7.1 |
Erythema migrans (EM) |
Bei der Diagnose der Lyme-Borreliose kommt dem Erythema migrans (und auch dem Lymphozytom) erhebliche Bedeutung zu. Das Erythema migrans ist für das Frühstadium der Lyme-Borreliose
krankheitsbeweisend. Diagnostisches Ziel muss die möglichst frühzeitige Erkennung des Erythema migrans sein, da die Behandlung in den ersten 4 Wochen der Infektion relativ erfolgreich ist,
während danach, d.h. nach Dissemination des Erregers, die Behandlung sehr viel problematischer wird (1, 2).
Die Diagnose des Frühstadiums ist oft erschwert, da das krankheitsbeweisende EM nur in etwa 50-70% der Fälle bei Erst- oder Neuinfektion auftritt (3-8).
Die Diagnose des Erythema migrans ist eine „Blickdiagnose“, die Kenntnisse über die phänomenologischen Variationen voraussetzt. Das EM kann in Form, Größe und Ausprägung erheblich variieren
(9-18).
Die klassische Form mit Randsaum und zentraler Abblassung liegt nur in einem Teil der Fälle vor. Daher sollte bei jeglichem Erythem, unabhängig von seiner Erscheinungsform, im Zweifel ein EM
diagnostisch angenommen werden, insbesondere wenn das Erythem eine Ausdehnung oder Persistenz über viele Tage oder Wochen aufweist. Auch die CDC (Centers for Disease Control and Prevention)
weisen aktuell darauf hin, dass ein EM in 30% der Fälle nicht auftritt oder wahrgenommen wird, in über 50% nicht die klassisch anuläre Form vorliegt, häufig Formvarianten auftreten, in 60% der
Fälle eine makuläre Form vorliegt, eine livide Farbgebung vorkommt und mitunter im Zentrum vesikuläre Veränderungen sichtbar sind (17). Schwierig ist die Abgrenzung einer umschriebenen
entzündlichen Reaktion im Bereich der Stichstelle mit einem Durchmesser von höchstens 2 cm, die kurze Zeit nach Zeckenstich auftritt. Diese Entzündung wird durch Zeckenspeichel ausgelöst, steht
also nicht im Zusammenhang mit Borrelien. Allerdings ist die Abgrenzung von einem sogenannten Mini-Erythema migrans mit einem Durchmesser von etwa 3 cm (9) allein auf der Basis der Blickdiagnose
nicht möglich. Für ein Mini-Erythema migrans spricht eine Krankheitsdauer von mindestens mehreren Wochen, ggf. eine leichte Größenzunahme sowie die histologische Untersuchung und vor allem der
Erregernachweis im Hautbiopsat.
Histologisch ist das EM im Wesentlichen durch perivaskuläre lymphozytäre Infiltrate mit wenigen Plasmazellen und vereinzelten Eosinophilen charakterisiert. Bezüglich weiterer Einzelheiten sie auf
die Tab. 7.1 verwiesen.
Im Zweifel muss jede anhaltende Hautrötung von einem Durchmesser von über 3 cm, die differentialdiagnostisch nicht eindeutig anderweitig erklärbar ist, als Erythema migrans gelten und eine
antibiotische Behandlung nach sich ziehen. Auch kann das Erythema migrans als sekundäres Erythem im Bereich der Stichstelle im Krankheitsverlauf erneut auftreten oder im Bereich sonstiger
Hautareale ohne Bezug zum Zeckenstich.
Die verschiedenen Formen des Erythema migrans sind in Abb. 7.1 schematisch und in Abb. 10.1 in farbigen Fotografien dargestellt. Zu unterscheiden sind also die anuläre Form mit zentralem
Zeckenstich, zentraler Abblassung und entzündlichem Randsaum, das makuläre Erythema migrans mit einer mehr oder weniger gleichmäßigen Hautrötung sowie unregelmäßige Formen, im Gegensatz zu
den meist vorkommenden Rundformen.
Das Erythema migrans tritt in knapp der Hälfte der Fälle als multiples Erythema migrans (MEM) auf. Meist liegen 2 oder 3 Erythemata gleichzeitig vor.
Die Seropositivität bei EM und MEM beträgt 50%. Das singuläre EM zeigt bei 28% der Fälle eine Begleitsymptomatik, das MEM bei 36%. Eine anuläre Form des EM findet sich bei 46%, ein homogenes
Erythem bei 33% und sonstige Formen (zum Teil nicht sicher definierbar) bei 20%. Das EM und MEM treten bei 32% der Fälle an den unteren Extremitäten, bei 50% im Rumpfbereich und bei 30% im
Bereich der oberen Extremitäten auf. Ein EM im Kopfbereich wird nur bei 4% der Fälle beobachtet, sie sind also selten. EM und MEM werden unter antibiotischer Behandlung in 95% der Fälle geheilt.
Bei Kindern ist Ceftriaxon das Medikament der ersten Wahl zur Behandlung des EM und MEM (22).
Das Lymphozytom stellt eine entzündliche Schwellung dar, die in allen Körperbereichen auftreten kann, besonders aber im Bereich gut durchbluteter Gewebe (Ohrläppchen, Brustwarzen, Skrotalhaut).
Zudem gibt es Übergangs- und Kombinationsformen von Lymphozytom und EM (sogenanntes atypisches EM) (17).
Das Lymphozytom tritt bei etwa 1-3% der Patienten mit Lyme-Borreliose auf (21). Klinisch imponiert es als meist solitärer, bis zu mehrere Zentimeter großer rötlicher oder livider Knoten.
Histologisch stellt das Lymphozytom eine gutartige lymphoretikuläre Proliferation dar. In Abgrenzung zu den malignen Lymphomen gehört es zur Gruppe der Pseudolymphome unter Hinweis auf die
Ätiologie wird es als „Borrelien-Lymphozytom“ bezeichnet.
Auch kann das Erythema migrans nahtlos in eine Acrodermatitis chronica atrophicans übergehen. (18, 19).
Bei einem Erythema muss also grundsätzlich mit der Möglichkeit einer Borrelien-Infektion gerechnet werden, selbstverständlich unter Beachtung der Differentialdiagnose. Bei
differentialdiagnostischen Unsicherheiten muss im Zweifel ein Erythema migrans angenommen und entsprechende diagnostische und therapeutische Konsequenzen gezogen werden (20).
In Verbindung mit dem EM können verschiedene Begleitsymptome auftreten. Diesbezüglich sei auf das Kap. 7 (Symptomatik der Frühphase) verwiesen.
Das EM ist häufiger makulär als anulär und es kann bereits früh zur Dissemination des Krankheitserregers kommen ohne dass Allgemeinsymptome auftreten (18). Oft treten im Bereich des EM leichte
lokale Beschwerden auf:
In 40% der Fälle verursacht das EM keine lokalen Beschwerden (3).
Im Verlauf der Lyme-Borreliose kann in jedem Stadium ein
multilokuläres Erythem oder ein sekundäres Erythem auftreten ohne lokalen Bezug zu einem Zeckenstich.
Im Übrigen sei auf das Kap. 10.2 (Literaturübersicht Hautmanifestationen) verwiesen.