], Pharyngitis, Rhinitis, Ohrenschmerzen und Sinusitis [205].
Alle in Tabelle 4.17 aufgeführten extrapulmonalen Krankheitsmanifestationen sind selten [206-214]. Bei Arthritis wurde Mycoplasma pneumoniae in der Gelenkflüssigkeit mittels PCR nachgewiesen
[211], also ein Hinweis auf einen direkten Zusammenhang mit der Infektion.
Der Erregernachweis im Gelenkerguss und die zahlreichen extrapulmonalen Krankheitsmanifestationen belegen den chronischen Krankheitsverlauf bei Mycoplasma pneumoniae. Präzise Daten über den
chronischen Krankheitsverlauf liegen in der Literatur jedoch nicht vor. Unklar ist, ob eine chronische Infektion, insbesondere mit extrapulmonalen Krankheitsmanifestationen bei Seronegativität
bestehen kann. Seropositivität belegt die Infektion, kann jedoch aus grundsätzlichen Erwägungen als diagnostische Basis für eine chronisch persistierende Mycoplasma pneumoniae-Infektion nicht
dienen.
Vergleichsweise umfangreich ist die Literatur über den Zusammenhang zwischen Mycoplasma pneumoniae und neurologischen Krankheitsmanifestationen.
Die Publikationen betreffen vorwiegend neurologische Komplikationen bei Pneumonie, also die Frühphase der Mycoplasma pneumoniae-Infektion.
Die neurologischen Manifestationen betreffen sowohl die Frühphase, also den Zeitpunkt der bestehenden Pneumonie durch Mycoplasma pneumoniae, als auch spätere Krankheitsstadien.
Beschrieben sind Veränderungen im Bereich des Hirnstamms [259, 267], Myelitis [260, 263, 265, 269, 271, 274, 277, 279, 281, 284, 286], Guillain-Barré-Syndrom [261, 262, 268, 272, 282, 283], Encephalitis [270, 273, 275, 276, 278, 280, 281, 285, 286], Meningitis [270], Polyradiculopathie [263], periphere Facialisparese [264, 266], Opticusneuritis und haemorrhagische Leukoencephalitis [268], periphere Polyneuropathie [270], Erkrankungen der Hirnnerven [282], Radiculitis [282].
Die Häufigkeit neurologischer Symptome im Zusammenhang mit Mycoplasma pneumoniae schwankt zwischen 1‰ [287], 1% [288] und 5% [289]. Wiederholt wurde der Erreger mittels Kultur oder PCR
nachgewiesen [270, 274, 283].
Der Erregernachweis in Serum und Liquor wurde als Beweis gesehen, dass die neurologischen Manifestationen infektiös und nicht immunologisch vermittelt werden [283]. Jedoch ist der Zusammenhang
zwischen Mp und neurologischen Manifestationen nicht unwidersprochen [290, 287].
Andere in der Literatur erwähnten extrapulmonale Manifestationen betreffen Hepatitis, haemolytische Anämie, Schönlein-Henoch-Purpura, Erkrankungen des Muskelskelettsystems, der Haut und anderer
Organe [265], Makulaödem [270], bilaterale Uveitis [291], Nephritis [292], Arthritis, Hepatitis, Pericarditis [292].
Die Labordiagnostik bei Mycoplasma pneumoniae ist in Tabelle 4.20 dargestellt. Die Serologie wird, wie bei den meisten Infektionskrankheiten, erst nach Wochen positiv. Sie hat daher im
Wesentlichen Bedeutung für den chronischen Krankheitsverlauf. Seropositivität belegt die Infektion, jedoch nicht die Erkrankung. Ob eine chronische Infektion auch bei Seronegativität vorliegen
kann, ist wissenschaftlich nicht geklärt.
Der LTT bei Mycoplasma pneumoniae ist durch Studien nicht validiert.
Der Erregernachweis, z.B. im Gelenkerguss ist möglich, jedoch ist der Erregernachweis schwierig, hat eine niedrige Sensitivität und gehört daher nicht zur Routinediagnostik.
Die antibiotische Behandlung von Mycoplasma pneumoniae ist in Tabelle 4.21 dargestellt. Mittel der Wahl ist Azithromycin [293] und Levofloxacin [294].
Nachrangige Coinfektionen der Lyme-Borreliose
Im Folgenden werden weitere Infektionen dargestellt, die im internationalen Schrifttum als Coinfektionen der Lyme-Borreliose Erwähnung finden, allen voran HGA (human granulocytic anaplasmosis)
und Babesiose. Diese beiden Coinfektionen haben in den USA Bedeutung, nicht jedoch im europäischen Raum.
Wegen Symptomenverwandschaft mit LB werden der Vollständigkeit halber Mittelmeerfieber, Tularämie, Q-Fieber, Parvovirus B19-Infektion und Campylobacter jejuni-Infektion einbezogen.
Humane granulozytäre Anaplasmose (HGA)
Die humane granulozytäre Anaplasmose (Synonym: Humane granulozytäre Ehrlichiose (HGE)) wird von Zecken übertragen. Reservoir sind Rotwild und Waldmäuse. Der Erreger von HGA kann gleichzeitig mit
Borrelia burgdorferi übertragen werden mit der Folge einer Zweifachinfektion. HGA weist zahlreiche Symptome auf, die in gleicher Form auch bei LB vorkommen. Hinweis auf HGA sind pathologische
Laborbefunde in Form von Leukopenie, Thrombozytopenie und erhöhten Transaminasen.
Der Aufenthalt des Erregers ist intrazellulär. Die Übertragung auf Mäuse wurde nachgewiesen [193].
Im Zusammenhang mit der Ehrlichiose bzw. Anaplasmose sind im Wesentlichen zwei Erreger zu beachten:
E. chaffeensis befällt Monozyten, A. phagocytophilum die Granulozyten.
E. chaffeensis ist der Erreger der humanen monozytären Ehrlichiose (HME), einer sehr seltenen Infektionskrankheit, die im Wesentlichen in den USA und einigen Bereichen Südamerikas vorkommt, kaum
jedoch in anderen Regionen der Erde.
E. phagocytophila ist der Erreger der humanen granulozytären Anaplasmose, eine ebenfalls extrem seltene Krankheit in den USA mit einer jährlichen Inzidenz von ca. 10/1 Mio Einwohnern [3].
Infektionsdaten, Symptomatik und Behandlung sind in Tabelle 4.22 zusammengestellt.
Die Krankheitsbedeutung der humanen monozytären Ehrlichiose (HME) und der humanen granulozytären Anaplasmose (HGA) wurde in 1986 bzw. 1994 entdeckt [35, 36]. Beide Infektionskrankheiten ähneln
sich klinisch und hinsichtlich der Laborbefunde.
Die Erreger entwickeln sich in Monozyten (HME) oder in granulozytären Leukozyten (HGA). Der Aufenthalt ist also ausschließlich intrazellulär.
Die Übertragung der Erreger erfolgt durch Zecken, in den Vereinigten Staaten vorwiegend durch Ixodes scapularis, in Europa durch I. ricinus.
Wesentliche Reservoire: Hirsche (HME), Waldmäuse (HGA) [39, 40]. Auch andere Übertragungsmodi werden diskutiert:
Mutter-Kind-Übertragung, Bluttransfusionen, direkter Kontakt mit infizierten Tieren, Übertragung von Mensch zu Mensch [37, 38, 41, 42, 43, 44].
Wissenschaftliche Berichte über Erkrankungen infolge HGA in Europa stellen Raritäten dar [4]. Andererseits ergaben Studien in Norditalien, dass 24% der Zecken (I. ricinus) von E. chaffeensis oder
A. phagocytophilum befallen sind. Ähnliche Zahlen wurden in den Niederlanden und in Polen nachgewiesen, während sie in Deutschland bei etwa 2% lagen [5-10]. Höhere Zahlen ergaben sich für die
Ostküste der Vereinigten Staaten, etwa in der Größenordnung von 30-40% [11, 12].
Bei Patienten mit Lyme-Borreliose liegt die Seroprävalenz für A. phagocytophilum in Europa bei ca. 10% [13-15]. Ähnliche Zahlen ergeben sich für die USA [16].
Andere Studien zeigen, dass eine positive HGA Serologie nur bei 3-7% der LB-Patienten vorliegt und zwar nur im Stadium I und II [369].
Da die Seroprävalenz lediglich etwas über die Häufigkeit der Infektion, nicht aber über die Erkrankung (HGA) aussagt, lassen sich zur Häufigkeit der Erkrankung (Prävalenz der HGA) keine
zuverlässigen Aussagen treffen. Nach Wahrscheinlichkeit dürfte bei Patienten mit Lyme-Borreliose eine gleichzeitige Erkrankung mit HGA allenfalls im niedrigen Prozentbereich liegen.
Literatur über chronische Verläufe der HGA liegt nicht vor. Allerdings werden subakute und chronische Verläufe diskutiert [17, 19].
Die Inkubationszeit, also die Zeit zwischen Zeckenstich und Ausbruch der akuten Erkrankung, beträgt im Durchschnitt etwa eine Woche [18].
Die Labordiagnostik bei HGA ist in Tabelle 4.23 dargestellt. Wie schon angedeutet, ist HGA durch Leukopenie, Thrombozytopenie und Erhöhung der Transaminasen gekennzeichnet. Derartige Veränderungen kommen häufig vor und sind, insbesondere bei Bestehen eines fieberhaften Krankheitsbildes, mit den genannten Symptomen (Tab. 4.22) Hinweise auf eine HGA. Der Nachweis der Infektion geschieht mittels Serologie. Andere Nachweismethoden, insbesondere der direkte Erregernachweis, gelingen kaum und gehören daher nicht zur Routinediagnostik.
Die Feststellung einer HGA (auch als Coinfektion) allein auf der Basis der serologischen Befunde ist fragwürdig, da Seropositivität nicht das Vorliegen der Krankheit (HGA) beweist, sondern
lediglich die stattgehabte Infektion. Auch bei der HGA stützt sich die Diagnose im Wesentlichen auf die Gesamtheit von Anamnese, körperlichen Untersuchungsbefund, medizinisch-technische Befunde
und Differentialdiagnose.
Therapeutisch wird Doxycyclin empfohlen, auch bei Kindern. Präzise Literatur über eine adäquate Behandlung liegt nicht vor.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die HGA als Krankheit für sich und als sogenannte Coinfektion bei Lyme-Borreliose in Europa keine wesentliche Bedeutung hat. Allerdings ist die
Literatur zu dieser Problematik derzeit völlig unzureichend.
Babesiose
Erreger: Babesia microti, Babesia divergens [57, 58]
Überträger: Zecken (I. ricinus (Europa), I. scapularis (USA)) [57, 58]
Sonstige Übertragungswege: Bluttransfusionen [59], perinatal [60, 61]
Reservoir: Rindvieh (sonstige Vertebraten)
Labordiagnostik:
Babesien stammen aus der Familie der Protozoen und führen nach Invasion in Erythrozyten zu deren Lyse.
Zwei Spezies von Babesien stehen pathogenetisch im Vordergrund:
B. microti ist der prädominante Erreger in den USA, B. divergens in Europa [vgl. 196]. Die Übertragung des Erregers erfolgt im Wesentlichen durch Zecken. B. microti wurde als Coinfektion bei LB
gefunden [197, 198, 199].
Seit 1956 wurde insgesamt über nur 30 Fälle in Europa berichtet. Die meisten Patienten waren splenektomiert.
Die Prävalenz von B. microti und B. divergens bei Zecken liegt in Europa bei 10-20% [21-23], in den USA zum Teil höher [24].
Die Seroprävalenz bezüglich B. microti und B. divergens beträgt bei europäischen Patienten mit Lyme-Borreliose 0% [25, 26] und steht damit in hohem Kontrast zu der Häufigkeit der Erreger in
Zecken.
Anders ist die Situation in den USA, dort liegt die Seroprävalenz bei etwa 10-20% [27-30]. Entsprechend häufiger wurde in den USA über Erkrankungen berichtet, zum Teil auch mit schweren
Krankheitsverläufen [31-34]. Dieser Unterschied lässt sich offensichtlich nur dadurch erklären, dass B. microti, der in den USA vorherrschende Erreger, eine sehr viel höhere Virulenz besitzt als
B. divergens.
In Europa spielt also die Babesiose keine wesentliche Rolle, es sei denn, dass der Patient sich im Ausland z.B. in den USA infizierte.
Das Krankheitsbild imponiert als fieberhafter, grippeähnlicher Krankheitszustand mit Schüttelfrost, Arthralgien, Myalgien und gastrointestinalen Symptomen. Schwere Krankheitsverläufe treten nur
bei nicht immunkompetenten Patienten auf.
Aufgrund eigener Erfahrungen kann eine chronisch verlaufende Babesiose nach Infektion im europäischen Raum nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden. Die Symptomatik ist durch folgende
Beschwerden gekennzeichnet:
Die Behandlung erfolgt mit Atovaquon, Azithromycin, Clindamycin, ggf. in Verbindung mit Chinin.
Bei Wertung aller Daten kann allerdings festgestellt werden, dass die Babesiose durch den in Europa dominierenden Erreger B. divergens keine wesentliche Gesundheitsgefährdung darstellt und somit
als Coinfektion bei der Lyme-Borreliose kaum Bedeutung hat.
Die Literatur zur Babesiose, insbesondere bezüglich chronischem Verlauf und als Coinfektion bei Lyme-Borreliose, ist spärlich. Einige der wichtigen Publikationen werden in der folgenden
Literaturübersicht epikritisch wiedergegeben.
Literaturübersicht Babesiose
Krause PJ et al., 1998 [359].
46 Patienten, infiziert mit Babesia, Connecticut, Patienten mit akuter Babesiose, Untersuchung mittels Blutausstrich und PCR. Unbehandelt kann die Babesiose über Monate und sogar Jahre
persisieren. Clindamycin und Chinin reduzieren die Parasitämie, jedoch kann die Infektion persistieren. Bessere Behandlungsmethoden werden benötigt.
Hatcher JC et al., 2001 [360].
34 Patienten, hospitalisiert wegen schwerer Babesieninfektion. – Symptomatik: Allgemeines Krankheitsgefühl, Arthralgien, Myalgien, Dyspnoe, Thrombozytopenie, abnorme Leberfunktion. Behandlung
erfolgte mit Kombinationstherapie, verwendet wurden Clindamycin, Chinin, Atovaquon oder Azithromycin. Trotz Behandlung persistierte die Parasitämie 8,5 Tage (3-21 Tage).
Hunfeld KP et al., 2002 [361].
467 Seren von Patienten mit Lyme-Borreliose (Erythema migrans), Bb-seropositiven beschwerdefreien Patienten, Personen mit anamnestisch angegebenem Zeckenstich und gesunde Kontrollpersonen.
Personen, die Kontakt mit Zecken hatten, wiesen eine signifikant höhere Seroprävalenz für Babesia auf. Alle Kollektive zusammengenommen zeigten eine Seroprävalenz für B. microtii von 5,4%, für B.
divergens 3,6%. Die Ergebnisse zeigen, dass Infektion mit Babesia eine Coinfektion der Lyme-Borreliose sein kann und dass Babesien-Infektionen in der BRD häufiger vorkommen als bisher
eingeschätzt.
Oleson CV et al., 2003 [362].
74-jähriger Patient mit Querschnittsmyeliltis infolge Lyme-Borreliose und Babesiose. Babesien nachgewiesen im Blutausstrich und mittels PCR. LB-Serologie positiv. Zunächst Tetraplegie, nach 2
Monaten (nurmehr) Paraplegie.
Hildebrandt A et al., 2007 [363].
42-jährige Patientin mit akuter myeloischer Leukämie. Nachweis von Babesia microti mittels PCR. Erster in Europa bestätigter Fall einer autochtonen Babesiose.
Hunfeld KP et al., 2008 [364].
Übertragung von Babesia durch Zecken. Symptomatik: Erythrozyten-Lyse, Anämie, Hyperbilirubinämie, Hämoglobinurie und mögliches Organversagen.
Ohmori S et al., 2011 [365].
PCR Methode zum Nachweis von Babesia, auch Unterscheidung von verschiedenen Subspezies möglich.
Krause PJ, 2003 [366].
Symptomatik: Anämie, Thrombozytopenie. Diagnose durch Blutausstrich. Nur 1% der Erythrozyten sind befallen. PCR hat vergleichbare Sensitivität und Spezifität. Ergänzend ist serologische
Untersuchung sinnvoll. Behandlung: Clindamycin (600 mg/6 Stunden), Chinin (650 mg/8 Stunden), Azithromycin (ca. 250 mg/Tag), Atovaquon (750 mg/12 Stunden). Azithromycin und Atovaquon haben
geringere Nebenwirkungen. Eine Austauschtransfusion kann lebensrettend sein.
Häselbarth K et al., 2007 [367].
Erster Fall einer Babesiose bei Menschen in BRD. 63-jähriger splenektomierter Patient mit rezidivierendem nodulären Hodgkin-Lymphom. Nachweis von Babesia durch Blutausstrich und PCR. Behandlung
Chinin, Clindamycin nicht erfolgreich. Bei Rückfall Nachbehandlung als Langzeitbehandlung mit Atovaquon.
Wormser GP et al., 2010 [368].
3 Immun-defiziente Patienten mit Babesiose. Behandlung mit Azithromycin, Atovaquon. Während der Behandlung Entwicklung einer Resistenz.
Hunfeld KP et al., 1998 [369].
Serologische Untersuchung bezüglich HGE- und Babesia microti Serologie. Bei LB Serologie Babesia microti positiv in Stadium I und II bei 13-18%. HGE Serologie bei 3-7%. In der Spätphase Serologie
für HGE und Babesia microti negativ.
Rickettsiosen
Zunächst sei darauf hingewiesen, dass die Erreger der Bartonellose zur Familie der Rickettsien gehören.
In den USA ist die wichtigste Rickettsiose das Rocky Mountain Spotted Fever (RMSF), eine potentiell tödliche, meist jedoch heilbare Krankheit. RMSF ist die häufigste Rickettsiose in den USA. Das
Krankheitsbild ist im Wesentlichen charakterisiert durch hohes Fieber, ausgeprägtes Krankheitsgefühl, abdominelle Beschwerden und ein generalisiertes Exanthem. Gelegentlich ist die Krankheit auch
verbunden mit Manifestationen im ZNS (focale neurologische Defizite, cerebrale Anfälle).
Weltweit gibt es zahlreiche verschiedene Rickettsiosen, die durch verschiedene Rickettsien-Subspezies hervorgerufen werden. Die Übertragung erfolgt in der Regel durch Zecken, jedoch auch durch
Milben, Flöhe und Läuse. Typisch sind das generalisierte Exanthem, das sogenannte lokalisierte Eschar (schwarzer Fleck) sowie Fieber, Kopfschmerzen und starke Muskelschmerzen.
Die wichtigste Rickettsiose in Europa ist das Mittelmeerfieber (mediterranean spotted fever); Krankheitserreger: R. conorii. Die Krankheit betrifft im Wesentlichen Südeuropa.
Die Behandlung erfolgt mit Doxycyclin.
Chronische Verläufe sind in der Literatur nicht beschrieben. Differentialdiagnostische Probleme gegenüber der Lyme-Borreliose im Frühstadium dürften sich bei Beachtung der endemischen Umstände
und bei Vorliegen des Exanthems kaum ergeben.
Im Übrigen wird auf die Fachliteratur verwiesen.
Tularämie
Die Tularämie wird durch den Erreger Francisella tularensis hervorgerufen. Übertragung erfolgt durch Zecken, Bremsen und Mücken. Das Krankheitsreservoir besteht aus zahlreichen
Wirbeltieren.
Hauptkrankheitsmanifestationen: Fieber, Kopfschmerz, Krankheitsgefühl, Lymphknotenschwellung, Pharyngitis, Eschar (schwarzer Fleck), Erbrechen, Pneumonie, erythematöse papulo-ulcerative Läsion an
der Bissstelle mit schwarzem Punkt (zentrales Eschar, tache noire).
Behandlung: Tetracycline, Ciprofloxacin.
Betalactame sind unwirksam.
Rückfälle können auftreten, anhaltende chronische Verläufe sind in der Literatur nicht beschrieben. Bei der Differentialdiagnose könnten sich gegenüber der Lyme-Borreliose im Frühstadium bei
fehlendem Erythema migrans gelegentlich Probleme ergeben.
Im Übrigen wird auf die Fachliteratur verwiesen.
Q Fieber
Krankheitserreger des Q Fieber ist Coxiella burnetii. Im Gegensatz zur Rickettsiose (Mittelmeerfieber) und der Tularämie kann das Q Fieber chronisch verlaufen. Bei der Symptomatik ergeben sich
differentialdiagnostische Probleme bei der Abgrenzung zur Lyme-Borreliose im Spätstadium (Stadium III).
Das Q Fieber tritt meistens endemisch auf (Übertragung von Mensch zu Mensch). Primär erfolgt die Übertragung bei Kontakt mit infiziertem Vieh und zwar durch Inhalation oder orale Übertragung des
Erregers. Zwar kann sich C. burnetii auch in anderen Reservoiren aufhalten, u.a. in Zecken, für die Diagnostik entscheidend sind jedoch zwei Punkte:
Der entscheidende diagnostische Hinweis auf ein mögliches Q Fieber ist also der Kontakt mit an Q-Fieber erkrankten Personen, die berufliche Tätigkeit oder der Kontakt mit Landwirtschaft und Vieh.
Bei sporadischen Fällen kann der häufige Genuss roher Milch oder der Kontakt mit krankem Rindvieh (Abort) die Infektionsgefährdung nahelegen.
Wesentliche Krankheitsmanifestationen:
Der chronische Verlauf des Q Fiebers kann sich über Monate oder Jahre erstrecken. Dabei ist eine chronische Endocarditis die dominierende Krankheitsmanifestation, jedoch keineswegs obligat [344]. Ein chronischer Verlauf tritt bei etwa 1-5% der Patienten auf, die an einem akuten Q Fieber erkrankten. Neben der Endocarditis ist die Infektion von Aneurysmen und vaskulären Prothesen ein häufiges Vokommnis.
Die gesamte Symptomatik des chronischen Q Fiebers ist in Tabelle 4.24 dargestellt [315, 345, 347-350].
Schwangerschaft ist ein Risiko für die Entwicklung eines chronischen Q Fiebers. Ein unbehandeltes chronisches Q Fieber führt zu erheblicher Morbidität, die Mortalität beträgt bis zu 60%
[350].
Das chronische Q Fieber erfordert eine antibiotische Langzeitbehandlung, zunächst mit Doxycyclin + Hydroxychloroquin [350]. Die antibiotische Behandlung muss über einen Zeitraum von mindestens 18
Monaten durchgeführt werden [350].
Die Diagnose wird gestützt durch serologische Untersuchungen. Bei einem IFA IgG 1:800 oder darüber kann chronisches Q Fieber nicht ausgeschlossen werden. Zur Zeit ist die Labordiagnostik noch
nicht ausreichend standardisiert.
Der Erregernachweis mittels PCR im Gewebe (z.B. Herzklappen) hat eine Sensitivität von 100%, im Blut von 47%, im buffy coat liegt die Sensitivität etwas höher. Diagnostisch wichtig ist auch die
Untersuchung der Herzklappen mittels Echokardiographie und ggf. FTG-PET, CT, MRT.
Echokardiographisch lassen sich Klappenveränderungen bei 25% der Fälle mit chronischem Q Fieber nachweisen.
Wegdam-Blans et al. [350] haben diagnostische Leitlinien für das chronische Q Fieber entwickelt (Tab. 4.25):
Häufige Kontrolluntersuchung im Krankheitsverlauf sind erforderlich.
Bei Vermutung eines chronischen Q Fiebers:
Antibiotische Behandlung des chronischen Q Fiebers:
Beim chronischen Q Fieber wird Behandlung mit Doxycyclin + Hydroxychloroquin als Langzeitbehandlung, d.h. über 18 Monate, empfohlen [350].
Zur Vervollständigung wird im Folgenden die Darstellung der Problematik durch die CDC und die Q Fever Working Group, 2013 eingefügt.
Diagnosis and Management of Q Fever –
United States, 2013:
Recommendations from CDC and the Q Fever Working Group.
Einleitung:
Coxiella burnetii, intrazellulär, vor allem in mononukleären Phagozyten aber auch in anderen Körperzellen. Übertragung durch Inhalation von verseuchter Luft (Exkrete infizierter Tiere). Andere
Übertragungswege: Zecken, unpasteurisierte Milch, Milchprodukte, sexuelle Übertragung. Diagnose durch serologische Untersuchung. Behandlung: Doxycyclin.
Epidemiologische Faktoren:
Akutes Q-Fieber:
Erwachsene:
Kinder:
Schwangere:
Laborbefunde:
Chronisches Q-Fieber:
5% der Fälle mit akutem Q-Fieber entwickeln chronisches Q-Fieber. Beginn Monate, Jahre oder Jahrzehnte nach akuter Infektion oder nach asymptomatischem akutem Q-Fieber.
Endocarditis führende Problematik.
Sonstige Symptome:
Anmerkung:
Die Fälle mit Lungenembolie traten bei Patienten mit Endocarditis auf, die Fälle mit Thrombose offensichtlich bei schwer erkrankten Patienten. Thrombose und Lungenembolie kommen bei Q-Fieber
selten vor.
Post-Q-Fieber-Fatigue-Syndrom:
Bei 20% der Patienten nach akutem Q-Fieber (Literatur spärlich).
Symptome:
Dauer über ein Jahr, oft mehrere Jahre oder lebenslang.
Pathogenese unklar.
Leitlinien (Empfehlungen) bezüglich Behandlung liegen nicht vor.
Laboruntersuchungen
Akutes Q-Fieber:
Phase II AK treten zunächst auf und sind höher als Phase I AK.
Diagnose gesichert:
Vierfacher Anstieg des Phase II IgG im IFA
Verglichen werden die Werte in der Akutphase mit denen 3 bis 6 Wochen später
In der ersten Woche AK oft nicht vorhanden, so dass Entscheidung für Behandlung schwierig ist.
Serokonversion tritt nach ein bis zwei Wochen auf. 90% der Patienten sind in der dritten Krankheitswoche seropositiv. IgG Phase II über 1:128 indiziert akutes Q-Fieber.
IgM-AK von begrenztem diagnostischen Wert.
Bei Verdacht auf Q-Fieber sollte umgehend antibiotisch behandelt werden, also Behandlungsbeginn nicht abhängig machen von Laborbefunden. Mittel der Wahl: Doxycyclin.
Erregernachweis mittels PCR im Blut möglich. PCR positiv bei fast allen Patienten mit akutem Q-Fieber (Erregernachweis mittels PCR möglich, bevor AK auftreten).
Chronisches Q-Fieber
Duke Kriterien:
(Die Duke Kriterien betreffen die infektiöse Endocarditis einschließlich Q-Fieber. Für das chronische Q-Fieber gelten die folgenden Kriterien):
Diagnostisch gefordert eine der folgenden Konstellationen:
Hauptkriterien:
Nebenkriterien:
TEE gefordert
Serologie bei chronischem Q-Fieber:
Phase I IgG > 1:1.024 und möglicherweise höher als Phase II Titer
(Nach Duke-Kriterien Phase I IgG > 1:800 gefordert)
Behandlung: Chronisches Q-Fieber:
Doxycyclin 200 mg + Hydroxychloroquin 600 mg
Dauer der Behandlung abhängig vom Krankheitsverlauf.
Kombination mit Hydroxychloroquin erforderlich
(Hydroxychloroquin erhöht den pH-Wert in den Lysosomen. In vitro nachgewiesen, dass Doxycyclin und Hydroxychloroquin bakterizid auf C. burnetii wirken).
Chronisches Q-Fieber: Behandlungsdauer mindestens 18 Monate bei Herzklappenfehlern und zwei Jahre bei Klappenprothesen.
Sonstige Manifestationen eines chronischen Q-Fiebers werden antibiotisch behandelt in Abhängigkeit vom Krankheitsverlauf.
Die Abnahme von Phase I IgG und die Besserung klinischer Symptome sind Hinweis auf eine effektive Behandlung.
Beschwerdefreie Patienten nach antibiotischer Langzeitbehandlung mit persistierenden Phase I IgG Werten von > 1:1024 haben durch Fortsetzung der antibiotischen Behandlung möglicherweise keine
weiteren Vorteile.
Bei Patienten mit Herzklappenfehler und Q-Fieber serologische Kontrolle (nach Behandlung) halbjährlich für mindestens 5 Jahre, ggf. lebenslang.
Die Behandlung des chronischen Q-Fiebers ist schwierig, sie hängt im Wesentlichen von der klinischen Einschätzung ab.
Zusammenfassung Behandlung Q-Fieber:
Bei Verdacht auf akutes Q-Fieber sofortige antibiotische Behandlung, also nicht auf serologischen Befund warten
Chronisches Q-Fieber nur behandeln, wenn serologische Bestätigung vorliegt
Antibiotische Behandlung nur bei symptomatischen Patienten
Doxycyclin Mittel der Wahl
Behandlungsdauer 2 Wochen
Kinder unter 8 Jahren Behandlung mit Trimethoprim-Sulfomethoxazol, alternativ Doxycyclin für nur 5 Tage
Behandlung in der Schwangerschaft: Trimethoprim-Sulfomethoxazol während der gesamten Schwangerschaft
Serologische Verlaufskontrolle nach akutem Q-Fieber, um ein chronisches Q-Fieber rechtzeitig zu erfassen.
Humanes Parvovirus B19-Infektion
Erreger: Humanes Parvovirus B19
Übertragung: Respirationstrakt (Tröpfcheninfektion)
Übertragung in der Schwangerschaft
Bluttransfusion
Reservoir: Mensch
Die Krankheit kann chronisch verlaufen, d.h. über Monate und Jahre [171]. Ob Parvovirus B19 eine chronische Myocarditis und Kardiomyopathie bedingt, ist umstritten [172-175]. Der chronische
Verlauf ist durch Erregernachweis im Gelenkerguss, Myokard, Knochenmark und Blut belegt [169-175].
Im Hinblick auf die Lyme-Borreliose sind differentialdiagnostisch folgende Krankheitsmanifestationen von Relevanz:
Das Erythema infectiosum ist bei Kindern eine typische Hautmanifestation der Parvovirus B19-Infektion, kommt jedoch bei Erwachsenen meistens nicht vor. Arthralgien können über Monate bis Jahre
bestehen.
Im Übrigen sei auf die Fachliteratur verwiesen.
Campylobacter jejuni
Campylobacter jejuni (Cj) ist ein kleines gramnegatives Bakterium, dessen Krankheitsbedeutung in den 1980er Jahren erkannt wurde. Weltweit gehört Cj zu den häufigsten Erregern einer akuten
Diarrhöe. Infektionsquellen sind Wild und Haustiere, Tierprodukte und insbesondere Geflügel [299]. Der Erreger kann in einer kokkoiden Form jedoch auch in normaler Form über Monate bei
ungünstigen Lebensbedingungen persistieren. Er dringt in die Epithelzellen des Darmes ein und führt zu deren Zerstörung möglicherweise durch Toxine [303, 304].
Die Hauptmanifestation der Campylobacter jejuni-Infektion ist die Gastroenteritis. In der Frühphase (Gastroenteritis) kann es zu Komplikationen im Bauchbereich kommen.
Differentialdiagnostische Bedeutung hat Cj durch Komplikationen im Spätstadium: reaktive Arthritis, Guillain-Barré-Syndrom.
Eine reaktive Arthritis bei Cj-Infektion ist selten und beträgt maximal 2,6% [305-308]. Das Guillain-Barré-Syndrom hat im Zusammenhang mit Cj-Infektion eine vergleichsweise ungünstige Prognose [309]. Die Inzidenz beträgt etwa gut 1‰ [310].
Die reaktive Arthritis tritt etwa ein bis zwei Wochen nach der Gastroenteritis auf [304], das Guillain-Barré-Syndrom etwa in einem Zeitraum von zwei Monaten nach Infektionsbeginn [311].
Infektionsdaten, Symptomatik und Behandlung sind in Tabelle 4.26 zusammengestellt.
Die antibiotische Behandlung reduziert die Dauer der Gastroenteritis. Empfohlen werden im Wesentlichen Makrolide [312] und Chinolone, bei denen jedoch auch Resistenzen vorkommen können [313].
Gegenüber Trimethoprim und Betalactamen besteht Resistenz [314].
Brucellose
Der Erreger Brucella spp. wird bei Kontakt mit tierischen Flüssigkeiten, insbesondere von Haustieren sowie durch Verzehr von infizierten Milchprodukten übertragen. Übertragung von Mensch zu Mensch (B. melitensis, Inhalation) und endemisches Auftreten sind möglich.
Die Brucellose kann zunächst als akutes fieberhaftes Krankheitsbild auftreten und sich bei unzureichender Therapie oder inadäquater Immunabwehr zu einem chronischen Krankheitsbild entwickeln,
mitunter auch in Form von Rezidiven. Die wichtigsten Krankheitsmanifestationen sind in Tab. 4.26a wiedergegeben.
Das akute Krankheitsbild kann plötzlich, jedoch auch schleichend beginnen.
Diagnostisch entscheidend ist die Erkennung im Zusammenhang mit krankem Nutzvieh oder verseuchten Milchprodukten. Brucella ist häufige Ursache für Abort bei Tieren.
Die Diagnose stützt sich im Wesentlichen auf die Serologie, Erregernachweis ist durch PCR oder Kultur möglich.
Behandlung der Brucellose: Doxycyclin, Streptomycin, Rifampicin, Fluorchinolone (siehe Tab. 4.26a).
Im Übrigen sei auf die Fachliteraur verwiesen.
Reaktive Arthritis
Der Begriff „reaktive Arthritis“ bezeichnet Gelenkentzündungen, die in Beziehung zu bestimmten Infektionskrankheiten stehen. Bei gleichzeitiger Erkrankung der Urethra und der Uvea wurde früher
der Begriff „Reiter-Syndrom“ angewendet: Arthritis, Urethritis und Uveitis wurden als Reiter’sche Trias bezeichnet [215, 216]. Wegen der oft besonders schwierigen Abgrenzung der reaktiven
Arthritis gegenüber der Lyme-Arthritis und Arthritiden sonstiger Infektionskrankheiten, wird die Problematik detaillierter im nachfolgenden Kapitel 4.1 dargestellt.
Infektionskrankheiten, die eine Reaktive Arthritis induzieren können, sind in Tabelle 4.27 wiedergegeben.
Bei dem Begriff „reaktive Arthritis“ handelt es sich nicht um eine definierte Krankheit (nosologische Entität), sondern um ein Konzept zur Einordnung der Krankheitszusammenhänge und der
Pathophysiologie.
Der Begriff „reaktive Arthritis“ ist problematisch, da bei zahlreichen Infektionen der Erreger bei einer solchen sogenannten reaktiven Arthritis in Synovia und Gelenkflüssigkeit nachgewiesen
wurde. Dies trifft zu für Chlamydophila pneumoniae [234-236], Chlamydia trachomatis [243, 244] und für Yersinia enterocolitica [163, 164]. – Auch bei Arthritiden im Zusammenhang mit Mycoplasma
pneumoniae wurde der Erreger in der Synovia nachgewiesen [211].
Die reaktive Arthritis tritt Tage bis Wochen nach Infektionsbeginn auf. Sie betrifft vorwiegend die Gelenke der unteren Extremitäten. Bei einer Krankheitsdauer von unter 6 Monaten wird der
Begriff „akute reaktive Arthritis“, bei Krankheitsdauer über 6 Monaten der Begriff „chronisch reaktive Arthritis“ gewählt.
In 50% der Fälle sind auch Gelenke der oberen Extremität betroffen, mitunter auch kleine Gelenke und die Arthritis kann von Sehnenentzündungen (Enthesitis) begleitet sein [217-219, 220].
Eine der wichtigsten Differentialdiagnosen der reaktiven Arthritis ist die Lyme-Arthritis (chronische Lyme-Borreliose, Lyme-Borreliose im Spätstadium, Stadium III).
Die reaktive Arthritis kann mit anderen Krankheitsmanifestationen einhergehen, die in Tabelle 4.28 dargestellt sind.
Bei der Diagnose einer „reaktiven Arthritis“ ist anamnestisch zu recherchieren, ob Hinweise auf eine der oben genannten Infektionen vorliegen. Entsprechend ergeben sich folgende wesentliche anamnestische Aspekte:
Ergänzend sei erinnert, dass Arthritiden auch bei Chlamydophila pneumoniae und Mycoplasma pneumoniae vorkommen und dass bei den Chlamydiosen, der Yersiniose und auch bei Mycoplasma pneumoniae die
Erreger in Synovia bzw. Gelenkerguss nachgewiesen wurden.
Mittels Laboruntersuchungen (Kultur, Serologie) lässt sich in 50% der Fälle eine bestehende oder vorausgegangene Infektion nachweisen [221]. Andere Labortests, insbesondere sogenannte
Entzündungsmarker (BSG, CRP, Leukozytose) haben bei der reaktiven Arthritis keine Bedeutung.
Im Hinblick auf Chlamydia trachomatis ist der Erregernachweis im Urethra-Abstrich oder im Urin mittels PCR sinnvoll.
Chronische Verläufe, d.h. eine Krankheitsdauer über 6 Monate, kommen bei knapp 20% der Patienten vor [222].
Zur Behandlung werden NSAR eingesetzt, allerdings nur zur Schmerzlinderung, da sie auf Krankheitsverlauf und Krankheitsdauer keinen Einfluss haben. Dagegen entwickeln Sulfasalazine [224] und
TNF-Antikörper eine gewisse Wirkung [225].
Eine antibiotische Behandlung wird bei akuter Chlamydien-Infektion empfohlen mit dem Ziel, die Häufigkeit der reaktiven Arthritis zu reduzieren. Entsprechende Studien liegen jedoch nicht vor
[223]. Bei der chronischen reaktiven Arthritis sind die Erkenntnisse über die Wirksamkeit einer antibiotischen Behandlung widersprüchlich [220, 226, 227-231].
Überblick der Symptomatik und Behandlung von LB und chronischen Coinfektionen
Ein orientierender Überblick über die verschiedenen Krankheitsmanifestationen bei LB und die wesentlichen Coinfektionen ist in Tabelle 4.29 wiedergegeben. Die Übersicht zeigt, dass eine
erhebliche Symptomenüberschneidung bei LB, Bartonellose, Y. enterocolitica und Mycoplasma pneumoniae vorliegen. Auch Chlamydia pneumoniae weist einige Überschneidungen bei der Symptomatik auf.
Chlamydia trachomatis und Campylobacter jejuni sind im Wesentlichen durch die reaktive Arthritis und das seltene Guillain-Barré-Syndrom gekenneichnet. Die antibiotische Behandlung (Tabelle 4.30)
beinhaltet nur bei der chronischen Lyme-Borreliose den Einsatz der Cephalosporine, 3. Generation und ggf. von Carbapenemen. Ansonsten liegt der Schwerpunkt generell bei den Tetracyclinen, den
Makroliden, zum Teil bei den Chinolonen, insbesondere bei Gemifloxacin, die alle eine intra- und extrazelluläre Wirkung besitzen.
Schlussfolgerung:
Ende des 20. Jahrhunderts sind einige Infektionskrankheiten in das medizinische und gesundheitspolitische Interesse getreten. Dies beruht im Wesentlichen auf der Tatsache, dass die Krankheiten
oft einen chronischen Verlauf haben. In Europa und Nordamerika, jedoch auch in zahlreichen anderen Bereichen der Welt werden diese chronischen Krankheiten im Wesentlichen durch folgende Erreger
hervorgerufen: Borrelia burgdorferi, Bartonella henselae, Mycoplasma pneumoniae, Chlamydophila pneumoniae, Chlamydia trachomatis, Yersinia enterocolitica. In Nordamerika haben auch HGA (Human
Granulocytic Anaplasma) und Babesien Bedeutung, während Infektionen mit diesen Erregern in Europa eine Rarität darstellen. Auch sonstige im Text dargestellte Erreger haben hinsichtlich der
Häufigkeit nachrangige Bedeutung. Borrelia burgdorferi wird durch Zecken übertragen, dies gilt auch in einem Teil der Krankheitsfälle für Bartonella henselae. Beide Krankheiten können also durch
Zeckenstich gleichzeitig übertragen werden. Die übrigen genannten Erreger haben andere Infektionswege. – Von allen genannten Infektionskrankheiten ist die Lyme-Borreliose (Borrelia burgdorferi)
die bei weitem häufigste Infektionskrankheit mit chronischem Verlauf. Auch ist diese Krankheit (Lyme-Borreliose, Lyme Disease) wissenschaftlich am besten von allen genannten Infektionskrankheiten
untersucht. Aufgrund dieser besonderen Stellung der Lyme-Borreliose werden die sonstigen Infektionskrankheiten in der Literatur mit dem Begriff „Coinfektionen“ belegt. Die Lyme-Borreliose kann
von einer oder mehreren Coinfektionen begleitet sein (Zweifach- oder Mehrfachinfektion). Coinfektionen verstärken die Krankheitsausprägung und erschweren den Therapieerfolg. Die Symptomatik der
Lyme-Borreliose und der sogenannten Coinfektionen zeigen erhebliche Überschneidungen. Eine subtile diagnostische Analyse ist erforderlich, um alle (möglicherweise) vorliegenden
Infektionskrankheiten zu erfassen. Die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten bei den chronischen Infektionskrankheiten sind begrenzt. Dies gilt für die Lyme-Borreliose und noch mehr
für die Coinfektionen. Bei der wichtigen Coinfektion Bartonella henselae stehen keine ausreichenden Labormethoden zur Verfügung und es gibt keinerlei offizielle Leitlinien im Hinblick auf die
antibiotische Behandlung. Alle genannten Krankheitserreger haben die Fähigkeit zum intrazellulären Aufenthalt, so dass (abgesehen von B. burgdorferi) nur intrazellulär wirksame Antibiotika zum
Einsatz kommen. Dennoch ist die Versagerquote bei der antibiotischen Behandlung der Coinfektionen hoch; wiederum mit besonderem Blick auf Bartonella henselae sind die Ansichten über eine adäquate
antibiotische Therapie sehr kontrovers. Nachdem inzwischen die klinische und wissenschaftliche Bedeutung dieser chronischen Infektionskrankheiten erkannt ist, gilt es diagnostische und
insbesondere therapeutische Maßnahmen für die chronischen Infektionskrankheiten zu entwickeln und zu verbessern.