Lehrbuch Lyme-Borreliose


5.2

Saugdauer/Infektionshäufigkeit


Abb. 5.7

Bei einem Zeckenstich nimmt mit zunehmender Saugdauer die Infektionshäufigkeit etwa linear zu (Abb. 5.7) (1, 2). Die mitunter in der Literatur vertretene Ansicht, dass die Infektion (LB) erst 24 Stunden nach Beginn des Zeckenstichs auftreten kann, ist unzutreffend und stützt sich offensichtlich auf tierexperimentelle Studien (5, 6 7). Allerdings konnte auch im Tierexperiment nachgewiesen werden, dass etwa 50% der Tiere nach einer Saugzeit von 16,7 Stunden infiziert waren (3). In der tierexperimentellen Studie von Piesman et al., 1987 (5) zeigte sich, dass die Infektion bereits nach 24 Stunden – allerdings relativ selten – auftreten kann. Die anderen Studien betrafen die Infektionsrate nach einer Saugdauer von mindestens 2 Tagen. Dabei zeigte sich in der Studie von Piesmann et al. (6), dass zu diesem Zeitpunkt über 60% der Tiere infiziert waren. Diese tierexperimentellen Studien machen also zu der Möglichkeit einer frühen Infektion beim Menschen keine zuverlässige Aussage.

Dass die Infektion beim Menschen in weniger als 24 Stunden übertragen werden kann, wurde auch in einer jüngeren Studie bestätigt (4).

Entscheidend ist in den oben zitierten Arbeiten von Stanek (2) und Strle (1) die Feststellung, dass bei 20 % der Patienten mit Erythema migrans die Saugdauer nicht mehr als 6 Stunden betrug. Nach diesen in 1999 voneinander unabhängig publizierten Studien erfolgten keine weitergehenden Veröffentlichungen. Dennoch muss aufgrund der vorliegenden Publikationsdaten und insbesondere auch der ärztlichen Erfahrung davon ausgegangen werden, dass bereits eine Saugdauer von wenigen Stunden genügt, um die Infektion zu induzieren. Im Zusammenhang mit Patienten, die ein Erythema migrans entwickeln, spielt diese Frage jedoch keine wesentliche Rolle, da das Erythema migrans für das Frühstadium der Lyme-Borreliose krankheitsbeweisend ist. In einem solchen Fall einer bewiesenen Lyme-Borreliose ist die Frage nach der Saugdauer irrelevant.

Die Problematik betrifft also nahezu ausschließlich Patienten mit einer Lyme-Borreliose im Spätstadium (Stadium III), die zuvor kein Erythema migrans entwickelten, bei denen jedoch anamnestische Hinweise auf einen zu der Krankheit zeitnah vorausgegangenen Zeckenstich und Angaben zur Saugdauer vorliegen. Nur in dieser Situation ist eine Diskussion über die Saugdauer nachvollziehbar, d.h. wenn eine angeblich „zu kurze Saugdauer“ als Argument gegen die Diagnose der Lyme-Borreliose III angeführt wird. Pauschal ist festzustellen, dass eine Saugzeit von wenigen Stunden offensichtlich ausreicht, um die Infektion zu übertragen. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass das Erythema migrans nur bei 50% der Patienten mit Lyme-Borreliose Stadium III und Zeckenstich nur in 30% anamnestisch angegeben wird.

 

Zu erwähnen sind 2 weitere Publikationen jüngerer Zeit (4), die allerdings nur sehr kleine Kollektive betreffen. Die Arbeit von Hynote et al., 2011(4) betrifft 3 Fälle. Die Autoren formulieren: „In den drei untersuchten Fällen scheint die Übertragung in weniger als 24 Stunden nach Zeckenstich erfolgt zu sein.

Daher sollte die Diagnose einer Lyme-Krankheit nicht aufgrund einer kurzen Ansaugzeit ausgeschlossen werden, wenn die klinischen Zeichen eindeutig sind.“ In der Publikation von Hufhuis et al., 2013 (8) wird über 13 Patienten mit EM berichtet, bei denen die Saugdauer bei mindestens 8-72 Stunden lag. Die erwähnten 8 Stunden kommen den Zeitangaben von Stanek et al., 1999 (2) und Strle et al., 1999 (1) nahe, die bei etwa 20% der Patienten mit EM eine Saugdauer von bis zu 6 Stunden angeben.

 

Eine in 2014 durchgeführte Befragung von 110 Patienten mit Lyme-Borreliose ergab, dass bei über 90% der Fälle die Saugdauer 1-12 Stunden betrug (vgl. Abb. 5.8)

 

Von den 110 Befragten LB-Patienten wurden verschiedene Krankheitsmanifestationen nach Zeckenstich benannt (vgl. Abb. 5.9). Die Diagnose der Lyme-Borreliose stützte sich also nicht auf das für das Frühstadium der LB beweisende Erythema migrans, sondern auf die klinische Symptomatik der LB insgesamt. Nur knapp 50% wiesen ein Erythema migrans auf; dies steht in Übereinstimmung mit zahlreichen anderen Literaturstellen, in denen Patienten mit einer Lyme-Borreliose im Stadium III nur in etwa 50% der Fälle ein Erythema migrans anamnestisch angaben.

Tab. 5.4
Abb. 5.8

Literaturverzeichnis

  1. Strle F. Lyme Borreliosis in Slovenia. Zentralbl Bakteriol. 1999; 289:643-652.
  2. Stanek G und Kahl O. Chemoprophylaxis for Lyme Borreliosis? Zentralbl Bakteriol. 1999; 289:655-665.
  3. Kahl O, Janetzko-Mittmann C, Gray JS, Jonas R, Stein J, De Boer R. Risk of infection with Borrelia burgdorferi sensu lato for a host in relation to the duration of nymphal Ixodes ricinus feeding and the method of tick removal. Zentralbl Bakteriol. 1998; 287:41-52.
  4. Hynote ED, Mervine PC, Stricker RB. Clinical evidence for rapid transmission of Lyme disease following a tickbite. Diagnostic Microbiology and Infectious Disease, Elsevier. 2011.
  5. Piesman J, Mather TN, Sinsky RJ, Spielman A. Duration of tick attachment and Borrelia burgdorferi transmission. J Clin microbial. 1987; 25:557-8.
  6. Piesman J, Maupin GO, Campos EG, Happ CM. Duration of adult female Ixodes dammini attachement and transmission of Borrelia burgdorferi, with description of a needle aspiration isolation method. J Infect Dis. 1991; 163:895-7
  7. Peavy CA und Lane RS. Transmission of Borrelia burgdorferi by Ixodes pacificus nymphs and reservoir competence of deer mice (Peromyscus maniculatus) infected by tick-bite. J Parasitol. 1995; 81:195-178.
  8. Hofhuis A, Herremans T, Notermans DW, Sprong H, Fonville M, van der Giessen JWB, van Pelt W. A Prospective study among patients presenting at the general practitioner with a tick bite or Erythema migrans in the Netherlands. PLoS One. 2013; 8(5):e64361.
  9. www.borreliose-nachrichten.de