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Erkrankungsrisiko LB in Deutschland |
Das Risiko, an einer Lyme-Borreliose zu erkranken, lässt sich approximativ anhand der Seroprävalenz abschätzen (Tab. 5.5), allerdings mit erheblichen Unsicherheitsfaktoren. Die Seroprävalenz beträgt bei der Bevölkerung in Deutschland etwa 15% (1-3). Bei diesen seropositiven Personen kommt es in etwa 5% der Fälle zur Entwicklung einer Lyme-Borreliose (4-5). Daraus ergibt sich, dass etwa 0,75% der Bevölkerung in Deutschland an einer Lyme-Borreliose erkranken, d.h. aktuell an einer Lyme-Borreliose leiden oder dass anamnestisch eine aufgetretene Lyme-Borreliose belegt ist.
Daraus ergibt sich, dass etwa 0,6 Millionen Menschen in Deutschland an einer Lyme-Borreliose leiden oder anamnestisch Hinweise auf eine durchgemachte Lyme-Borreliose vorliegen.
Die Dunkelziffer dürfte allerdings höher liegen, da folgende Faktoren bei der Kalkulation unberücksichtigt bleiben:
Diese kalkulierte Prävalenz der Lyme-Borreliose in Deutschland entspricht also in etwa den Daten, die von Krankenkassen erhoben wurden (vgl. Kap. 2).
In der Studie von Wilhelmsson et al., 2015 (6) wurde im Wesentlichen die Häufigkeit eines Erythema migrans nach Zeckenstich untersucht. Dabei ergab sich ein Erkrankungsrisiko von 2 %. Die
Publikation macht also lediglich eine Aussage zur Häufigkeit des EM nach einem Zeckenstich, nicht jedoch zu Inzidenz und Prävalenz der LB. Dennoch wird die Publikation häufig diskutiert und zu
Grunde gelegt, um das Erkrankungsrisiko sowie Inzidenz und Prävalenz bei der LB zu beurteilen. Wegen der Wichtigkeit der Publikation wird der Inhalt im Folgenden epikritisch zusammengefasst:
A prospective study on the incidence of Borrelia burgdorferi sensu lato infection after a tick bite in Sweden and on the Aland Islands, Finland (2008-2009).
Wilhelmsson P, Fryland L, Lindblom P, Sjöwall J, Ahlm C, Berglund J, Haglund M, Henningsson AJ, Nolskog P, Nordberg M, Nyberg C, Ornstein K, Nyman D, Ekerfelt C, Forsberg P, Lindgren PE.
Ticks Tick Borne Dis 2016; 7(1):71-9.
(Anm. d. Verf.: In der Studie wurde im Wesentlichen die Häufigkeit eines Erythema migrans nach Stich durch Bb-infizierten Zecken untersucht. Dabei ergab sich ein Erkrankungsrisiko von 2 %. Die
Publikation macht also lediglich eine Aussage zur Häufigkeit des EM nach Zeckenstich, nicht jedoch zur Inzidenz und Prävalenz der LB).
Abstract
Untersucht wurde die Inzidenz einer Borrelieninfektion nach Biss einer borrelien-infizierten Zecke (tatsächlich 55 % nichtinfizierte, 45 % infizierte, d.h. PCR-positive Zecken, Anm. d. Verf.).
Die Studie betrifft Personen in Schweden und Finnland im Zeitraum 2008 bis 2009. Einbezogen wurden 1546 Personen, bei denen die Zecken auf Infektiösität untersucht wurden. 3 Monate nach
Zeckenbiss erfolgte serologische Untersuchung bei allen Probanden mittels Elisa-Test und Immunoblot (tatsächlich erfolgte serologische Untersuchung bei Erstvorstellung und 3 Monate danach).
Von den 1546 Probanden wurden 45 % von Bb-infizierten Zecken, 55 % von nichtinfizierten Zecken gestochen. Von dem gesamten Kollektiv (1546 Personen, gestochen durch infektiöse bzw.
nichtinfektiöse Zecken) erkrankten 5 % an einer Lyme-Borreliose oder zeigten eine Serokonversion. 2 % entwickelten Symptome einer LB, 3 % zeigten lediglich eine Serokonversion. Unspezifische
Symptome entwickelten sich nach Stich infizierter Zecken häufiger als nach Stich nichtinfizierter Zecken. Die Rate der Serokonversion korrelierte mit der Saugdauer. Das Risiko nach Stich durch
eine Bb-infizierte Zecke an Lyme-Borreliose zu erkranken ist gering, nimmt allerdings mit der Saugdauer zu.
Material und Methoden
Nach Information über Medien wurden Personen in verschiedenen Regionen Schwedens und Finnlands aufgefordert, sich nach Zeckenstich in einem primären Gesundheitszentrum vorzustellen und dabei die
Zecke mitzubringen.
Eine vorausgehende Studie in Schweden hatte bei 341 Personen nach Zeckenstich eine Seroprävalenz von 11 % ergeben.
Die Infektiösität der Zecken wurde mittels PCR festgestellt, die serologische Untersuchung erfolgte mittels Elisa-Test und Immunoblot (recom-Line assay).
Blutproben wurden bei Erstvorstellung und 3 Monate später zur serologischen Untersuchung entnommen. Serokonversion wurde bei Neuauftreten von Antikörpern angenommen sowie bei signifikanter
Zunahme der serologischen Daten.
Die klinischen Daten wurden mittels Fragebogen erfasst, gefragt wurde nach folgenden Symptomen:
Eine Lyme-Arthritis wurde nur bei Seropositivität und differentialdiagnostischem Ausschluss anderer Ursachen angenommen.
Ergebnisse
Bei den 33 Personen (2 % des Gesamtkollektivs) bei denen eine Lyme-Borreliose diagnostiziert wurden, entfielen 85 % auf Erythema migrans, die übrigen Fälle betrafen Borrelien-Lymphozytom (1 Fall)
und Lyme-Neuroborreliose (2 Fälle). Nur bei 33 % dieser Fälle mit diagnostizierter Lyme-Borreliose zeigte sich eine Serokonversion.
Unspezifische Symptome bei möglicher Lyme-Borreliose traten bei Personen nach Stich durch infizierte Zecken bzw. nichtinfizierte Zecken mit etwa gleicher Häufigkeit auf und betrafen im
Wesentlichen folgende Symptome (Häufigkeit in %):
Kopfschmerz 15 % bzw. 11 %
Fatigue 15 % bzw. 14 %
Nackenschmerzen 7 % bzw. 8 %
Myalgien / Arthralgien 23 % bzw. 14 %
Taubheit 16 % bzw. 8 %
Infizierte Patienten zeigten Serokonversion und/oder Entwicklung einer LB während des 3-monatigen Beobachtungszeitraums. Nicht infizierte Patienten waren seronegativ und es wurde bei diesen
Patienten nicht die Diagnose einer LB gestellt (bei gesicherter LB betrug die Seronegativität 67 %). Die Diagnose einer LB stützte sich in 85 % der Fälle auf ein vorliegendes EM, in 3 % auf ein
Borrelien-Lymphozytom und in 6 % auf eine Neuroborreliose und bei 6 % auf unspezifische Symptome in Verbindung mit LB entsprechend den Angaben in der Krankenakte.
(Anm. d. Verf.: Die Diagnose Lyme-Borreliose stützte sich in 85 % der Fälle auf ein EM. Die Arbeit ist geeignet, das Risiko einer Erkrankung an LB zu beurteilen, beschränkt sich allerdings
im Wesentlichen auf das Frühstadium.)
Diskussion
Erste prospektive Studie über das Erkrankungsrisiko bei LB nach Zeckenstich.
(Anm. d. Verf.: Die in der Publikation, insbesondere in der Überschrift angesprochene Inzidenz einer Bb-Infektion bezieht sich also auf einen im Wesentlichen einmaligen (!) Zeckenstich und sagt
nichts über die Inzidenz der Lyme-Borreliose generell aus. Zudem wird die Inzidenz im Wesentlichen anhand des EM definiert, das bekanntlich nur in 50 % der Fälle bei LB vorkommt. Allein auf
dieser Basis resultiert also eine Unterschätzung um 50 %. Entsprechend ergibt sich ein Erkrankungsrisiko bzgl. LB nach Stich durch infektiöse oder nicht infektiöse Zecke von 4 %. Für die
tatsächliche Inzidenz ist die Häufigkeit von Zeckenstichen ein wesentlicher Faktor. Würden z.B. 25 % der Bevölkerung einen Zeckenstich pro Jahr erleiden, ergäbe sich eine Inzidenz von 1 % bezogen
auf die Gesamtbevölkerung).